Olympia 2016: Blog aus Rio - Tag 1: Krasse Gegensätze und die Quittung für Solo

Der Blick aus meinem Zimmerfenster bietet ein Bild wie aus dem Urlaubsprospekt: Die Bucht von Botafogo, der Zuckerhut mit seinen senkrecht aufsteigenden Felswänden, darüber ein blauer Himmel mit weißen Wolkentupfern. Und irgendwo hinter dem einst prachtvollen, 103 Jahre alten und nun stolz vor sich hin bröckelnden Gebäude vis-à-vis versteckt sich noch die berühmte Christusstatue.

Aber Rio ist nicht nur Traumkulisse, das verrät gleich die erste Busfahrt, von der Copacabana aus in nördlichem Bogen hinunter nach Barra da Tijuca, dem funktionalen Herzen dieser Spiele. Es geht vorbei am wenig einladenden Busbahnhof, der von einem grauen Wust aus Brücken, Straßen und Masten umgeben ist. Eine Brücke endet mitten über einer Kreuzung, einfach so. Das sieht lebensgefährlich aus - meine Vermieterin nennt diese Ecke mit dem Terminal Rodoviario Novo Rio den hässlichsten Busbahnhof der Welt.

Bis Barra passieren wir noch viele trostlose Gebäude. Die Fahrt geht vorbei an verdreckten Flüssen, in denen allerlei Unrat schwimmt, weiße Reiher auf ihren langen Beinen sich aber offensichtlich pudelwohl fühlen. Irgendwann prangt plötzlich erhaben das Maracanã über scheinbar dahingewürfelten Häusern. Noch so ein Wahrzeichen von Rio - dieser furchtbar schönen Stadt.

Das IOC hat gerade mal wieder zwei neue Sportarten zugelassen - naja, nicht ganz neue: Golf und Rugby waren Anfang des letzten Jahrhunderts schon mal olympisch.

Leider nicht ins offizielle Programm von Rio geschafft hat es die Disziplin, die ein junger Mann in hellgrünem T-Shirt in einer Seitenstraße der Avenida Pasteur aufführt. Vor den an einer Ampel wartenden Autos hat er sich hingestellt und jongliert mit gelben Bällen. Kennt man auch aus Deutschland, klar. Aber der Kerl hier jongliert nicht einfach auf der Straße, sondern auf Holzkisten. Drei davon hat er sich unter die Füße geschoben - nicht neben-, sondern übereinander.

In geschätzten 1,50 Meter Höhe wirbelt er seine Bälle in aller Seelenruhe durch die Luft. Ein halsbrecherisches Unterfangen, bei dem jedoch nichts passiert - außer dass die Ampel irgendwann auf Grün umspringt und die Autofahrer dem wagemutigen Straßenkünstler alles Gute wünschen. Tauziehen, Seilklettern und Tabak-Weitspucken waren alle mal olympisch - da hätte es die brasilianische Kisten-Variante des Jonglierens auch mal verdient.

Deutschlands Fahnenträger Timo Boll ist in diesen Tagen besonders aufmerksam. So erhaschte der freundliche Tischtenniskönner mehrfach einen Blick auf das T-Shirt des chinesischen Konkurrenten Ma Long - mit dem aufgedruckten Spruch: "Everything is possible" (Alles ist möglich). Das Motto des Weltranglistenersten will sich Boll, dem bereits im Viertelfinale ein Duell mit Ma droht, nun zu Herzen nehmen. Nach der Eröffnungsfeier, wenn es an der Platte ernst wird.

Des brasilianischen Volkes Zorn bekam Hope Solo beim ersten Spiel der US-Fußballerinnen zu hören. Bei den Abschlägen der gerne polarisierenden Torhüterin hallten ihr tausendfach "Zika"-Rufe und diverse Schmähungen in den Ohren. Es war die Quittung dafür, dass Solo wegen des in Brasilien grassierenden Virus' laut an einen Olympia-Verzicht gedacht hatte. Jetzt ist sie da, das Zika-Problem im brasilianischen Winter kein Thema mehr - was Solo nicht davon abhielt, sich in den Sozialen Netzwerken in Anti-Mücken-Montur und vor einem Berg von Insektenschutzmitteln zu präsentieren.