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Paris - Roubaix: Stürze, Stars und "ein Haufen Scheiße" - die besten Geschichten zum Klassiker

Andreas Schulz

Update 01/04/2024 um 11:27 GMT+2 Uhr

Es ist der Klassiker der Klassiker - wohl kein Eintagesrennen zieht die Leute so in seinen Bann wie Paris - Roubaix mit seinem Kopfsteinpflaster. Und kaum ein Rennen hat so viele Geschichten hervorgebracht wie die Fahrt durch Nordfrankreich. Wir präsentieren Euch hier 21 Anekdoten aus der langen Historie des Rennens mit Stars, Stürzen und Sensationen.

Paris - Roubaix: Dreifach-Sieger Johan Museeuw

Fotocredit: Getty Images

Seit 1896 wird bei Paris - Roubaix um den Sieg gekämpft, die Liste der Gewinner eröffnete damals mit Josef Fischer ein Deutscher. War Kopfsteinpflaster zu beginn noch Normalität, so ist das Rennen heute eines der wenigen, auf dem die Pavés im Zentrum stehen. Sie machen den Kampf auf den Feldsträßchen zu einem einzigartigen Härtetest, der die Fans begeistert.
Unzählige Dramen, Aufreger und Anekdoten prägen die Geschichte des Klassikers - hier die besten in unserer Auswahl!
Meister aller Klassen: Marc Madiot hält einen einmaligen Rekord: Er siegte in Roubaix sowohl als Amateur wie auch als Profi und schließlich als Teamchef von Fred Guesdon 1997. Aber das Rennen beendete 1994 auch seine aktive Laufbahn. Auf den Pavés brach sich der Franzose das Becken, doch seine ersten Worte im Krankenhaus waren:
Wo ist ein Fernseher, damit ich das Finale sehen kann?
Paris-Roubaix 1985: Marc Madiot
Zusteigen bitte! Im Jahr 1919 stehen die drei Spitzenreiter plötzlich vor einer Bahnschranke, hinter der ein Zug gestoppt hat. Henri Pélissier reagiert am schnellsten: Er nimmt sein Rad, öffnet die Tür eines Wagons und steigt dann auf der anderen Seite aus. Auch wenn seine beiden Verfolger ihn wieder einholen, der Franzose siegt dennoch.
They never come back? Franco Ballerini reißt 1993 nach dem Sprint gegen Duclos-Lasalle jubelnd die Arme hoch. Doch es fehlen laut Zielfoto acht Zentimeter zum Triumph. "Ich komme hier nie wieder her!", schäumt der Italiener. Oh doch - und er wird mit den Siegen '95 und '98 belohnt.
Der Pate: Als Teamchef konnte Patrick Lefevere bei Paris - Roubaix schon über zehn Siege feiern - und vor allem vier Dreifach-Triumphe. Der heimliche Höhepunkt war 1996, als der Belgier angeblich sogar mit Sponsor Dr. Squinzi am Telefon ausmacht, wer aus seinem Mapei-Trio Museeuw, Tafi und Ballerini welchen Platz belegen darf.
Klartext: Neben all den Hymnen (in der Regel von Leuten, die das Rennen gewonnen haben, es organisieren oder nie fahren mussten...) gibt es auch ein paar Zitate, die Roubaix wenig überhöht auf den Punkt bringen:
"Das ist einfach ein Gladiatoren-Spektakel", sagt schon zu aktiven Zeiten Jens Voigt, der keinesfalls im Verdacht steht, ein Weichei zu sein - und dessen schlammverkrustetes Gesicht sogar das offizielle Programm zur 100. Auflage des Rennens zierte:
100. Paris-Roubaix 2002: Jens Voigt auf dem Programmheft
"Es ist ein Zirkus. Ich verstehe zwar, warum die Zuschauer das Rennen lieben. Aber ich möchte nicht einer der Clowns sein", so Englands Zeitfahr-Ass der 1990er, Chris Boardman.
Paris-Roubaix ist ein Haufen Scheiße. Du bist bis zur Schulter voll Schlamm. Du fährst im Schlamm und dir bleibt keine Zeit, zu pinkeln. Es ist das wundervollste Rennen der Welt.
Das Zitat für die Ewigkeit von Theo de Rooy.
Local hero: Charles Crupelandt ist der einzige Heimsieger bisher (1912 & 1914). Nach dem 1. Weltkrieg aber wird ihm die Lizenz entzogen, weil er im Grenzgebiet geschmuggelt hatte, um der Armut zu entkommen. Früher war eben nicht alles besser. Das Rennen hat den letzten Kopfsteinpflaster-Abschnitt in Roubaix vor dem Velodrom nach ihm benannt.
Romantik à la Roubaix: Diesen Tag wird Johan Vansummeren nie mehr vergessen - das wäre zumindest ratsam für ihn...: Denn der Belgier nutzt 2011 gleich doppelt die Gunst der Stunde. Erst profitiert er vom gegenseitigen Belauern der Favoriten, um sich im Velodrom den unerwarteten Sieg zu sichern. Wenige Minuten nach dem Coup macht er dann seiner Verlobten Jasmine Vangrieken einen Antrag: "Some people give a ring when they propose, I gave her a rock", sagt er auf der offiziellen Pressekonferenz im Anschluss.
