Tottenham - BVB: Die lange Mängelliste von Borussia Dortmund
Update 14/02/2019 um 22:20 GMT+1 Uhr
Borussia Dortmund erlebt mit dem 0:3 bei Tottenham Hotspur im Champions-League-Achtelfinale den nächsten Tiefschlag. Vieles, was den BVB in der Hinserie noch ausgezeichnet hat, scheint in den vergangenen Wochen verloren gegangen zu sein: Übersicht, Spannung, Gier, Überzeugung, Konzentration. Vor allem der Gegentreffer zum 0:1 steht als Sinnbild für die (lange) Mängelliste der Schwarz-Gelben.
47. Minute in Wembley. Achraf Hakimi am Ball. Aber nur kurz. Er geht ins Dribbling, versucht den Tunnel, verliert das Leder. Flanke Jan Vertonghen. Volleyabnahme Heung-Min Son. Tor. 0:1. Der Auftakt zur bitteren 0:3-Klatsche des BVB bei Tottenham Hotspur. Der Anfang vom Ende.
Es sind nur ein paar Sekunden. Ein Wimpernschlag. Aber die Szene in der 47. Minute ist doch mehr als das. Sie ist ein Sinnbild für die letzten Wochen. In der Hinserie noch sorgenfrei, haben die Dortmunder mittlerweile einen ganzen Berg an Problemen angehäuft.
Was läuft falsch? Warum bringt die Borussia ihre PS nicht mehr aufs Feld? Was fehlt, was vor der Winterpause noch da war?
Eurosport nennt die Mängelliste des BVB.
1. Übersicht und Spannung
Gehen wir noch einmal zurück zu jener 47. Minute in Wembley. Zur Entstehung des ersten Gegentreffers. Hakimi hat eigentlich ein paar Anspielmöglichkeiten. Trotzdem entscheidet sich der 20-Jährige fürs Dribbling. "Ein großer Fehler", wie Lucien Favre später auf der Pressekonferenz lamentiert.
Vor allem dürfte dem BVB-Trainer missfallen haben, dass es Hakimi mehrmals mit dem riskanten Eins-gegen-eins versuchte, anstatt den eigentlich freistehenden Mitspieler mitzunehmen. Es hätte schon vorher schiefgehen können. In der 47. Minute passierte es schließlich. Irgendwann unvermeidlich. Auch Mo Dahoud und Mario Götze erlaubten sich im Spielaufbau den ein oder anderen leichten, vermeidbaren Ballverlust, weil sie den Überblick verloren.
Ist das Leichtsinn? Sorglosigkeit? Fehlende Körperspannung? Vermutlich. Vor allem aber sind es Einladungen an den Gegner, oder wie Favre es beschreibt: "Geschenke." Und von denen verteilt der BVB zuletzt schlichtweg zu viele. Das macht es nicht nur der Defensive schwerer, den Ball vom eigenen Tor wegzuhalten. Es legt auch das Offensivspiel lahm. Roman Bürki stellte ernüchtert fest: "Wir haben wie gegen eine Wand gespielt."
In der Hinrunde riss der BVB diese Wände noch regelmäßig ein. Doch nun fehlt ihm offensichtlich das Werkzeug. Werkzeug in Form von Marco Reus und Paco Alcácer. Favre wird auf eine baldige Rückkehr seiner Topscorer hoffen, denn beide haben etwas, woran es dem BVB-Spiel derzeit sehr mangelt: Übersicht.
2. Gier und Überzeugung
Ein zweiter Blick zurück auf Tottenhams 1:0 gegen Dortmund. Jan Vertonghen kommt an den Ball und darf in aller Ruhe flanken. Dabei sind eigentlich ein paar Schwarz-Gelbe in der Nähe. Nur warten die lieber ab, als vehement draufzugehen. Die Gier, den Ball sofort wiederhaben zu wollen? Fehlanzeige. Die Überzeugung, den Ball zurückgewinnen zu können? Fehlanzeige.
Gier und Überzeugung. Noch zwei so Dinge, die Borussia Dortmund in der Hinserie auszeichneten. Mehr als nur ein paar Spiele gewann der BVB nach Rückstand. Gestern nicht.
