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Tony Martins "Vorgänger": Stürze, Schmerzen, Schande - Dramen in Gelb bei der Tour de France

Andreas Schulz

Update 10/07/2015 um 08:18 GMT+2 Uhr

Stürze, Schmerzen, Schande - Dramen in Gelb hat es in der Tour-Geschichte oft gegeben: Unter Tony Martins "Vorgängern" finden sich Pechvögel, Helden & Betrüger.

Tony Martin (Etixx), Tour de France 2015: Tragisches Aus nach Sturz und Schlüsselbeinbruch in Le Havre

Fotocredit: Imago

Tiefschlag nach Höhenflug: Tony Martins Tour-Geschichte ist um ein neues dramatisches Kapitel reicher (mehr dazu: Tony Martins Tour de France: Stürze, Siege, Sensationen).
Und auf dem "maillot jaune" scheint 2015 wirklich fast eine Art Fluch zu liegen. Auftakt-Sieger Rohan Dennis wird auf der 2. Etappe im Wind von seinem Team "geopfert", das in der ersten Gruppe Tempo macht, während der Australier im zweiten Teil des Feldes macht- und kampflos zusehen muss.
Tags darauf stürzt Fabian Cancellara so schwer, dass auch er Gelb nicht verteidigen kann, sondern sich mit gebrochenen Lendenwirbeln ins Ziel quält. Und mit dem Schweizer kommt auch Tom Dumoulin zu Fall, der an jenem Tag beste Chancen hatte, in der Gesamtwertung ganz nach vorne zu kommen.
Jetzt also Tony Martin - sein Pech gibt Anlass dazu, an die anderen Fahrer zu erinnern, deren Zeit in Gelb auch viel früher als gedacht endete: Oft waren unter Schmerzen und Tränen Stürze die Ursache, manchmal Betrug, mal Teamorder - und einmal auch eine ganz große Geste.
1951: Das Wunder
Auf dem Weg von Dax nach Tarbes hat der Träger des Gelben Trikots, Wim van Est, riesiges Glück im Unglück. Der Niederländer, am Tag zuvor Etappensieger und ins "maillot jaune" geschlüpft, stürzt in der Abfahrt vom Col d'Aubisque rund 40 Meter tief - bleibt aber wie durch ein Wunder fast unverletzt, wird durch ein aus Fahrradschläuchen zusammengeknotetes "Seil" wieder hoch zur Straße gezogen. Zwar hat er sich nur Schürfwunden zugezogen und klettert noch einmal aus dem Krankenwagen, um sein Rad zu besteigen - doch sein Teamchef überredet ihn dazu, doch lieber ins Krankenhaus zur Kontrolle zu fahren.
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Wim van Est, Tour 1951

Fotocredit: AFP

1980: Knie stoppt den "Dachs"
Bernhard Hinault muss sich nur ganz selten geschlagen geben - doch 1980 ist gegen seine Kniebeschwerden kein Kraut gewachsen. Die 12. Etappe beendet er noch in Gelb, doch da ist im Team schon klar, dass der große Favorit nicht weiterfahren kann. Der Franzose stiehlt sich durch den Hinterausgang aus seinem Hotel und verlässt die Stadt noch am Abend.
1971: Sturz-Drama in den Pyrenäen
In jenem Sommer scheint "Kannibale" Eddy Merckx seinen Meister zu finden: Mehr als sieben Minuten Vorsprung hat Luis Ocana auf den Belgier, als es auf die 14. Etappe geht. Doch im strömenden Regen kommt es in der Abfahrt vom Col de Menté zum Uglück: Der Spanier stürzt so schwer, dass die Tour für ihn sofort beendet ist.
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1971 Tour de France Luis Ocana