Johan Vansummeren
Aus der Tiefe: Ohne Lokalmatador Jean Stablinski geht es nicht: Dass ausgerechnet ein Fahrer dem Veranstalter den so gefürchteten Wald von Arenberg vorschlug, ist schon für sich eine Geschichte. Dass der Franzose dann bei der Premiere dieses Sektors auch über jener Mine fuhr, in der er einst arbeitete, zeigt: So hart der Radsport ist, andere Jobs sind härter.
Stablinski 1968 in Arenberg
Kommt nicht in die Tüte! Diese Warnung wird Thomas Wegmüller jedem Fahrer mit auf den Weg geben. Denn 1988 ist er mit dem späteren Sieger Dirk Demol als Ausreißer-Duo vorne und tatsächlich kommen die Stars nicht mehr heran. Doch diese einmalige Chance kann der Schweizer nicht nutzen, denn kurz vor dem Ziel verfängt sich eine Plastiktüte in seiner Schaltung. Aller Einsatz aus dem Teamfahrzeug nutzt nichts, er kann den Gang nicht mehr wechseln und hat keine Chance im Sprint.
Hund kann 'Dachs' nicht stoppen: Sturkopf Bernard Hinault hasst das Rennen, aber er will es trotzdem zähmen. 1981 gelingt das - trotz mehrerer Stürze und Defekte. Selbst als ihm 12 km vor Ziel ein Hund zu Fall bringt, stoppt ihn das nicht. Der Erfolg stimmt ihn dennoch nicht versöhnlich: Noch im Velodrom sagt der "Dachs" genannte Bretone im Interview: "Nein, ich liebe dieses Rennen auch jetzt noch nicht."
Bernard Hinault
Fluch: Dass Raymond Poulidor bei der Tour de France als ewiger Zweiter, der nie auch nur einen Tag Gelb trug, ein schweres Los zu tragen hatte, wissen wir. Doch er wäre wohl nicht 'PouPou', wenn das in Roubaix anders ausgesehen hätte: Er startet nicht weniger als 18 Mal und hat dabei nie Defekt, wenn er in schlechter Form war. Doch als er sich 1976 in exzellenter Verfassung präsentiert, bremsen ihn nicht weniger als fünf Reifenschäden.
Tunnelblick: Die Besessenheit von Gilbert Duclos-Lasalle war selbst für Roubaix-Verhältnisse extrem. Nach Platz zwei 1980 muss er bis 1992 auf seinen Sieg warten. Das macht ihn aber nicht weniger fokussiert. Als ein Jahr später sein Sohn morgens am Mannschaftshotel steht und ihm einen Gruß zuruft, nimmt er ihn gar nicht wahr. Immerhin gewinnt er auch an diesem Tag.
Gilbert Duclos-Lassale, Paris-Roubaix 1993
Pleiten, Pech & Pannen: Drei Jahre in Folge sorgt Cyrille van Hauwaert für Furore: 1906 räumt er diverse Fahrer ab, als er falschrum ins Velodrom fährt. Ein Jahr später setzt er sich mit einer Attacke in der Verpflegungszone ab, wird dann aber hungrig, dreht um, kauft sich was - und wird dennoch Zweiter. 1908 siegt er, wird aber zuvor von einem Zuschauer im Velodrom umgerannt. Doch der führende Francois Faber kommt auch zu Fall, als er einem Kind ausweichen will und verliert mehr Zeit als der jubelnde Belgier.
Sonderschicht: "Viel hilft viel", so das Motto von Vierfach-Sieger Roger De Vlaeminck: In der Vorbereitung fährt er etwa nach dem harten Klassiker Gent - Wevelgem zu Trainingszwecken mal eben per Rad nach Hause - nochmals schlappe 130 Kilometer extra. Gerne trainiert er auch mit seinem belgischen Landsmann Walter Godefroot - doch bevor sie sich treffen, hat De Vlaeminck dann schon von 5 Uhr morgens an 100 Kilometer gefahren. Seinem Rivalen aber erklärt er, er käme auch erst eben aus dem Bett.
Roger de Vlaeminck
Wie ein Uhrwerk: Für fast ein Jahrzehnt war Steffen Wesemann bester Deutscher (später Neu-Schweizer) bei Paris - Roubaix. Mir besonders ans Herz gewachsen ist er durch seine Vorliebe für großkalibrige Zeitmesser:
Während Neulingen meist empfohlen wird, ohne Uhr aufs Pflaster zu gehen, trug er mit Vorliebe Chronographen, auf denen man noch als TV-Zuschauer die Uhrzeit ablesen konnte. Gerne ergänzt um eine massive Halskette - ein echter Typ eben.
Steffen Wesemann
Probleme machen ihm die Handgelenke anscheinend nie, anders als die Füße: 2001 versagt die Platte am Rennschuh im letzten Drittel den Dienst, im Folgejahr plagen ihn ähnliche Malaisen. 2004 stürzt bei der Einfahrt aufs Velodrom, wird statt Fünfter nur 16. - übernimmt aber dennoch das Trikot des Führenden im Weltcup.
