Borussia Dortmund und Thomas Tuchel sind gefangen zwischen den hohen Ansprüchen und der Realität

Tobias Bach

Update 30/11/2016 um 18:24 GMT+1 Uhr

Thomas Tuchel fand nach der Pleite von Borussia Dortmund bei Eintracht Frankfurt ungewohnt deutliche Worte zur Leistung seiner Mannschaft. Doch auch der Trainer selbst steht in der Kritik, ist mit seiner Rotation verantwortlich für die wellenartigen Unterschiede in den Auftritten des jungen BVB-Teams, das nach einem guten Drittel der Saison zwischen Anspruch und Wirklichkeit gefangen scheint.

Thomas Tuchel (Borussia Dortmund)

Fotocredit: Imago

Thomas Tuchel konnte sich nach der 1:2-Niederlage bei Eintracht Frankfurt nicht mehr zurückhalten und holte zur Generalkritik an seiner Mannschaft aus. Tuchels Ansprüche an seine Mannschaft sind hoch - vielleicht zu hoch?
In der beginnenden Vorweihnachtszeit gleicht der BVB eher einem Überraschungspaket, als einer konstanten Spitzenmannschaft. Das missfällt Tuchel. Denn beim BVB weiß man in dieser Saison einfach nicht, was drin ist...

Hohe Ansprüche, überhöhte Erwartungen

Die Ansprüche an die Borussia sind - wie immer - hoch. Vor der Saison wurde so viel ins Team investiert wie nie zuvor. Das schürt Erwartungen. Da spielen auch die prominenten Abgänge, wie Mats Hummels oder Henrich Mchitarjan keine Rolle. In einzelnen Partien, wie z.B. in der Champions League gegen Real Madrid oder gegen Bayern München, erfüllt der BVB auch die großen Hoffnungen seiner Anhänger. Das Problem ist, auf Dauer fehlt dem Team die Konstanz.
Nach dem schwachen Auftritt bei der Eintracht sprach Tuchel die Missstände offen an, fokussierte sich dabei komplett auf seine Spieler und ließ kein gutes Haar an ihnen:
Von der Trainingswoche angefangen nach dem Champions-League-Spiel bis zum Spiel hier und heute von der ersten bis zur letzten Minute war das eine Leistung, die keinen einzigen Punkt verdient hatte. Und das zum wiederholten Male. Unsere ganze Saison verläuft in einem ständigen Auf und Ab. Das ist sehr unbefriedigend. Technisch, taktisch, mental, Bereitschaft - komplett. Unsere Leistung war ein einziges Defizit.
Von Selbstkritik findet sich in diesen Worte keine Spur, dabei geht es schon bald in die Winterpause und die Borussia steht in der Liga nur auf Platz sieben. Tabellenführer RB Leipzig und Bayern München sind auf neun respektive sechs Punkte enteilt. Dortmund hingegen ist gefangen zwischen dem eigenen Anspruch, eine Spitzenmannschaft zu sein und der weniger glanzvollen Realität. Überraschungsteams wie Köln, Hoffenheim und Frankfurt stehen vor Schwarz-Gelb in der Tabelle. Selbst Rivale Schalke 04 ist trotz des Fehlstarts mit fünf Niederlagen in Serie nur noch vier Punkte hinter der Borussia.

Überfordert Tuchel sein Team?

Der Knackpunkt hinter der Trainer-Kritk am Team ist aber, dass Tuchel selbst Fehler unterlaufen. Der 43-Jährige rotiert munter durch. Das hat er schon immer gemacht, auch zu Mainzer Zeiten. Derzeit schadet er seiner Mannschaft damit aber scheinbar mehr als er ihr hilft. Den neu zusammengestellten Kader behandelt Tuchel wie ein "fertiges" Team. Teilweise acht Personalwechsel von Spiel zu Spiel, immer wieder neue Systeme und regelmäßige Verschiebungen auf den einzelnen Positionen schaden dem Spielfluss seiner extrem jungen Truppe. Diese bräuchte vielmehr eine klare spielerische Linie, um die Team-Entwicklung in diesem Übergangsjahr zu voranzutreiben.
Spieler wie Shinji Kagawa wechseln zwischen Tribüne und Startelf, andere Akteure wie Adrián Ramos zwischen mehreren Positionen. Gerade im Fall des Kolumbianers bleibt offen, was sich Tuchel in Frankfurt mit seiner Nominierung auf der Außenbahn gedacht hat. Der gelernte Mittelstürmer ist weder richtig schnell, noch besonders stark im Dribbling. Gegen die Eintracht ging das Experiment mit Ramos schief - wie bereits beim Remis in Ingolstadt.

