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Sigi-Heinrich-Blog: Medaillenplan mit falschem Ansatz: Verlierer verlieren alles

Sigi Heinrich

Update 26/07/2017 um 14:08 GMT+2 Uhr

Medaillenjagd zu Wasser und an Land: Die Weltmeisterschaften der Schwimmer und Leichtathleten lenken den Blick auf die geänderten Förderbedingungen im deutschen Spitzensport. Eurosport-Kommentator Sigi Heinrich sind diese mehr als nur ein Dorn im Auge. Im Blog erklärt er, warum Verlierer heute alles verlieren, dass die Komfortzone manchmal unverzichtbarer ist und Medaillen-Fixierung fragwürdig.

Gold, silver and bronze medals for the Rio Olympic Games are displayed at a coin factory in Rio de Janeiro, Brazil, on July 18, 2016

Fotocredit: Getty Images

Ein paar tröstende Worte vorweg: Deutschlands Athleten werden bei den derzeit laufenden Weltmeisterschaften nicht leer ausgehen.
Die Fechter haben in Leipzig ja schon mal getroffen, die Schwimmer sind in Budapest vor allem dank des Ausnahmetalentes Patrick Hausding (Wasserspringen) bereits im Medaillenspiegel vertreten und die Leichtathleten werden nächste Woche in London garantiert nachziehen mit dem einen oder anderen Platz auf dem Podest.
Es ist gerade die Hochzeit der olympischen Kernsportarten. Ein Schaulaufen der Elite mit immenser Bedeutung. Denn der deutsche Sport richtet sich gerade neu aus oder besser formuliert: Er ist von der Politik, dem Staat also, der aus Hauptfinanzier in vielfältiger Weise auftritt, neu ausgerichtet worden. Klein beigegeben hat der Präsident des Deutschen Olympischen Sport-Bundes (DOSB), Alfons Hörmann, als der für den Sport zuständige Minister, Thomas de Maiziere, neue Forderungen ausrief:
Ein klein wenig mehr Geld gäbe es künftig aber dafür aber müssten mehr Medaillen produziert werden. Viel mehr. Und damit das funktioniert, käme man wohl nicht umhin, sich stärker zu konzentrieren.

Zentralisieren heißt das Zauberwort

Zentralisieren heißt also das Zauberwort. Die Fechter etwas sollen künftig nur noch in zwei Stützpunkten gefördert werden. Wer nicht umzieht, also nicht mitzieht, wird wohl aussortiert werden. Aussortiert. Klingt scheußlich, ich weiß.
Selbst der neuen Präsidentin des Deutschen Fechter-Bundes, Claudia Bokel, ist das nicht geheuer. Sie sagt, dass die Fläche nicht vernachlässigt werden dürfe dabei. Gemeint sind damit die kleinen Vereine, die Basis, die Grundlage allen sportlichen Treibens.
Ich habe neulich in der Vorbereitung auf die U20-Europameisterschaften in Grosseto mit einem sogenannten Heimtrainer gesprochen, der anklingen ließ, dass sie ja jetzt wohl gänzlich auf der Strecke bleiben würden, weil natürlich auch das Budget für Trainer verschlankt werden muss.

Traumberuf Trainer?

Traumberuf Trainer in Deutschland. Verdienst: Weniger als ein Lehrer im Schuldienst. Sicherheiten: Verträge, die oft nur jährlich verlängert werden. Aber nur, wenn die Athleten erfolgreich fechten, schwimmen oder laufen und werfen. Sonst Hartz IV.
Im krassen Gegensatz dazu steht unermüdlicher Einsatz bei karger Freizeit und Aufopferung für die Sache. Aber Heimtrainer passen nicht mehr in unsere Landschaft. Zentralisieren aber passt nicht zu unserem Gesellschaftssystem.
Der derzeitige Bundestrainer der Schwimmer, Henning Lambertz, der natürlich einen besser dotierten Vertrag hat mit längerer Laufdauer, hat gar eine neue Dimension in die Diskussion geprägt. Er meinte doch tatsächlich, die Schwimmer müssten raus aus ihrer Komfortzone.

Raus aus der Komfortzone

Komfortzone ist zum Beispiel: Wecken morgens um 05:30. Leichtes Frühstück, danach erste Trainingseinheit. Um 08:00 Uhr Schulbeginn. Nach der Schule erneut Training mit Nachbereitung. Nach der zweiten Trainingseinheit Hausaufgaben. Und dann frisch und munter ins Bett. Komfortabel halt.
Die meisten schaffen ihr Mammutprogramm nur, weil sie in ihrem Lebenskreis sind. Bei den Eltern, den Freunden. Weil die emotionale Bindung hilft, den Stress zu ertragen und weil die kleine Einheit rund um die Familie auch dazu beiträgt, sich als Mensch zu entwickeln. Aus, vorbei.
Das ist alles Weichei-Ansicht von gestern. Wer jetzt etwas werden will, der muss spuren. Umziehen. Schule verlassen, Elternhaus, Freunde. Spitzensportler, so das Credo, wird man nicht in der Komfortzone.
Fabian Hambüchen: Hätte auch mal raus sollen aus einer solchen Komfortzone. Die Familie (Papa war Trainer) hat sich geweigert. Wo stünde der Deutsche Turner-Bund (DTB) jetzt ohne die vielen Siege des Fabian Hambüchen in den letzten Jahren?

Verlierer verlieren alles

Der deutsche Sport folgt dem falschen Ansatz. Ein paar Politiker setzen auch in unserer Gesellschaft darauf, durch viele Medaillen zeigen zu können, wie leistungsstark doch auch die Demokratie funktioniert. Dafür werden demokratische Werte ausgehebelt.
Wenn ihr Sportler nicht das tut, was wir wollen, dann gibt es kein Geld mehr. Derweil schließen Schwimmbäder und wächst im wahrsten Sinn des Wortes Gras über manche Laufbahnen.
Wenn wir im Schwimmen schlechter als früher geworden sind, ist das nur ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Wir können nicht mehr schwimmen. Wenn wir in der Leichtathletik nicht mehr so gut sind wie früher, ist das eben so. Vor allem Kinder und Jugendliche laufen und werfen nicht mehr. Sport als Gesundheitsvorsorge ist kein Argument mehr. Medaillen müssen sein.
Und dann der völlig fatale Schluss der Ministerien: Wer nichts gewinnt, wird nicht mehr gefördert. Ohne Moos nichts los. So einfach ist das. Das neue deutsche System, gegen das sich der deutsche Sport viel zu wenig gewehrt hat, lässt diejenigen im Regen stehen, die es gerade wirklich nötig haben. Aber da passt man sich ja harmonisch unserer Gesellschaft an.
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