Fotocredit: AFP

1983: Simons Leidensweg
Die Aufgabe von Pascal Simon im Gelben Trikot kündigt sich 1983 über Tage hinweg an. Denn der Spitzenreiter verletzt sich bei einem Sturz schwer an der Schulter - doch er weigert sich, die Waffen zu strecken. Sechs Tage lange beißt er auf die Zähne, denn er hat eine echte Chance auf den Tour-Sieg. Doch auf der 17. Etappe siegt der Schmerz und der Franzose muss sich geschlagen geben.
1998: Prolog-Sieger im Pech
Nicht einmal zwei ganze Etappen kann Chris Boardman in Irland als Träger des Gelben Trikots absolvieren. Ein Sturz bringt das britische Zeitfahr-Ass auf dem zweiten Teilstück um seine Chance, das "Maillot jaune" bis nach Frankreich zu tragen. Zu schwer verletzt sich der GAN-Profi beim Aufprall auf eine Mauer, für ihn schlüpft Erik Zabel in Gelb.
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Chris Boardman, Tour de France 1998

Fotocredit: Eurosport

1950: Abreise vor dem Auftritt
Fiorenzo Magni hat die fragwürdige Ehre, Gelb zwar erobert, aber nie im Rennen getragen zu haben. Der Italiener übernimmt nach der 11. Etappe die Spitze, doch zum 12. Teilstück tritt die Auswahl der "Azzurri" nicht mehr an. Nach wilden Drohungen gegenüber Teamkapitän Gino Bartali, der angeblich einen französischen Fahrer zu Fall gebracht haben soll, verlassen die italienischen Fahrer die Rundfahrt.
2005: Unglücksrabe aus den USA
Vom Traum zum Alptraum wird die Tour 2005 für David Zabriskie: Im Zeitfahren zum Auftakt noch der strahlende Sieger, knapp vor Landsmann Lance Armstrong, folgt auf der 4. Etappe statt dem nächsten Coup die harte Landung. Dabei ist Zabriskie mit seinem CSC-Team im Mannschaftszeitfahren bis in den Zielort bestens unterwegs - bis der Träger des Gelben Trikots in einem Moment der Unachtsamkeit stürzt. Das Team verliert damit um wenige Sekunden den Tagessieg, Zabriskie das "yellow jersey". Immerhin: Er kann im Rennen bleiben - und Armstrong streift sich am nächsten Tag Gelb nur unter Protest und auf Druck der ASO über.
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David Zabriskie, Tour de France 2005

Fotocredit: AFP

1905: Kurze Ehre für Kletterkönig
Noch bevor 1919 überhaupt das Gelbe Trikot eingeführt wird, gibt es Dramen um Tour-Spitzenreiter. Dabei schreibt Rene Pottier erst einmal Geschichte, denn in jener Rundfahrt geht es als Berg-Premiere in die Vogesen und der Franzose beeindruckt am Ballon d'Alsace, den er als Spitzenreiter überquert (und wo heute eine Gedenktafel an ihn erinnert). Doch der frischgebackene Spitzenreiter kann sich nicht lange freuen - eine Zerrung beendet das Rennen für ihn schon am nächsten Tag.
1996: Heulot ein Häufchen Elend
Erst Sommermärchen, aber dann kein "happy end": Stéphane Heulot tauscht auf der 4. Etappe sein Meistertrikot gegen Gelb, doch mit dem Nahen der Alpen verschlimmern sich von Tag zu Tag auch seine Kniebeschwerden. Auf der ersten Bergetappe ist es dann bei übelstem Wetter um Heulot geschehen. Er muss dem Schmerz Tribut zollen und unterwegs vom Rad steigen.
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Stephane Heulot, Tour de France 1996

Fotocredit: Eurosport

1937: Teamorder im Doppelpack
Viel chaotischer kann eine Tour nicht laufen: Erst holt sich Rad-Ikone Gino Bartali souverän Gelb, doch stürzt er tags darauf auf einer Abfahrt in den Alpen in einen Fluss. Zwar gibt er nicht auf, doch die Führung kann er mit seinen Verletzungen nicht verteidigen. Deshalb nimmt Italien seine beiden Nationalauswahlen wenig später ganz aus dem Rennen. Der Weg scheint frei für Vorjahressieger Sylvère Maes, der Gelb durch die Pyrenäen trägt. Doch als er für ein kleines Vergehen eine Zeitstrafe erhält, packt nun auch der Belgier seine Sachen.
1991: Schlüsselbein stoppt Sörensen
Ähnlich wie für Tony Martin endet die Fahrt in Gelb 1991 für Rolf Sörensen: Der Däne vom Ariosta-Rennstall stürzt im Finale der 5. Etappe auf dem Weg nach Valenciennes wenige Kilometer vor dem Ziel, bricht sich das Schlüsselbein und muss sich von der Tour verabschieden.
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Rolf Sörensen, Tour de France 1991

