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MLS-Profi Tranquillo Barnetta exklusiv bei Eurosport: "Wahnsinn, was hier geboten wird"

Marc Hlusiak

Update 11/05/2016 um 15:00 GMT+2 Uhr

Tranquillo Barnetta hat die Bundesliga verlassen und sich im Juli 2015 bei Philadelphia Union auf das Abenteuer Major League Soccer eingelassen. Im Exklusiv-Interview mit Eurosport.de spricht der ehemalige Profi von Bayer Leverkusen, Hannover 96, FC Schalke und Eintracht Frankfurt über die Klasse der MLS, sein unschönes Ende in der Schweizer Nationalmannschaft und die Sportstadt Philadelphia.

Tranquillo Barnetta (Philadelphia Union)

Fotocredit: Imago

Das Interview führte Marc Hlusiak
Im Sommer steht die Europameisterschaft in Frankreich an. Im Schweizer Kader standen Sie zuletzt nicht mehr. Gibt es noch Resthoffnungen auf eine Teilnahme mit der Nati?
Tranquillo Barnetta: Nein, eigentlich nicht. Ich glaube nicht, dass das noch ein Thema ist.
Sie haben von Kommunikationsproblemen mit Nationaltrainer Vladimir Petkovic berichtet. Ist das Verhältnis gestört?
Barnetta: Ja. Ich habe nichts mehr von ihm gehört und von daher ist das für mich kein Thema mehr. Es ist eine alte Geschichte und ich konzentriere mich nicht mehr darauf.
Bevor Sie 2015 den Schritt in die MLS gewagt haben, gab es viele Gerüchte um Ihre Zukunft. Erster Ansprechpartner war Ihr damaliger Klub Schalke 04. Warum hat es nicht zu einem neuen Vertrag gereicht?
Barnetta: Es hat Gespräche gegeben und es gab auch Anzeichen dafür, dass sie verlängern wollen. Dann hatten wir eine etwas schlechtere Phase, waren sportlich nicht mehr so erfolgreich. Da waren dann andere Baustellen größer als die meines Vertrages. Ich habe irgendwann gemerkt, dass Schalke doch nicht verlängern will und mich entschieden, mich anderweitig umzuhören.
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Traumtor von Barnetta zum Sieg in letzter Minute

Sie haben immer gesagt, dass es Ihr Traum wäre, in der Premier League zu spielen. Der Name Leicester Cityging durch die Presse. War da etwas dran?
Barnetta: Wir hatten Gespräche, das stimmt - aber eher im Anfangsstadium. Die Leicester-Verantwortlichen haben gesagt, dass sie Interesse haben, sich aber auch noch weiter umschauen möchten. Es war nicht so, dass ich da ein Angebot vorliegen gehabt hätte. Von daher ist das dann alles im Sand verlaufen.
Wäre ein Angebot interessant für Sie gewesen?
Barnetta: Hätte, wäre und wenn, das ist immer schwierig zu sagen. Ich hatte kein offizielles Angebot und deshalb stand das für mich auch nicht zur Diskussion.
In einem Interview mit "blick.ch" haben Sie gesagt, dass eine Rückkehr in die Schweiz noch keine Rolle spiele und Sie erst noch in einer großen Liga aktiv sein wollen. Zählen Sie die MLS zu den großen Ligen?
Barnetta: Ich glaube schon, dass die MLS mittlerweile mithalten kann. Natürlich noch nicht mit der Bundesliga oder der Premier League, aber das Interesse in Europa hat sich gesteigert. Die Resonanz in Europa wird größer. Da helfen natürlich die Liveübertragungen von Eurosport. Das war vor fünf Jahren noch nicht so und es bewirkt, dass immer mehr Spieler hier her kommen, die noch fit sind. Das heißt nicht erst mit 38 oder 40 Jahren, sondern auch schon früher, weil einfach die Möglichkeiten hier riesengroß sind. Von daher war es für mich Zeit, dieses Abenteuer zu wagen. Es ist etwas ganz Neues nach elf Jahren in Deutschland.
War genau dieser Abenteuer-Aspekt der ausschlaggebende Punkt für die MLS?
Barnetta: Genau. Ich hatte schon auch andere Anfragen - auch aus Deutschland. Aber für mich war es einfach mal an der Zeit, etwas Neues zu sehen. Es ist einfach ein komplett anderes Verhältnis hier, vor allem zu den Fans, die immer sehr positiv sind. Man hat einen ganz anderen Druck, weil man nicht absteigen kann. Es gibt nur den positiven Druck, in die Play-offs zu kommen. Außerdem wird man in der Stadt nicht so erkannt, man wird in Ruhe gelassen. Das waren alles Gründe für mich, diesen Schritt zu gehen.
Die MLS boomt. Gerade die Atmosphäre in den Stadien lässt auf große Fußballbegeisterung der Amerikaner schließen. Wie nimmt das ein Profi wahr, der schon in den großen Hexenkesseln Europas gespielt hat?
Barnetta: Ja, die Begeisterung nimmt man wahr. Was natürlich hilft, ist, dass jedes Team mittlerweile sein eigenes Fußballstadion hat. Vor zehn Jahren hat man noch in einem College-Stadion gespielt oder in einem American-Football-Stadion, wo 60.000 Zuschauer reinpassen und nur 10.000 waren. Heute gibt es nur noch zwei oder drei Teams ohne eigenes Stadion. Beim Auswärtsspiel in Seattle haben wir zwar auch in einem Football-Stadion gespielt, allerdings gefüllt mit 50.000 Menschen - da war richtig gute Stimmung. Bei uns haben wir einen Schnitt von 13.000 bis 14.000 in einem Stadion für gut 18.000, letzte Woche war es sogar ausverkauft. Man spürt die große Begeisterung in den verschiedenen Städten.
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MLS: Gerrard mit sehenswertem Schlusspunkt