Stehaufmännchen: Drei Siege gelingen Johan Museeuw in Roubaix, der eindrucksvollste 2000: Nach einem Sturz im Wald von Arenberg 1998 droht ihm sogar eine Amputation am linken Bein. Doch der Belgier kämpft sich zurück und feiert mit dem Solo-Triumph zwei Jahre später ein tolles Comeback. Ein Gänsehautmoment, egal wie man zum Flamen und seinen Methoden stehen mag.
Paris - Roubaix 2000: Johan Museeuw zeigt beim Siegesjubel sein 1998 so schwer verletztes Bein
Ähnlich 2002, als er mit beiden Händen anzeigt, dass er soeben seinen zehnten Klassiker gewonnen hat. Und auch sein Abschied ist bewegend: 2004 scheint er noch einmal auf Weg zum Sieg, bis ein Defekt im Finale ihn stoppt. Auf der Zielgeraden klopft ihm Peter van Petegem tröstend mit der Hand auf Schulter - eine schöne Geste der belgischen Rivalen.
Familienbande: Höchst selten hat Serse Coppi etwas vor seinem berühmten Bruder Fausto gewonnen, Roubaix aber schon. Zumindest halb. Denn 1949 siegt eigentlich André Mahé, auch wenn der Franzose am Velodrom falsch geleitet wird und erst nach kurzem Umweg auf die Bahn gelangt. Doch nach der Ehrenrunde wird er disqualifiziert - er habe die Streckenführung verlassen. Platz eins geht an Serse, der den Sprint der Verfolger für sich entscheidet und dessen Team protestiert hatte.
Paris Roubaix 1949: Fausto und Serse Coppi
Ein Jahr später folgte dann der Bruder in der Siegerliste: Fausto lässt sich schon vor der Verpflegungsstelle den Beutel geben, rast dann durch und setzt sich mit dieser, naja, unkonventionellen Attacke auf Nimmerwiedersehen ab. Der Zweite, Maurice Diot aber sagt: "Ich bin glücklich über meinen Sieg, denn Coppi war außer Konkurrenz!"
Hungerast & Gabelbruch: Stellvertretend für die zahllosen Roubaix-'Opfer' über die Jahrzehnte sei George Hincapie genannt. 2002 ist er in Topform, ein junger Teamkollege namens Boonen legt sich mächtig für ihn ins Zeug. Bei Kälte und Regen will Hincapie trotz permanenter Nachfragen aus dem Teamwagen weder Regenjacke noch Armlinge. Er liegt gut im Rennen, doch dann: "Der totale Einbruch, der schlimmste meines Lebens."
Dazu das Bild, wie er 2006 nach einem Gabelbruch seiner Rennmaschine wie ein verlorenes Häuflein Elend im Acker sitzt - damit steht er für die zahllosen Fahrer, die durch Defekte um greifbare nahe Erfolge gebracht werden. Doch Hincapie versuchte es immer aufs Neue - wohl wissend, dass bei diesem Rennen "das Glück 25% ausmacht".
George Hincapie bei Paris - Roubaix 2006
Verkehrserziehung: Vorbild sein, denn es schauen ja auch Kinder zu...: 2006 werden die Verfolger von Solist Cancellara durch eine Bahnschranke aufgehalten. Doch die Herren Hoste, van Petegem und Gusev sind ungeduldig, schlüpfen durch. Das wird später mit Disqualifikation bestraft, aufs Podium rücken Boonen und Ballan nach.
Bahnschranke 2006
Dauerbrenner: Pausen werden überschätzt, denkt sich Sean Kelly: 1986 wird er zuerst am Sonntag Zweiter der Flandern-Rundfahrt, gewinnt dann die montags beginnende fünftägige Baskenland-Rundfahrt bei Regen und Schnee. Am Freitagabend wird er in Nordspanien geehrt, dann geht es ab nach Frankreich - wo er am Sonntag in Roubaix triumphiert!
Francesco Moser
Rivalen der Rennbahn: Der Italiener Francesco Moser hätte fast schon beim ersten Start in Roubaix gewonnen, schreibt später durch ein Triple mit drei Solo-Siegen von 1978-1980 Geschichte. Herausragend sein erster Erfolg, denn da hat er Rekordsieger Roger de Vlaeminck als Team"kollegen".
Gegen das Verhältnis dieses Duos war die Beziehung von Armstrong & Contador bei der Tour de France 2010 eine romantische Turtelei. Von italienischen Experten wurde verkündet, dass der Belgier damals einem anderen Fahrer Geld gab, damit dieser für ihn die Lücke zu Moser schließen möge.
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"Dann wurde alles schwarz": Colbrelli über seinen Herzstillstand

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