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Heinrich-Blog: Kopfverletzungen werden im Fußball leider verharmlost

Sigi Heinrich

Update 05/06/2018 um 21:34 GMT+2 Uhr

Eurosport-Experte Sigi Heinrich nimmt den Fall von Loris Karius noch einmal unter die Lupe, der im Champions-League-Finale eine Gehirnerschütterung erlitt. Hätte Trainer Jürgen Klopp seinen Keeper nach dem Zusammenprall mit Sergio Ramos herausnehmen müssen? Welche Konsequenzen kann solch eine Verletzung haben und was sind die Lehren nach diesem heftigen Zusammenstoß?

Loris Karius of Liverpool FC

Fotocredit: Imago

Eigentlich haben alle so ziemlich alles falsch gemacht nach und vielleicht sogar während des nun schon eineinhalb Wochen zurückliegenden Finales der UEFA-Champions-League zwischen dem FC Liverpool und Real Madrid. Vor allem im Umgang mit der Gesundheit des Spielers Loris Karius. Ruhe. Das ist die erste Bürgerpflicht nach Erkennen einer Gehirnerschütterung. Ruhe, um vor allem Spätfolgen im Keim zu ersticken. Doch Karius blieb nach dem Ellenbogenstoß von Sergio Ramos im Tor.
Zwei Minuten blieb er zwar leicht benommen liegen, um dann grünes Licht zu geben. Daumen nach oben. Geht schon wieder. Was halt jeder Sportler in seiner Situation sagen würde, fern aller Realität. Wegen ein paar Bienen im Kopf setzt man sich nicht auf die Bank. Schon gar nicht in einem solchen Finale.
Karius spielte weiter. Das Ergebnis ist bekannt. Zwei schwerwiegende Fehler ebneten Madrid den Weg zum dritten Triumph in Folge. Ruhe sieht anders aus. Karius flog sogar in Urlaub in die USA.

Eine viel zu späte Untersuchung

Jetzt wurde der deutsche Torhüter auf Geheiß seines Vereins dort untersucht. Jetzt. Tage nach der Verletzung. Viel zu spät. Dr. Ross Zafonte vom General Hospital in Boston stellte fest, dass eine Gehirnerschütterung vorlag. Nach seiner Aussage habe Karius danach an einer "visuellen räumlichen Dysfunktion" gelitten.
Die Diagnose zumindest ist gut für den Keeper, dessen Aussetzer nun begreiflich werden. Das wird ihm helfen für die Zukunft, denn er wurde unter anderem von ehemaligen deutschen Nationalspielern, die in ihrer Karriere in entscheidenden Momenten versagten, ohne vorher am Kopf getroffen worden zu sein, verunglimpft und mit Spott und Häme übergossen. Eine Entschuldigung aus diesem Personenkreis in Richtung Karius wäre angebracht.
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Sergio Ramos und Loris Karius

Fotocredit: Twitter

Mit dem Ellenbogen an den Kopf

Zieht man Lehren aus diesem Vorfall, der nicht ungefährlich war vor allem für Loris Karius? Hätte Jürgen Klopp reagieren und sofort nach der Attacke von Ramos seinen Schlussmann aus dem Spiel nehmen müssen?
Kopfverletzungen werden im Fußball bedauerlicherweise noch immer verharmlost. Dabei ist der Einsatz des Ellenbogens längst üblich. Foulspiele in diesem Sektor werden jetzt zwar schneller geahndet, aber die betroffenen Spieler dadurch auch nicht geschützt.

Vorbild USA und NFL und NHL

Ein Blick in die USA sei gestattet. Dort gibt es in der NFL (National Football-League) mittlerweile das sogenannte "Concussion protocol", das zwei neutrale Beobachter im Spiel vorsieht, die vermeintliche Kopfverletzungen sofort an das medizinische Personal und an die Coaches melden. Selbst bei geringstem Verdacht muss der Spieler ausgewechselt werden und darf erst nach bestandenem Nachtest und grünem Licht der Ärzte wieder am Trainings-und Spielbetrieb teilnehmen.
Zuwiderhandlungen werden drastisch bestraft. Gehirnerschütterungen sind die leichteste Form der Schädel-Hirn-Verletzungen. Sie zu verharmlosen kann irreparable Schäden hervorrufen. Kopfschmerzen, Reizbarkeit, extreme Lichtempfindlichkeit, Depressionen. Das sind Symptome, die viele Profis in den USA und Kanada nach dem Ende ihrer Karriere begleiten. Und auch "CTE" ist dort eine längst bekannte Abkürzung für Chronische Traumatische Enzephalopathie.
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Loris Karius

Fotocredit: Imago

Tröstliche Erkenntnis

In jedem Fußballverein sitzt ein zweiter Torhüter auf der Bank, sind Reservespieler verfügbar. Es wäre ratsam in Zukunft genauer hinzuschauen. Zum Wohle der Spieler und im Falle von Liverpool gar zum Wohle des Vereins. Denn einem vollends gesunden Torhüter wären beide Fehler, die zu zwei Toren der Madrilenen führten, nicht passiert.
Für Loris Karius ist tröstlich, dass die Untersuchung auch ergeben hat, dass keine gesundheitlichen Nachwirkungen zu erwarten seien. Wie es drinnen aussieht, in seiner Seele, konnten die Ärzte freilich nicht erkennen. Das weiß nur er selbst.
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