Fotocredit: Eurosport

1989: Wer zu spät kommt...
Einmalig ist der Auftritt von Pedro Delgado in Luxemburg. Ok, der Spanier trägt beim Tour-Start im Großherzogtum Gelb "nur" ehrenhalber als Gesamtsieger des Vorjahres. Doch noch bevor er auch nur startet, hat er es auch schon verloren. Denn Delgado verpasst seine Startzeit, fast drei Minuten tickt die Uhr, bis er endlich von der Rampe rollt. Ein Gelbes Trikot, das schon vor dem ersten Meter verloren ist...
2010: Bluff mit bitterem Ende
Herrlich - erster Ruhetag in den Alpen, nur der am Vortag in Morzine in Gelb geschlüpfte Cadel Evans macht sich seltsam rar. Die Auflösung kommt auf der folgenden 9. Etappe: Der Australier muss plötzlich zur Überraschung aller die Gegner ziehen lassen, verliert acht Minuten auf seine Rivalen. Im Ziel weint er bittere Tränen im Arm seines BMC-Teamkollegen, der ihn auf dem Leidensweg begleitet hat. Wenig später wird das Geheimnis gelüftet: Evans hatte sich auf der ersten Alpenetappe den Arm gebrochen, sich dort aber noch mit den Besten ins Ziel gekämpft. Jetzt ist der Schmerz zu groß und er muss Gelb nicht kampflos, aber eben chancenlos abgeben.
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Tour 2010 BMC Evans

Fotocredit: Imago

1932: Stöpel und die Schläuche
Als erster Deutscher fährt Kurt Stöpel im Jahr 1932 bei der Tour ganz nach vorne. Durch seinen Sieg auf der 2. Etappe erobert er Gelb - nur um es schon am nächsten Tag wieder abgeben zu müssen. Der Berliner ist dabei vom Pech verfolgt: Nicht weniger als sieben Defekte erwischen ihn - sein Material war von schlechterer Qualität als jenes der Favoriten aus der französischen Nationalmannschaft. Doch Stöpel lässt sich davon nicht entmutigen, sondern wird jene "grande boucle" in Paris auf Rang zwei beenden.
2007: Vom Gipfel in den Abgrund
Michael Rasmussen wähnt sich am Ziel: Nach seinem Sieg auf der letzten Bergetappe am Col d'Aubisque führt er die Tour nach 16 Etappen mit über drei Minuten Vorsprung auf Alberto Contador an. Doch am Tag nach dem Ausschluss der Astana-Mannschaft kommt der nächste Doping-Skandal direkt im Anschluss. Noch am Abend nimmt das Rabobank-Team seinen Kapitän und Gelb-Träger aus dem Rennen - zu massiv werden die Doping-Indizien gegen ihn. Der designierte Sieger flüchtet in der Nacht.
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Tour de France 2007: Michael Rasmussen in Gelb

