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WM in Lahti: Jochen Behle im Interview: "Der Nachwuchs wurde vernachlässigt"

VonSID

Publiziert 22/02/2017 um 17:29 GMT+1 Uhr

Am Donnerstag beginnt für die deutschen Skilangläufer in Lahti die Ski-WM, es drohen die dritten Titelkämpfe in Folge ohne Medaille. Der ehemalige Bundestrainer Jochen Behle spricht im Interview über seine Erwartungen. Der Eurosport-Experte und Co-Kommentator zeichnet für die Zukunft des deutschen Skilanglaufs ein eher düsteres Bild.

Jochen Behle

Fotocredit: Imago

Jochen Behle, erleben wir in Lahti die dritte WM in Folge ohne deutsche Skilanglauf-Medaille?
Jochen Behle (56, ehemaliger Bundestrainer): Bei den Herren ja, ohne jede Diskussion. Bei den Damen weiß ich nicht so recht. Im Teamsprint und der Staffel ist etwas möglich, wir haben schon eine gute Mannschaft. Im Einzel wird es aber schwer.
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Wie bewerten Sie die Vorleistungen?
Behle: Zweigeteilt. Bei den Damen lief es nicht so schlecht. Im Einzel hatten wir auch in der Vergangenheit nur selten Kandidatinnen für das Podest, es ging meist um die Team-Wettbewerbe. Das hat sich dieses Jahr bestätigt.
Nicole Fessel war zu Saisonbeginn starke Fünfte, landete zuletzt aber um den 20. Rang herum. Was ist die wahre Nicole Fessel?
Behle: Ihr wahres Leistungsvermögen ist der fünfte Platz, das hat sie schon mehrfach gezeigt. Sie hat das wirklich drauf. Nicole muss gesund bleiben, dann ist sie eine der Kandidatinnen, die um das Podest laufen kann.
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Deutsche WM-Hoffnung Nicole Fessel

Fotocredit: SID

Wer macht Ihnen noch Hoffnung?
Behle: Von Victoria Carl gab es zu Saisonbeginn ebenfalls gute Ergebnisse, zuletzt auch von Stefanie Böhler. Zudem haben wir junge Läuferinnen wie Sofie Krehl oder Katharina Hennig. Da mache ich mir relativ wenig Sorgen, auch weil die Konkurrenz nicht so groß ist.
Und die Männer?
Behle: Da sieht es auf Deutsch gesagt richtig schlecht aus. Fairerweise muss man sagen, dass Leistungsträger wie Jonas Dobler und Andi Katz lange ausgefallen sind, ebenso Hannes Dotzler, den ich für das größte Talent halte. Aber dann haben wir auch einen Tim Tscharnke, der nicht wirklich auf die Füße kommt. Da kommt nicht viel. Die anderen, wie Valentin Mättig, Thomas Wick oder Lucas Bögl, bieten für ihre Möglichkeiten gute Leistungen, aber das reicht nicht für den Anschluss an die Weltspitze. Hinzu kommt, dass aus dem Nachwuchs niemand nachdrängt. Das wird auch auf längere Sicht so aussehen.
Woran liegt das?
Behle: Wenn ich das wüsste. Ich habe zu meiner Zeit als Bundestrainer immer viel Wert darauf gelegt, dass auch die Läufer hintendran ihre Chance bekommen. Jetzt ist das zum Glück auch wieder der Fall. Aber dazwischen, in den drei Jahren nach mir, war das ein bisschen schwieriger. Wenn der Bundestrainer nicht einmal die Namen der Nachwuchsleute kennt, ist das bedenklich.
War das so?
Behle: Allerdings. Wenn ein Florian Notz 2014 in Lahti Weltcup-Siebter wird, und der Trainer (Ex-Bundestrainer Frank Ullrich, d.Red.) nicht weiß, wer das ist, dann kann das nicht sein. Daran sieht man, dass der Nachwuchs vernachlässigt wurde, und das bekommen wir jetzt zu spüren. Klar, man kann nicht immer Talente wie Tobias Angerer oder Axel Teichmann haben. Aber es hat etwa bei Tim Tscharnke keine Entwicklung gegeben. Seine beiden Weltcup-Siege waren schon sehr überraschend.
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Fotocredit: SID

Vor zwei Jahren haben Sie kritisiert, es würde zu wenig trainiert...
Behle: Dabei bleibe ich auch. Wir haben jetzt einen norwegischen Trainer, der sah dies genauso. In Norwegen ist härteres Training völlig normal. Ich habe immer gesagt: Wir müssen mehr machen. Im weiblichen Bereich liegt die Messlatte inzwischen schon höher. Aber bei den Männern haben wir gar nicht die Talente dafür. Ich weiß gar nicht, wie die eine Staffel aufstellen wollen. Das werden mehrere Übergangsjahre, nicht nur eines.
Besteht überhaupt Hoffnung, junge Menschen für den Skilanglauf zu begeistern?
Behle: Talent hin oder her, am Ende muss man vor allem extrem fleißig sein, schon in jungen Jahren. Das betrifft nicht nur den Skilanglauf. Ich bin ja noch im Nachwuchs tätig. Da wollen die Eltern mitreden, ob viel oder wenig trainiert wird. Da kann ich nur lachen. Das hätte es früher nicht gegeben.
Sie sehen schwarz?
Behle: Schauen Sie: Ich hatte früher um 13 Uhr Schulschluss und konnte am Nachmittag trainieren. Heute dauert die Schule bis 15.30 Uhr, dann ist es fast dunkel und es gibt nur noch begrenzte Möglichkeiten. Aber schon im Schulsport stimmt es nicht mehr. Schauen Sie sich die Leute mal an, die können kaum noch einen Purzelbaum.
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