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Der LIGAstheniker: Bayern mit Heynckes - Messias oder Matchplan, das ist jetzt die Frage

Thilo Komma-Pöllath

Update 16/10/2017 um 13:08 GMT+2 Uhr

Der FC Bayern hat mit Jupp Heynckes einen fitten Rentner auf die Trainerbank gesetzt. Aber kann der Messias in so kurzer Zeit eine tragfähige Zukunftsformel für den Weltklub kreieren? Der LIGAstheniker blickt auf die Münchner, die am Wochenende beim 5:0 gegen Freiburg den Jupp-Effekt bejubelten. Aber reicht das? Oder erleben wir die spannendste Bundesliga-Saison seit zehn Jahren?

Jupp Heynckes (FC Bayern München)

Fotocredit: Imago

In Zeiten des Wandels, ist die Sehnsucht nach der guten alten Zeit besonders groß. Da passt es ins Bild, dass der FC Bayern seine Zukunft mit einem fitten Rentner auslotet und das Fanvolk darin einen liturgischen Akt vermutet. So gesehen letzten Samstag halb vier, vor fast 80.000 Gläubigen in der Fußballgottesdienstarena in Fröttmaning.
Der Kollege von Spiegel Online notierte, dass sich die Besucher "ergriffen" von ihren Hartschalensitzen erhoben, als gelte es dem "Messias persönlich" zu huldigen, gemeint aber war ein 72-jähriger Fußballtrainer. Ein Pfennigfuchser, wer da einen groß Unterschied ausmachen möchte. Er ist also wieder da der sakrosankte Jupp, der die Schubumkehr des FC Bayern einleiten soll, zurück in die europäische Spitze. Die Frage bleibt, ob ein Heynckes dafür ausreicht.

Das kann Jupp: Hund und Katz und FC Bayern

Das Freiburg-Spiel vom Samstag hilft dabei erst mal nicht viel weiter, als die erhitzten Vorstandsgemüter bis zum nächsten Spiel (am Mittwoch 20:45 Uhr gegen Celtic Glasgow im Eurosport.de-Liveticker) zu beruhigen. Das 5:0 ist – bis dato - nur der so oft erlebte kurzfristige Effekt eines Trainerwechsels. Zu sehen war eine motivierte Truppe, die ihm, dem Jupp, gefallen wollte. Das schmeichelt ihm, das Ende der Krise war es nicht.
Die Anfälligkeiten in der Abwehr, die kaum erkennbare Struktur im Spielaufbau als Ancelotti-Hinterlassenschaft, das immer noch viel zu oft behäbige Tempo gerade im vertikalen Spiel, das ist international bestenfalls gehobene Mittelklasse. Zumindest: vorne treffen sie wieder. Und sie bringen auch eine Führung über die Zeit. Nennen wir es den Jupp-Effekt, der in seinen ersten Tagen vor allem mit den Spielern persönlich gesprochen hat, während sein Co Hermann das Trainingsdidaktische organisierte.
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Kingsley Coman, Thomas Müller und Arjen Robben

Fotocredit: Eurosport

In der unfreiwillig komischen Inthronisierungs-PK hatte Vorstandssprecher Rummenigge über die Expertise seines neuen Trainers, zugleich ein profunder Tierfreund, kundgetan: Wer Hund und Katz befrieden könne, der könne auch den FC Bayern wieder zum Erfolg führen. Mit Verlaub: Nur mit der Moderation der unterschiedlichen Strömungen innerhalb des Teams wird es nicht getan sein. Die Unwucht in Kader und System ist zu groß, als dass der FC Bayern mit ein paar warmen Worten ad hoc alte Souveränität zurückgewönne.

Matchplan statt Messias

Die direkte Meister-Konkurrenz aus Dortmund, Leipzig und Hoffenheim hat ein anderes Rezept entwickelt: nicht Messias, sondern Matchplan, nicht Einzelner, sondern Kollektiv, kein Führungsvakuum a la Rummenigge vs. Hoeneß, sondern ein hohes Maß an Struktur, Führung und Idee soll den Erfolg sicherstellen. Bei den Bayern fragt man sich derweil: Welches Kollektiv, welche Idee?
Interessant wie München den Heilsbringer Heynckes feierte, und Leipzig-Trainer Hasenhüttl (Frage: Ist der Ex-Bayern-Amateur mit seiner alpin-robusten und zugleich hoch innovativen Spielweise nicht der perfekte Bayerntrainer der Zukunft weit vor Tuchel, Klopp & Co.?) nur wenige Stunden später in Dortmund explizit auf den von seiner Mannschaft verinnerlichten Matchplan verwies, der den Rückstand drehen konnte. Nicht der Geniestreich einer Einzelbegabung und auch nicht irgendein Rückstand, immerhin erste Heimniederlage des BVB nach 41 Spielen. Das nennt man ein "Spitze"-Statement des verhassten Neoklubs.

Alles auf Anfang

Also: Alles auf Anfang bei Bayern, und damit auch in der Liga. Wenn in diesem Jahr tatsächlich diese vier Klubs um die Meisterschaft spielen, weil die Bayern eine strukturelle Delle auf vielen Ebenen (Klubführung, Trainer, Kader, Taktik) bewältigen müssen, während die anderen aufgeholt haben, dann könnte es die spannendste Saison der letzten zehn Jahre werden.
Fraglich bleibt dabei, wie ein Rentner in so kurzer Zeit die Zukunftsformel für einen Weltklub formulieren soll, wenn zum Rückrundenstart, spätestens im Frühjahr, der neue Cheftrainer ohne Haltbarkeitsdatum feststeht und damit auch die fußballerische Vision des FC Bayern 2020. Ausgerechnet dann, wenn die Titel verteilt werden, könnte aus dem Heilsbringer eine "lame duck" werden, ein pussierlicher Platzhalter, der sich heim zu Hund und Katz wünscht.

Zur Person Thilo Komma-Pöllath:

Der Sportjournalist und Buchautor ("Die Akte Hoeneß") beleuchtet in seinem wöchentlichen Blog "Der LIGAstheniker" das Geschehen in der Fußball-Bundesliga für Eurosport.de. Oft skeptisch, ironisch, kritisch - aber einer muss schließlich den Ball flach halten.
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