Fotocredit: Imago

1968: Wolfshohl wartet vergebens
Der erste deutsche Tour-Sieg scheint 36 Jahren nach Stöpel plötzlich möglich. Auf der 16. Etappe erobert der Kölner das Gelbe Trikot und kann sich angesichts überschaubarer Konkurrenz durchaus Hoffnungen machen, die Führung die letzte Tour-Woche hindurch zu verteidigen. Doch auf der 18. Etappe stürzte er in der Abfahrt vom Col de Porte in den Alpen. Zwar kann er weiterfahren - doch dazu müsste erst wieder ein funktionierendes Rad her! Minutenlang wartet Wolfshohl auf ein Begleitfahrzeug, vergebens. Dann kommt zumindest sein letzter verbliebener Teamkollege aus der deutschen Mannschaft bei ihm an und überlässt ihm sein Rad. Im Ziel aber hat Wolfshohl 7:34 Minuten verloren. Die bittere Bilanz: In Paris kommt er schließlich mit 3:46 Rückstand auf dem sechsten Gesamtrang an.
1978: Schande von Alpe d'Huez
Eine äußerst unrühmliche Rolle spielt Michel Pollentier in der Tour-Historie. Dabei setzt sich der Belgier auf der 16. Etappe nach Alpe d'Huez vor allen Assen durch und übernimmt sogar Gelb. Doch im Rennen wird er es nicht tragen, denn bei der Dopingkontrolle kommt es zum Eklat. Pollentier wird dabei erwischt, wie er die Tester überlisten will. Aus einer an seinem Körper befestigten Plastikblase versucht er, fremden Urin heimlich in den Flakon zu füllen. Auf frischer Tat ertappt muss er die Tour sofort verlassen.
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Michel Pollentier Tour 1978

Fotocredit: Getty Images

Sonnenstrich, Gabelbruch & Co.:
1965 klettert Bernard van de Kerckhove den gefürchteten Aubisque im Gelben Trikot hinauf, als er Opfer eines Sonnenstichs wird und bei dieser ersten Bergetappe vom Rad steigt.
1929 ist Victor Fontan nach der ersten Kletterpartie in den Pyrenäen fast zehn Minuten vor der Konkurrenz. Doch seine Freude währt nur kurz: Seine erste Etappe in Gelb beendet er nie. Ein Gabelbruch besiegelt sein Schicksal, denn er darf sein Rad unterwegs nicht wechseln.
1927 muss erstmals ein Gelbes Trikot aufgeben: Francis Pélissier ist am fünften Tag als Spitzenreiter zu krank, um die Rundfahrt fortzusetzen.
2001: Voigt aus Gelb "gespült"
Zu den Fahrern, die Gelb unerwartet und viel früher als gedacht wieder ausziehen müssen, gehört aber aus außergewöhnlichen Gründen auch Jens Voigt. Als souveräner Spitzenreiter macht er sich auf die 8. Etappe der Tour 2001, müsste Gelb nach allen Plänen über die nächsten Tage bis nach Alpe d'Huez tragen - und findet sich im Ziel aber plötzlich eine halbe Stunde hinter dem neuen Träger des Gelben Trikots wieder - ohne gestürzt oder erkrankt zu sein. Möglich macht den Wechsel der sintflutartige Regen, in dem sich eine große Ausreißergruppe absetzt - und die mag niemand so recht verfolgen. Kleiner Trost: Immerhin übernimmt Voigts Freund und Teamkollege Stuart O'Grady das "maillot jaune".
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Jens Voigt, Tour de France 2001

Fotocredit: AFP

Und als Ausgleich darf Voigt 2006 in ähnlicher Situation eine Etappe gewinnen, als das Feld wieder "Arbeitsverweigerung" betreibt und eine halbe Stunde hinter der Spitze ankommt. Gelb holt sich dabei Oscar Pereiro - der Grundstein für seinen Toursieg.
2013: Große Geste von Gerrans
Schließlich noch ein Gelb-Wechsel, der ohne Sturz, Schmerzen oder Seltsamkeiten, sondern als Geschenk geschieht. Bei der 100. Tour hat Simon Gerrans zusammen mit seinen Orica-Teamkollegen das Mannschaftszeitfahren gewonnen. Zeitgleich führen drei Profis des Rennstalls die Gesamtwertung an, die Addition der Etappenplatzierungen entscheidet über die Reihenfolge. Im Finale der 6. Etappe dann die große Geste: Gerrans rollt nur im Feld mit, während Daryl Impey sich unter die Sprinter mischt und so als erster Südafrikaner Gelb übernimmt. "Was hätten mir noch ein paar Tage in Gelb gebracht", so Gerrans, "ohne Daryl hätte ich es selbst nie getragen."
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Daryl Impey bei der Tour 2013

Fotocredit: AFP

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