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Rausch und Wirklichkeit: Die seltsame Sinnsuche des FC Bayern München

Thilo Komma-Pöllath

Update 28/11/2017 um 10:04 GMT+1 Uhr

Der FC Bayern erlebt merkwürdige Zeiten. Nach dem Abgang von Carlo Ancelotti riss nun die Siegesserie von Nachfolger Jupp Heynckes - der wiederum um eine Verlängerung seines nur bis Saisonende angedachten Feuerwehr-Einsatzes beim Rekordmeister gebeten wird. Gleichzeitig stockt der Umbruch. Die Zukunft der Bayern dürfte sich schwierig gestalten, wie Eurosport-Blogger Thilo Komma-Pöllath feststellt.

Bayern-Bosse Rummenigge und Hoeneß, Bayern-Stars Robben und Ribéry

Fotocredit: Getty Images

Jedes Jahr Ende November, wenn bei den Bayern die Jahreshauptversammlung ansteht, dann wird es komisch beim größten Klub aller Zeiten. Am Freitag also wurde Präsident Uli Hoeneß ob der aktuellen Performance seines Klubs wieder einmal von den eigenen Gefühlen rechts überholt. Er "schwebe nur noch", euphorisierte er Richtung Auditorium: "Alles ist schön."
Das kennt man ja von Hoeneß, dass er im Angesicht seiner Mitglieder in der eigenen Blutbahn einen Rausch anzettelt. Als am Freitag alle schon Richtung Freibier unterwegs waren, machte Hoeneß ein neues Fass auf. Er könne sich vorstellen, dass Trainer Jupp Heynckes über das Saisonende hinaus Trainer bleibe, was der Trainer Heynckes seitdem in Endlosschleife dementiert. Dass dann auch noch in Gladbach die Heynckes'sche Siegesserie riss, passte da irgendwie ins Bild.
Die Bayern 2017 sind nicht so schön wie sie selbst glauben. Das kann man sich auch mit viel Freibier nicht schön trinken.

Auf hoher See auf Sinn- und Richtungssuche

Dass einem Bayerntrainer ein Job angetragen wird, den dieser gar nicht haben will und daraus auch keinen Hehl macht, das hat es in der Historie der Bayern noch selten gegeben. Dass ein Aufsichtsratsvorsitzender öffentlich Operatives bespricht und der Vorstandsvorsitzende das wortlos geschehen lässt, auch das lässt tief blicken in einen Verein, der sich mitten auf hoher See auf Sinn- und Richtungssuche befindet.
Das Problem ist nur, dass zu viele in verschiedene Richtungen zeigen. Dass Heynckes es, wörtlich, "ausgeschlossen" hat, über den 30. Juni hinaus Trainer zu bleiben, zeigt nicht nur, dass ein 70-Jähriger endlich seine Ruhe will. Ihm dieses Amt öffentlich anzubiedern zeigt auch, wie weit der Umbruch beim FC Bayern gediehen ist. Nicht weit genug jedenfalls. Oder besser: der Umbruch steckt fest.
Man hat keinen Trainer, auf den sich alle einigen können (außer Heynckes offenbar), damit fehlt die für alle verbindliche Spielidee und die Vision eines FC Bayern 2020. Und übrigens: Einen stimmigen Kader, der die Bayern zurück an die europäische Spitze bringen soll - die Spiele gegen Anderlecht und Gladbach haben das gezeigt - hat man natürlich auch nicht. Solange nicht man geklärt hat, wie mit den "Alten" (Robben & Ribéry) zu verfahren ist, ist kaum Platz für Neue.

Wortreiche Widersprüche

Wie man an die glorreichen Triple-Zeiten unter Heynckes anknüpfen will, haben Rummenigge und Hoeneß bei der JHV wortreich und mit vielerlei Widersprüchen kundgetan. Den Transferwahn wolle man nicht mitgehen (die 40 Millionen für Nachwuchskicker Tolisso gehören offenbar nicht dazu), dafür auf den eigenen Bayern-Campus setzen.
Dass der eigene Nachwuchs, der in Form der zweiten Mannschaft im Nirgendwo der Regionalliga zusammen mit Pipinsried und Illertissen und hinter Tabellenführer 1860 München herumdümpelt, also demnächst die Champions League gegen PSG oder Real gewinnen wird? Klasse Idee, hat mit Realität nur nichts zu tun. Dass die Bayern sich mit Nachwuchsarbeit per se nicht leichttun, sieht man schon daran, dass alle wichtigen Leitungsaufgaben mit Pensionären besetzt wurden, die dafür extra in den Klub zurückgeholt wurden: Hoeneß, Heynckes, Müller-Wohlfahrt. Ist so viel glorreiche Vergangenheit zukunftstauglich?

Gewaltiger Modernisierungsstau

Wohl kaum. Der Modernisierungsstau des Klubs ist gewaltig. Hoeneß' Vereinspatriarchat setzt auf bedingungslose Gefolgschaft, nicht auf strukturelle Innovation. Also redet man lieber über Aufbruch, berauscht sich an kurzfristigen Erfolgen, wie der jüngsten Siegesserie unter Heynckes, in der Hoffnung, die Zukunft des Klubs werde sich von ganz allein einstellen.
Wird sie nicht. Auch deshalb nicht, weil man sich in der Führung des Klubs partout nicht einig wird. Wer was und wieviel zu sagen hat, ist unklarer denn je. Hoeneß bemühte bei der JHV das Bild von Rummenigge als Kanone, dem er lediglich die Kugeln reiche. Tatsächlich nimmt der Patriarch die Kanone selbst gerne in die Hand. Im Rausch herumzuballern, ist aber wohl keine so gute Idee.
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