Top-Sportarten
Alle Sportarten
Alle anzeigen

Der LIGAstheniker über den FC Bayern: Das große Missverständnis mit Carlo Ancelotti

Thilo Komma-Pöllath

Update 18/09/2017 um 11:45 GMT+2 Uhr

Beim FC Bayern München bleibt trotz des 4:0 gegen Mainz die Personalie Carlo Ancelotti ein heiß diskutiertes Thema, denn der Trainer wirkt isolierter denn je. Und ausgerechnet jetzt schweigen die Bosse. Der LIGAstheniker fürchtet, dass es mit dem Italiener und den Münchnern kein gutes Ende nehmen wird.

Favorit unter den Trainern: Ancelotti und seine Bayern

Fotocredit: SID

Wenn beim FC Bayern ein Sieg gegen einen Ligawinzling mit Erleichterung aufgenommen und nicht mit der sonst üblichen buchhalterischen Kühlheit quittiert wird, dann weiß man eigentlich schon, das etwas ganz und gar nicht stimmt. Ancelotti ballte die Faust, Robben umarmte, Ribéry küsste, Müller lächelte wieder.
Das 4:0 gegen Mainz war auch ein Beleg dafür, wie verunsichert der Rekordmeister war und noch ist. Mitnichten ist dieses 4:0 das Ende der Krise. Und spätestens in sechs Wochen, nach dem Champions League-Spiel in Paris (27. September), den beiden Schlüsselpartien gegen Leipzig in Pokal und Liga (25. Oktober) und dem deutschen Clásico gegen Dortmund (4. November) ist klar, ob das mit Ancelotti noch gut gehen kann.
Ich fürchte nicht.

Carlo allein zu Hause

Ein Startrainer wie Ancelotti hat in seinen langen, turbulenten und erfolgreichen Jahren so gut wie alles schon erlebt. Wer bei den größten Diven des internationalen Fußballs anheuert, der kann selbst nicht zimperlich sein, weil er die harten Mechanismen des Geschäfts zu bedienen weiß.
Aber so einsam dürfte sich der Mister lange nicht mehr gefühlt haben. , die just nach der Niederlage der Bayern in Hoffenheim über Tage das bestimmende Thema war; die dauerhaften Vergleiche mit Pep Guardiola, wonach dieser einen viel dominanteren, ja besseren Fußball habe spielen lassen; die Verletzung seines Wunschspielers James Rodriguez, der bislang keine wertvollen Akzente setzte; Ribérys ungehöriger Trikotwurf beim Anderlecht-Spiel und jetzt also, nach dem 4:0 gegen Mainz ein Arjen Robben, der dem Trainer öffentlich in den Aufstellungsblock diktieren möchte, wie Bayern zu spielen habe:
Erstens: Nur mit Ribéry gewinnen wir Titel. Zweitens: Mit Müller spiele ich besser, will sagen: wir alle. Nach seinem 2:0 gegen Mainz lief er demonstrativ über das halbe Feld um seinen einstmals ungeliebten, diesmal vom Trainer bankbestraften Mitspieler zu knuddeln. Später, bei der Einwechslung Ribérys, gab es sogar ein Küsschen. Ein professionelles Handshake mit Ancelotti? Fehlanzeige!

Die schleichende Demontage

Das alles wäre nicht der Rede wert, wäre es von Seiten der Vereinsführung nicht so totenstill, was die Trainerpersonalie angeht. Nur zum Vergleich: nach Lewandowskis SPIEGEL-Kritik am Transfergebaren des Klubs donnerte Rummenigge medial umgehend retour. Die schleichende Entmachtung des Trainers nehmen Kalle und Hoeneß dagegen offenbar ungerührt zur Kenntnis.
Die Stimmen mehren sich, die sich über die fehlende Rückendeckung für diesen Trainergiganten wundern. Ex-Bayern-Spieler Didi Hamann spricht sogar von einer "Demontage" Ancelottis. Und Sportdirektor Salihamidzic werkelt weiter intern vor sich hin, eine Stütze für den Trainer ist gerade ebenfalls nicht. Genauso gut hätte er am Samstag den guten Robben in den Senkel stellen können nach dem Motto: "Mein lieber Arjen, die Mannschaft stellt der Trainer auf, nicht du!" Hat er aber nicht. Das alles sind Zeichen einer zügig voranschreitenden Entfremdung zwischen Klub und Trainer, die nicht mehr lange zu kitten sein wird.

Machtvakuum im Vorstand?

Mehr denn je stellt sich in diesen Tagen die Frage, warum man mit Ancelotti einen Trainer geholt hat, der mit fertigen Teams große Titel gewinnen kann, der aber - so die Vergangenheit - keinen Umbruch einleiten, geschweige denn gestalten kann. Musste es nach Guardiolas Abgang nur wieder ein Superstar auf der Trainerbank sein, der das eigene Mia-san-Mia-Mantra bedient, die Öffentlichkeit beruhigt, aber in Wirklichkeit für die anstehende Aufgabe, nämlich die Verjüngung der Mannschaft, gar nicht der richtige ist?
Wenn dem so ist, dann ist das "Machtvakuum" nach den Abgängen von Lahm und Alonso gar nicht in der Mannschaft selbst zu suchen, sondern in der Führung des Klubs. Höchst unterschiedliche Meinungen in sportlichen und Führungsfragen (jüngst von Hoeneß öffentlich gemacht) und persönliche Animositäten sorgen bei Rummenigge und Hoeneß dafür, dass am Ende oft nur der kleinste gemeinsame Nenner durchgeht. Bei Ancelotti war es die Aura seiner Erfolge, die Prominenz seines Namens und eben nicht seine genuine Arbeitsweise, das Abwägen seiner Stärken und Schwächen. Es könnte ein fataler Fehler gewesen sein.

Zur Person Thilo Komma-Pöllath:

Der Sportjournalist und Buchautor ("Die Akte Hoeneß") beleuchtet in seinem wöchentlichen Blog "Der LIGAstheniker" das Geschehen in der Fußball-Bundesliga für Eurosport.de. Oft skeptisch, ironisch, kritisch - aber einer muss schließlich den Ball flach halten.
Mehr als 3 Mio. Sportfans nutzen bereits die App
Bleiben Sie auf dem Laufenden mit den aktuellsten News und Live-Ergebnissen
Download
Diesen Artikel teilen
Werbung
Werbung