Flankengeber Vertonghen meinte nach der Partie zu wissen, warum:
Dortmund war in der ersten Hälfte besser als wir, aber dann haben sie nachgelassen. Auf mich wirkte es, als seien sie zufrieden mit dem 0:1. Deshalb haben wir sie weiter attackiert.
Götze bestätigte bei "Sky" die Vermutung des Belgiers:
Wir wären mit einem 0:1 zufrieden gewesen.
Zufrieden? Mit einem 0:1? Dieser BVB? Was vor einigen Wochen noch unvorstellbar war, geben die Spieler jetzt sogar offen zu. Ja, ein Europokalspiel in der Fremde erfordert besondere Vorsicht, und komplett aufzumachen, wäre sicher auch nicht richtig gewesen.
Aber wohin ist die Überzeugung, gegen jeden Gegner treffen zu können? Obwohl ein Auswärtstor so wichtig gewesen wäre, wurden Angriffe nicht mit der letzten Entschlossenheit zu Ende gespielt, ja stellte der BVB "das Fußballspielen komplett ein", wie es Sebastian Kehl gar beschrieb.
Die Bereitschaft, die Lust, die Gier auf Tore muss schleunigst wiederkommen. Für Zufriedenheit mit dem Erreichten ist kein Platz. Denn noch hat der BVB im Grunde nichts erreicht.
3. Kraft und Konzentration
Reisen wir ein letztes Mal zurück zur 47. Minute in Wembley. Nun zum letzten Glied der Fehlerkette. Son muss im Strafraum nicht einmal wirklich zum Ball gehen. Er kann darauf warten, den Ball mit aller Seelenruhe volley versenken, weil weit und breit kein Schwarz-Gelber ist.
Fehler in der Abwehrzentrale sind beim BVB zuletzt keine Seltenheit. Zwar können sie ein Stück weit mit dem verletzungsbedingten Fehlen von Abwehrboss Manuel Akanji erklärt werden. Doch es sind vor allem Konzentrationsschwächen, "individuelle Fehler" (Kehl), die zu den einfachen (und vielen) Gegentoren führen.
Ein Umstand, der auch mit fehlender Fitness zu tun haben könnte. Einen Großteil der Treffer schluckt Dortmund in der Schlussphase. Zwei gegen Bremen, drei gegen Hoffenheim, zwei gegen Tottenham. Vielen Spielern scheint nach den Wehwehchen der vergangenen Wochen die letzte Kraft zu fehlen.
Während der Comeback-BVB vor der Winterpause viele Partien nach Rückstand noch gewann, gibt er mittlerweile viele nach Vorsprung noch her. Eine eklatante Kehrtwende, die auch Kehl nicht verborgen blieb:
Man hat gemerkt, dass irgendwann die Kräfte ausgehen. Wir müssen wieder eine defensive Stabilität finden, die uns im Moment fehlt.
Laut Bürki fängt das Problem "schon im Training an", fehlen Konzentration und Ordnung bereits in der täglichen Arbeit. Hier muss Favre ansetzen. Denn nicht nur in der Kreisliga heißt es: So wie man trainiert, spielt man auch.
"Man weiß nie": BVB-Hoffnung lebt
Die Mängelliste des BVB ist lang. Die aktuelle Situation, ebenso wie das 0:3 gegen die Spurs, für Favre und Co. nur "schwer zu akzeptieren". Die Formkurve seiner Mannschaft zeigt eindeutig nach unten.
Doch trotz der Ernüchterung ob des erneuten Rückschlags, sagte der BVB-Trainer auf der gestrigen PK noch drei weitere Worte:
Man weiß nie.
Der 61-Jährige wolle "weiter arbeiten, um die Fehler zu analysieren und abzustellen". Die Hoffnung lebt, dass Schwarz-Gelb im Rückspiel das mittelgroße Fußballwunder vollbringt - zumindest aber schon in naher Zukunft den ein oder anderen Punkt von der Mängelliste streichen kann.
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