Fehlende Automatismen und ein Mangel an Führungsspielern

Als Konsequenz ergeben sich fehlende Automatismen im Zusammenspiel der Borussia und ein Mangel an Führungsspielern, die auf einem gleichbleibend hohen Niveau überzeugen. Auf der anderen Seite darf man die vielen Verletzungen nicht außer Acht lassen. Außer dem verletzten Stammtorwart Roman Bürki (Handbruch) stehen erst jetzt fast fast alle Spieler zur Verfügung.
Trotzdem bleibt die Erkenntnis: Aus der neu zusammengestellten Mannschaft hat sich bislang lediglich Innenverteidiger Sokratis als ein konstanter Eckpfeiler hervorgetan. Leistungsträger wie und Dauer-Ballverteiler Julian Weigl ist mit seinen 21 Jahren noch nicht in die Rolle eines echten Anführers hineingewachsen - das zu erwarten, wäre dem Nationalspieler gegenüber auch nicht fair.
In einigen unangenehmen Spielen, wie bei Überraschungsmannschaft Eintracht Frankfurt oder dem FC Ingolstadt, offenbarten sich auch dadurch fehlende Stabilität und Sicherheit im Auftritt des BVB.
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Thomas Tuchel während dem Spiel des BVB in Frankfurt

Fotocredit: Imago

Tuchel wird zum Rumpelstilzchen

Inhaltlich trifft die Tuchel-Kritik den Kern. Fraglich bleibt aber, ob sie so deutlich auf der Pressekonferenz nach dem Spiel geäußert werden muss. Auffällig bleibt auf jeden Fall: Im Nachgang stellte sich niemand hinter die Aussagen des Trainers und sprang ihm bei, weder Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke noch Sportdirektor Michael Zorc - auch die Spieler nicht.
Dass Tuchel nach Niederlagen zum Rumpelstilzchen werden kann, ist nicht neu. Die ungewohnte Schärfe in der direkten Kritik an seiner Mannschaft sowie die fehlende Reaktion auf seine Worte lassen darauf schließen, dass es bei den Schwarz-Gelben derzeit nicht spannungsfrei zugeht.
Nach dem verlorenen Pokalfinale im Mai 2016 gegen Bayern München ging Tuchel einige Spieler harsch an. Im Interview kurz nach der 0:2-Niederlage bei Bayer Leverkusen sorgte er für Verwunderung, als er die Foulstatistik der Leverkusener anprangerte. Damals stellte sich Watzke noch öffentlich hinter ihn - dieses Mal nicht.

Gemeinsam lernen, gemeinsam erfolgreich sein

Fachlich ist der Trainer Tuchel über jeden Zweifel erhaben, und selbst Spieler, die wenig von ihm eingesetzt werden, sprechen positiv von ihm. Doch mittlerweile sollen sich die Stimmen mehren, die über seine anstrengende Art seufzen.
Genau wie sein Team könnte der allseits anerkannte Tuchel seine erste Champions-League-Saison als Lernphase sehen und über die eigene taktische Marschroute hinaus fragen: Wann braucht das Team Rückendeckung und wann den nötigen Ansporn? Wann ist das Mittel der Rotation richtig oder wichtig?
Am Dienstag setzte Tuchel auf Lockerheit und gute Laune. Die Trainingseinheit begann mit einem launigen Basketball-Spiel. Am Samstag geht es zu Hause gegen das kriselnde Borussia Mönchengladbach (15:30 Uhr im Liveticker). Man darf gespannt sein, was dann drin ist in der "Wundertüte BVB".
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