Top-Sportarten
Alle Sportarten
Alle anzeigen

Blog zur Leichtathletik-WM: Niklas Kaul kann der nächste Zehnkampf-Star werden

Sigi Heinrich

Update 04/10/2019 um 19:13 GMT+2 Uhr

Niklas Kaul hat sich bei der Leichtathletik-WM in Doha mit Gold im Zehnkampf in eine lange Liste klingender Namen eingereiht, die national und international für Aufsehen gesorgt haben. Eurosport-Blogger Sigi Heinrich ist davon überzeugt, dass das erst der Anfang einer ganz großen Karrire werden kann. Er warnt aber auch vor zu vielen Vorschusslorbeeren.

Niklas Kaul in Doha

Fotocredit: Getty Images

Ein Kommentar von Sigi Heinrich
Mainz wie es singt und lacht. Könnte man so stehen lassen nach dem gewaltigen Erfolg von Niklas Kaul und einen wahnsinnig großen, aber schönen Bogen spannen. Von 1964 bis 2019. Damals in Tokio nämlich gewann ein Mainzer im Zehnkampf eine Bronzemedaille. Hans-Joachim Walde. Das ist selbst vielen Leichtathletik-Fans nicht mehr sehr geläufig, weil damals eben Willi Holdorf deutsche Sportgeschichte schrieb.
Soll ich? Ja, ich muss fast kurz in Erinnerungen schwelgen. Holdorf und sein 1500m-Lauf im Zehnkampf, seine Erschöpfung, die Hilfe, die ihm ausgerechnet sein größter Widersacher, Rein Aun aus der Sowjetunion, zuteilwerden ließ.
Das war zu Zeiten des kalten Krieges. Die deutsche Olympiamannschaft durfte, um nach Tokio zu gelangen, nicht über die Sowjetunion fliegen. Und ausgerechnet Aun war als Erster bei Holdorf, als dieser im Moment des Sieges kaum noch bei Sinnen war.

Zehnkampf sorgt am Fließband für Legenden

Der Zehnkampf ist und bleibt die Krönung der Leichtathletik. Er steht für mich noch weit über dem 100m-Lauf. Aus dieser Tortur über zwei Tage entstehen nicht nur große Sportler. Dieser Marathon mit zehn Disziplinen generiert nicht weniger als Legenden am Fließband. Das war schon immer so.
Es sind nicht nur Namen, es sind immer Geschichten und dramatische Ereignisse, die Zehnkämpfer begleiten vom ersten Startschuss über 100m bis zum finalen Lauf über 1500m, den keiner der stählernen Athleten liebt, aber der doch so oft schon die Entscheidung brachte.
Jetzt ist es Niklaus Kaul, der wieder einmal gezeigt hat, dass deutsche Athleten aus Ost oder West das Zehnkampf-Gen in sich tragen: Christian Schenk, Kurt Bendlin, Guido Kratschmer, Werner von Moltke, Horst Beyer, Jürgen Hingsen, Sigi Wentz, Rainer Pottel, Paul Meier, Michael Schrader, Frank Busemann, Arthur Abele, Rico Freimuth, Kai Kazmirek. Sie alle und alle anderen haben den Wahnsinn der zwei Tage gelebt und überlebt, oft auch im Kreis internationaler Top-Athleten.
Die Faszination Zehnkampf nämlich geht immer weit über die Landesgrenzen hinaus. Daley Thompson, Ashton Eaton, Dan O'Brien, Thomas Dvorak, Erki Nool, Roman Sebrle. Natürlich jüngst Kevin Mayer. Und fast keinen hat der Zehnkampf-Gott geschont.
Jeder musste irgendwann einmal leiden. Fehlstarts, Fehlversuche, Verletzungen. Null Punkte. Das ist das Wesen des Zehnkampfes. Er ist immer eine Gratwanderung und bis zum letzten Schritt kann sich keiner sicher sein, dass er verschont bleibt. Für diesmal.

Medaillen, Siege, Rekorde - Kaul kann alles erreichen

Jetzt kommt Niklaus Kaul. Nicht aus dem Nichts, wie vielfach interpretiert wird, sondern mit der gesunden Basis einer schier perfekten Entwicklung schon im Jugendbereich. Eine Zahlenreihe soll das verdeutlichen. U 18-Weltmeister, U20-Europameister, U20-Weltmeister, U23-Europameister. Übrigens in diesem Jahr in Gävle in Schweden. Jetzt Weltmeister. Und nächstes Jahr? Olympiasieger?
Gemach, Freunde. Es wäre schön, es wäre wunderbar. Er wäre der dritte deutsche Olympiasieger. Aber ich habe keine Angst vor zu vielen Vorschusslorbeeren. Kaul wird an solchen Erwartungen nicht zerbrechen. Sie werden an ihm abprallen, denn Kaul ist so wunderbar geerdet. Die Eltern trainieren ihn, die Gefahr, dass da einer an einem Höhenflug erstickt ist nicht einmal im Ansatz vorhanden. Mainz bleibt Mainz.
picture

"Marshmallows knallen richtig rein": EM-Vodcast mit Europameister Abele und Kaul

Sein Alter freilich lässt die Leichtathletik-Gemeinde träumen. Jetzt werden wieder Punktzahlen jenseits der 9000 in den Zehnkampf-Orbit geschleudert. Und klar ist auch: Kaul ist längst nicht im besten Alter für diesen Zweitagetrip der Allrounder. Er ist noch zu jung eigentlich.
Dass er trotz mangelnder Erfahrung schon jetzt die Türe aufgestoßen hat, durch die dann immer Legenden gehen, spricht für ihn. Er kann alles erreichen. Alles, auch einen neuen Weltrekord. Weltmeister ist er jetzt schon. Mit 21 Jahren.

Ritter der Tafelrunde auf Spuren eines Teenagers

Und doch ist ein Titel für immer futsch. Jüngster Olympiasieger der Zehnkämpfer könnte er nächstes Jahr nicht mehr werden. Auch wenn er dann immer noch erst 22 Jahre alt sein wird.
Denn der US-Amerikaner Bob Mathias war 17 Jahre, als er in London 1948 die Goldmedaille gewann. Vier Jahre später wiederholte er diesen Triumph in Helsinki.
Vergangenheit und Zukunft ergeben im Zehnkampf eine Symbiose über alle Grenzen hinweg. Es ist deshalb auch kein Zufall, dass alle Athleten, die sich zwei Tage lang bekämpfen, am Ende gemeinsam feiern. Wie Ritter der Tafelrunde. Eine eingeschworene Gemeinschaft, der jetzt auch Niklas Kaul angehört.
Mehr als 3 Mio. Sportfans nutzen bereits die App
Bleiben Sie auf dem Laufenden mit den aktuellsten News und Live-Ergebnissen
Download
Diesen Artikel teilen
Werbung
Werbung