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Der LIGAstheniker: BVB-Krise - Von Wunsch und Wirklichkeit erster Bayern-Jäger zu sein

Thilo Komma-Pöllath

Update 06/11/2017 um 17:39 GMT+1 Uhr

Der LIGAstheniker Thilo Komma-Pöllath nimmt in seinem Blog die BVB-Krise unter die Lupe. Warum läuft's bei den Schwarz-Gelben nicht? Müssen die Dortmunder ihre Ansprüche herunterschrauben? Spätestens nach der Niederlage gegen den FC Bayern München sollte der BVB nicht nur die eigene Erwartungshaltung, sondern vielleicht auch die Spielidee von Trainer Peter Bosz überdenken. Ein Erklärungsansatz.

Marcel Schmelzer (Borussia Dortmund)

Fotocredit: Getty Images

Dass es in Dortmund Menschen gibt, die den deutschen Clásico nicht zu Ende sehen wollen, lieber rechtzeitig bei ihrem Auto sind, um den Stau zu vermeiden, das kannte man bis zum Wochenende eher aus München.
Ab der 80. Minuten staute es sich in den Gängen der Dortmunder Fußballarena, viele hörten erst aus dem Autoradio, dass dem Kollegen Bartra in der 88. Minute noch der Anschlusstreffer gelungen war. Da hatten viele BVB-Fans bereits genug.
Dass es das gibt, Fans, die genug haben vom BVB, auch das eine Erscheinung neueren Datums. Dabei war, das muss man ehrenhalber dazu sagen, das Spiel ihrer Mannschaft gar nicht so schlecht. Doch viel deutlicher wurde, dass dieser BVB vom Bayern-Niveau, dem Niveau des eigenen Anspruchs, so weit entfernt war, dass es weh tat. Dann doch lieber Stau auf den Stufen.

BVB-Anspruch überzogen

Die aktuelle BVB-Krise ist auch deswegen leicht kurios, weil sie nur in Dortmund als Krise wahrgenommen wird. Jeder andere außer Bayern, also Schalke, Gladbach, Leverkusen oder sonst wer wäre froh über eine Krise auf Tabellenplatz drei. Das macht vor allem deutlich, dass die Anspruchshaltung beim BVB - nennen wir sie: Augenhöhe mit den Bayern - chronisch überzogen ist.
Die tunnelblickartige Fixierung auf den Branchenführer trübt beim BVB den Blick auf die Realitäten. Was fehlt, ist der Blick nach innen, auf sich selbst gerichtet. Das Spiel vom Samstag ist dafür ein Musterbeispiel. Die Dortmunder machten vieles so ähnlich wie der weit erfolgreichere und routiniertere FC Bayern, aber halt bei weitem nicht so effektiv und strukturiert wie die Münchner.
Am Ende zählten die Statistiker 15:10 Torschussversuche zugunsten der Dortmunder. Bei den Schüssen, die tatsächlich aufs Tor kamen, lagen die Münchner plötzlich vorn: mit 5:4. Bei den Toren sowieso. Nur ein Beleg von vielen.
Die Belege für das strukturelle Defizit des BVB-Spiels sind vieldeutig: eine viel zu schwache Passquote (unter 70%) für ein Team, das den Ballbesitz für das eigentliche Spiel hält. Eine Abwehr, die Selbst- und Fremdwahrnehmung des Vereins sprengt. Gegen Leipzig, Real oder zuletzt Hannover stand die Defensive viel zu hoch und lief beständig in spielentscheidende Konter. Den Bayern ließen sie dann ausgerechnet im Sechzehner zu viel Platz.
Das Bosz-Spiel, das die ersten sieben Spieltage so wunderbar zu funktionieren schien und auch dem LIGAstheniker die Mär von "der spannendsten Saison seit Jahren" verklickern sollte, es stimmt noch nicht. Anders als die Bayern, die unter Heynckes ihre Selbstsicherheit wiedergefunden haben, sucht der BVB noch die seine, die wetterfest genug ist für ein ganzes Jahr in der Spitze.

Bosz verschärft Tonlage

Der neue Coach Peter Bosz, der seinen Spielern sehr analytisch, zuweilen aber überhöflich und sehr diskret begegnet, hat nach dem Bayern-Spiel hörbar die Tonalität verschärft. Er sprach davon, dass man dem Gegner "oft nur hinterhergelaufen" sei, was bei einer mannorientierten Defensivanordnung per se wundern muss. Den Bayern hinterherlaufen? Aki Watzke will sicher vieles, nur das nicht. Auf Nachfrage konnte Bosz sich die Bestätigung nicht verkneifen, dass der BVB so keine Spitzenmannschaft sei.
Das hätte er nicht tun müssen, zeigt aber auch, wie groß der Druck intern schon auf ihm liegt. Etliche Spieler, darunter Kapitän Marcel Schmelzer haben per Flurfunk Zweifel angemeldet, ob die allzu offensive taktische Grundausrichtung richtig sein kann. Sportdirektor Zorc denkt offensichtlich ähnlich, wie man hört. Was sie eigentlich meinen: sie ist falsch.
Soviel scheint klar: Bosz' Spielidee ist noch nicht ausgegoren. Sie funktioniert in der holländischen Ehrendivision, weil sie gegen schwächere Gegner funktioniert (davon gibt es in Holland mehr als in der Bundesliga). Noch ist es nur eine Idee und kein System, schon gar keines, das den Bayern gefährlich werden kann. Er glaube nicht, "dass zwischen mir und der Mannschaft etwas kaputtgegangen" sei, sagte Bosz nach dem "Clásico".
Das klang für einen Mann seiner Offensive derart kleinlaut, dass man sich jetzt wirklich sorgen muss. Spätestens dann, wenn Watzke nach Tuchel mit Bosz auch den zweiten Topcoach frühzeitig in Frage stellt, sollte der BVB-CEO sich überlegen, ob dieses ewige Mantra vom ersten Bayernjäger tatsächlich ein realistisches Geschäftsziel ist. Oder nicht eher aus persönlichen Ressentiments gespeistes Wunschdenken.
Zur Person Thilo Komma-Pöllath:
Der Sportjournalist und Buchautor ("Die Akte Hoeneß") beleuchtet in seinem wöchentlichen Blog "Der LIGAstheniker" das Geschehen in der Fußball-Bundesliga für Eurosport.de. Oft skeptisch, ironisch, kritisch - aber einer muss schließlich den Ball flach halten.
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