Sie haben auch für Schalke im Derby gegen Borussia Dortmund gespielt. Eine Partie mit enorm viel Polizeipräsenz. Geht es in der MLS, gerade was die Fanlager angeht, friedlicher zu als in Europa?
Barnetta: Ja, auf jeden Fall. Aber das liegt auch zu großen Teilen daran, dass kaum Auswärtsfans zu den Spielen kommen. Wenn man ein paar Hundert mit dabei hat, ist das schon viel. Das liegt vor allem an den großen Distanzen. Niemand kann verlangen, dass 10.000 eigene Fans quer durchs Land reisen für ein Auswärtsspiel. Aber es stimmt schon, es geht wirklich friedlicher zu. Die Leute gehen ins Stadion, um ein Event zu erleben. Natürlich wollen die Fans, dass ihr Team gewinnt, aber sie wollen eben in erster Linie guten Fußball sehen und gute Stimmung haben. Ich weiß gar nicht, ob es überhaupt ein Polizeiaufgebot gibt. Natürlich gibt es Ordner, die die Menschen einweisen, aber es kam noch nie vor, dass es irgendwelche Krawalle gab.
Über zehn Jahre in der Bundesliga, Auftritte in der Champions League, bei Europa- und Weltmeisterschaften. Wie sehen Sie das Niveau in der amerikanischen Liga im Vergleich zu Ihren bisherigen Stationen?
Barnetta: Das ist schwer zu sagen. Ich glaube, dass wir physisch und vom Tempo her gut mit der Bundesliga mithalten können. Taktisch und technisch sind wir natürlich schon noch ein bisschen hinten dran. Es geht einfach hin und her, von Sechzehner zu Sechzehner, was sehr spannend für die Zuschauer ist, weil sie viele Torchancen zu sehen bekommen. Als Trainer und als Spieler wünscht man sich manchmal etwas mehr Kontrolle und Ballsicherheit. Es ist einfach schwierig, einen Vergleich zur Bundesliga herzustellen. Man müsste mit einem MLS-Team mal eine Weile in der 1. oder 2. Bundesliga mitspielen, um Genaueres sagen zu können.
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MLS-Highlights: Barnetta-Assist reicht Philadelphia nicht

