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Bayer 04 Leverkusen am Abgrund: Die wahren Probleme der Werkself

Henning Kuhl

Update 28/04/2017 um 15:39 GMT+2 Uhr

Bayer 04 Leverkusen wollte in dieser Saison angreifen, den FC Bayern und Borussia Dortmund ärgern, die Bundesliga aufmischen. Stattdessen enttäuschten Kevin Volland, Julian Brandt und Co. auf ganzer Linie, müssen um den Klassenerhalt zittern, Europa scheint außer Reichweite. Der Werkself droht jedoch weit mehr als eine verkorkste Saison - der Zusammenbruch. Eurosport.de analysiert den Absturz.

Bayer 04 Leverkusen

Fotocredit: Getty Images

In den vergangenen Tagen war nicht viel los unter der A1-Brücke, die in Leverkusen "Stelze" genannt wird. Es gab Zeiten, da saßen die Rentner mit Ferngläsern bewaffnet in ihren Autos, jüngere Fans standen am Zaun des Trainingsgeländes um die Spieler zu beobachten.
Nun herrscht Leere, ähnlich sieht es vor dem Fanshop in der Fußgängerzone aus. Lediglich vier von 15 Bundesliga-Heimspielen waren in dieser Saison ausverkauft. Es knistert in Leverkusen. Der Frust sitzt tief.
Mit dem selbsternannt "besten Kader" der vergangenen Jahre wollte die Werkself zur zweiten Macht in Deutschland aufsteigen, Borussia Dortmund herausfordern und die Schwarz-Gelben als Bayern-Jäger Nummer eins ablösen. Große Worte, allein an den Taten mangelte es - und wie! Bayer Leverkusen spielt die schwächste Saison seit 2002/03 und muss sogar um den Klassenerhalt bangen.
Die Gründe für diese Entwicklung liegen klar auf der Hand.

Bayer 04: Eine Menge Pech

Wahr ist, dass die Elf von der Dhünn kontinuierlich personelle Ausfälle plagten: Kapitän Lars Bender verpasste 20 Bundesligapartien, Abwehrchef Jonathan Tah und Nationalspieler Karim Bellarabi je 14, Stefan Kießling elf, Kevin Volland neun, und Hakan Calhanoglu darf wegen seiner Sperre seit Anfang Februar nicht mehr mitwirken.
Zudem befinden sich gleich mehrere Leistungsträger der Vorsaison im dauerhaften Formtief: Tin Jedvaj, Wendell, Chicharito, Charles Aránguiz... Dass es unter diesen Umständen schwierig war, Rhythmus und Konstanz zu finden, ist verständlich.

Korkut wirklich besser als Schmidt?

Zur Wahrheit zählt aber auch: Bayer Leverkusen agierte planlos und inkonsequent. Ende 2016, in der ersten Schwächeperiode, hätte der Verein Nägel mit Köpfen machen und Roger Schmidt entlassen können. Der Grund? Dieter Hecking, der wohl beste - und einzige! - Kandidat auf dem Trainermarkt, war zu dieser Zeit verfügbar.
Stattdessen hielten die Verantwortlichen an Schmidt und damit an der spielerischen sowie taktischen Stagnation fest. Nur, um ihn Anfang März doch vor die Türe zu setzen. Sie förderten dadurch die Achterbahnfahrt, brachten noch mehr Unruhe in die verunsicherte Mannschaft und setzten mit Tayfun Korkut einen auf den ersten Blick überraschenden Kandidaten auf den Trainerstuhl, den er im Sommer wieder verlassen soll.
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Tayfun Korkut von Bayer Leverkusen

Fotocredit: Getty Images

Die bisherige Bayer-Bilanz des 43-Jährigen: sieben Bundesligaspiele, ein Sieg, drei Unentschieden, drei Niederlagen, sechs Zähler. Mit Verlaub: Das hätte Schmidt auch geschafft - mindestens.
Korkut soll die Mannschaft vor dem Abstieg, dem GAU, bewahren und in der Liga halten. Mittlerweile jedenfalls. Denn zuvor galt es für ihn, Bayer noch auf die europäischen Plätze zu dirigieren. Noch so eine Wahrheit: Der Kampf um den Klassenerhalt wurde zu lange ignoriert, dafür lieber über Europa gesprochen...

Leverkusen droht der Zerfall

Wahr ist auch: Selbst wenn die Werkself das Abstiegsgespenst vertreibt, steht ein radikaler Umbruch bevor. Ömer Toprak wechselt zum BVB, aber ohne europäischen Wettbewerb drohen weitere Abgänge: Calhanoglus Berater sprach bereits im März von Abschied; Julian Brandt wird vom FC Bayern umworben; Chicharito will in der Champions League auflaufen; nach Eurosport-Informationen soll Bernd Leno um grünes Licht für einen Wechsel im Sommer gebeten haben.
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Bernd Leno (Bayer Leverkusen)

Fotocredit: SID

Dass zudem die Interessenten für Tah, Benjamin Henrichs sowie Kai Havertz Schlange stehen, versteht sich von selbst. Sportchef Rudi Völler sagte dem "Express" Anfang des Monats:
Wir müssen keinen Spieler verkaufen, nur weil wir ein Jahr nicht international spielen.
Fragt sich nur, ob man Spieler wirklich halten sollte, die lieber den Arbeitgeber wechseln würden.

Mangelnde Identifikation mit dem Klub

Und genau an dieser Stelle liegt die schmerzhafteste Wahrheit der Werkself: Es fehlt an Identifikation mit dem Verein. Spieler wie Bernd Schneider, Carsten Ramelow oder Simon Rolfes, die mindestens zehn Jahre in Leverkusen spielten, obwohl sie verlockende Angebote hatten, sind zur absoluten Rarität geworden.
Bis auf Lars Bender und Stefan Kießling hat sich in den vergangenen Jahren kein Spieler wirklich zu Bayer bekannt. Sogar Gonzalo Castro, der seit 2005 an der Dhünn spielte, wechselte 2015 nach Dortmund.
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Javier Hernández, Julian Brandt, Hakan Calhanoglu (v.l.) von Bayer Leverkusen

Fotocredit: Imago

Leverkusen fehlt schlicht die Basis, das Fundament. Immer wieder Spieler für ein paar Saisons ans Bayerkreuz zu locken, damit sie in der Champions League spielen und möglichst schnell den Sprung zu einem größeren Verein schaffen, ist zu wenig. Bayer 04 braucht wieder eigene Säulen und Konstanz.
Ein Aspekt, der sich auch in dieser Saison bemerkbar macht: Es mangelt an einem Führungsspieler, der die Mannschaft aufbaut und mitzieht. Bender fehlte für diese Rolle zu oft, Kießling ist für sie zu alt, Toprak geht, Kevin Kampl ist noch nicht lange genug da.

Aufgaben für die Zukunft

Die Hausaufgaben der Verantwortlichen um Völler und Michael Schade sind eindeutig: Sie müssen um Havertz, Tah und Henrichs ein neues Team aufbauen. Dass sie das europäische Geschäft brauchen, um diese Jungs zu halten, ist logisch - aber auch machbar. Am Geld wird es nicht scheitern, vielmehr sind kluge Entscheidungen auf dem Transfermarkt sowie eine gute Nachwuchsarbeit gefordert.
Und allen voran: ein passender Trainer. Bayer braucht einen kompetenten Coach, der einen Plan und eine Idee hat, Zeit und Rückhalt erfährt. Sonst droht Leverkusen zum Chaosverein zu mutieren - gefangen zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
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