Ihr neuer Klub, Philadelphia Union, war im letzten Jahr das zweitschlechteste Team der Liga. Momentan sieht es mit Platz drei im Osten richtig gut aus. Was ist möglich in dieser Saison?
Barnetta: Es ist noch sehr früh in der Saison, aber wir sind froh, dass wir besser aus den Startlöchern gekommen sind als die letzten Jahre. Es war in den vergangenen Jahren oft so, dass die Jungs schlecht gestartet sind und dann hinterherlaufen mussten. Von daher sind wir zufrieden, wie es bisher läuft. Wir haben eine Menge Qualität im Kader, können auch ein bis zwei Ausfälle kompensieren. Ich bin zuversichtlich, dass wir dieses Jahr die Play-offs erreichen. Das ist auch das große Ziel.
Einer ihrer Teamkollegen ist Fabian Herbers, der eine überragende College-Saison gespielt hat, bisher aber nur von der Bank kommt. Was ist er für ein Typ und was trauen Sie ihm zu?
Barnetta: Er ist ein klasse Typ, ein klassischer Stürmer, geht immer dahin, wo es weh tut. Das sieht man in jedem Training, wo er immer seine Tore macht. Deshalb hat er auch schon in der Liga seine Einsatzzeiten erhalten. Es ist nicht selbstverständlich, als Rookie immer dabei zu sein und in jedem Spiel im Kader zu stehen. Wenn du führst, ist es natürlich schwierig, noch einen Stürmer zu bringen. Wenn wir hinten liegen, ist er immer einer der Ersten, die reinkommen. Ich bin sicher, dass er seinen Weg gehen und viele wichtige Tore für uns erzielen wird.
Sie sind mit einer Verletzung in die Saison gestartet. Jetzt läuft es ordentlich. Ein Tor und zwei Assists in den letzten vier Spielen, zuletzt sogar Kapitän der Mannschaft. Bei wie viel Prozent sehen Sie sich im Moment?
Barnetta: Schwer zu sagen. Ich bin noch nicht ganz bei 100 Prozent, das ist klar. Ich habe noch kein Spiel über 90 Minuten gemacht und war froh, dass ich ein Spiel von der Kraft her über 85 Minuten spielen konnte. Natürlich fehlt mir manchmal noch ein wenig die Spritzigkeit. Ich denke, ich brauche noch ein bis zwei Spiele, bis ich wieder ganz auf meinem Level bin.
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MLS-Highlights: Villa und Co. chancenlos in Philly

In Philadelphia gibt es die Möglichkeit, Franchises aus den vier großen US-Sportarten (Football, Baseball, Basketball und Eishockey) zu verfolgen. Haben Sie schon eines der Phily-Teams live im Stadion oder in der Halle besucht?
Barnetta: Ja, ich war bei den NHL-Play-offs. Bei den Philadelphia Flyers spielt mit Mark Streit ein Freund von mir. Von daher habe ich das schon verfolgt und war auch zwei Mal in der Halle. Leider sind sie dann in der ersten Runde ausgeschieden. Aber es ist schon Wahnsinn, was hier alles geboten wird. Ich war auch schon beim Baseball oder beim American Football. Das sind auch noch mal andere Stadien als jetzt unser kleines Schmuckstück. Es ist natürlich toll, wenn man die Möglichkeit hat, das alles zu sehen.
Waren Sie als Schweizer schon immer an Eishockey interessiert oder kam das erst jetzt durch die neue Umgebung?
Barnetta: Nein, das war ich vorher auch schon. Aber natürlich verfolgt man die NHL in Deutschland nicht so intensiv wie jetzt hier. Ich war auch ein paar Mal bei den Kölner Haien oder bei Spielen der Nationalmannschaft in der Schweiz. Es ist nicht so, dass ich ein Eishockey-Laie bin.
Für viele Fußballer ist die MLS eine typische letzte Karrierestation. Sehen Sie das für sich genauso oder erleben wir Sie noch einmal auf der europäischen Bühne?
Barnetta: Wenn es geht, würde ich sehr gerne noch mal in der Schweiz bei St. Gallen spielen, das habe ich immer gesagt. Dort bin ich groß geworden. Wann das sein wird, weiß ich noch nicht. Ich hoffe aber sehr, dass ich meine Karriere dort ausklingen lassen kann.
Herr Barnetta, ich bedanke mich für das Gespräch.
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MLS-Highlights: Philadelphia mit spätem Sieg gegen Orlando

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