Tour de France - Bergtrikot: Die besten Geschichten - mit Jens Voigt, Thomas Voeckler, Marcel Wüst

Andreas Schulz

Update 12/10/2023 um 19:46 GMT+2 Uhr

Das Bergtrikot der Tour de France ist eine heiß begehrte Trophäe: Wir stellen Euch Top-Kletterer und Überraschungssieger, Eintagsfliegen und Wiederholungstäter im Kletterklassement vor. Dazu präsentieren wir Highlights und Geheimnisse aus den über vier Jahrzehnten der Geschichte dieser Sonderwertung bei der Tour de France, für die es erst seit 1975 ein eigenes Trikot im Feld gibt.

Voigt erklärt: Das macht das Bergtrikot der Tour de France so wertvoll

Gründungsmythen: Immer gern erzählt, aber falsch ist die Geschichte, das gepunktete Trikot sei den Verpackungen des Schokoladenherstellers Poulain nachempfunden, der seinerzeit Sponsor des Klassements war.
In Wirklichkeit aber erinnerte sich Felix Levitan, rechte Hand des Tour-Chefs, an einen populären Bahnradfahrer früherer Jahrzehnte: Henri Lemoine. Dieser war für sein Markenzeichen, ein weißes Trikot mit roten Punkten bekannt – was die Tour nun übernahm.
Geburtstag: Das Sondertrikot mit den roten Punkten gibt es seit der Tour 1975, eine Wertung für den besten Kletterer aber schon seit 1933 – allerdings ohne optisches Erkennungszeichen. Und schon seit der Tour 1908 wurde der Ehrentitel des besten Bergfahrers von der veranstaltenden Zeitung "L’Auto" verliehen.
Zum Tour-Sieg gezwungen: Der Belgier Lucien van Impe ist erster Gewinner des neuen Sondertrikots – und so davon begeistert, dass er sich ganz auf dieses Klassement fokussieren will. Sein Teamchef Cyrille Guimard muss ihn fast dazu zwingen, die Gesamtwertung nicht zu vergessen: Mit Erfolg – van Impe gewinnt 1976 die Tour (und später fünf weitere Bergtrikots).
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Lucien van Impe, Tour de France 1975: Erster Sieger und Seriensieger im Bergtrikot

Fotocredit: Getty Images

Gründungsgeschichte: Sponsor Poulain, seit 1964 Namensgeber für den Bergpreis, fordert schon länger eine Aufwertung seines Engagements. Um die "Sichtbarkeit" also zu erhöhen, wird 1975 ein eigenes Trikot eingeführt und Punkte dafür nun auch an kleineren Anstiegen vergeben, um dem Sponsor nicht nur im Hochgebirge, sondern auch auf Flachetappen Aufmerksamkeit zu verschaffen.
Premiere: Der allererste Träger des Bergtrikots wird am 27. Juni 1975 in Belgien an zwei kleineren Anstiegen auf der ersten Halbetappe gesucht. Eigentlich wie gemacht für Eddy Merckx, zumal dieser sauer über seine knappe Prolog-Niederlage am Vortag ist. Doch an der Côte de Bomerée stoppt er wenige Meter vor der Banderole seine Attacke und verpasst diesen historischen Sieg. Er wird das "maillot à pois" nie tragen. Der erste Fahrer im Trikot, das an die "Kleidung eines Jockeys" (L’Equipe) erinnert, wird so Joop Zoetemelk.
Deutsche Kletterkünstler: Seit 1975 haben nur sieben Deutsche dieses Trikot getragen – und insgesamt nicht einmal zwei Wochen - wir sind eben eher ein Land der Sprinter und Zeitfahrer. Den Auftakt macht Jens Voigt 1998, ihm folgen Marcel Wüst (2000), Fabian Wegmann (2005, 2006), Sebastian Lang (2008), Voigt und Tony Martin 2014 sowie Paul Voß 2016.
Rolf Aldag darf 2003 das Trikot in Vertretung von Richard Virenque nach Alpe d’Huez wuchten.
Erst 2022 kann mit Simon Geschke wieder ein Deutscher ins Bergtrikot klettern - und er trägt es länger als seine Vorgänger durch Alpen und Pyrenäen.
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Voigt erklärt: Das macht das Bergtrikot der Tour de France so wertvoll

Alle auf einen Streich: Einmaliger Coup auf der 1. Etappe der Tour 1986: Alex Stieda erobert bei einem erfolgreichen morgendlichen Ausreißversuch (in seinem Zeitfahranzug!) alle Sondertrikots. Schnell ist der Tour-Neuling aber Gelb (das er als erster Nordamerikaner trägt) wieder los – nur das Bergtrikot bleibt ihm etwas länger.
Familien-Erbstück: Die Dynastie der Simon-Brüder ist viele Jahre lang eine Institution im französischen Radsport. Beim Prolog 1993 am Puy de Fou sprintet Francois Simon die kleine Bergwertung am schnellsten hinauf und holt sich das Trikot, welches vor ihm Régis Simon 1986 und Jérôme Simon 1988 getragen hatten.
Start-Ziel-Sieg: Der einzige (fast) Non-stop-Träger war Bernard Vallet im Jahr 1982. Drei Wochen lang verteidigte der Franzose seine Führung erfolgreich gegen starke Konkurrenz wie Beat Breu oder Jean-René Bernaudeau und wurde bei den Fans enorm populär. Einziger kleiner Makel: Auf der 1. Etappe trug das Trikot noch Sprinter Jan Raas nach einem Coup im Prolog.
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Bernard Vallet, Tour de France 1982

Fotocredit: Getty Images

Heimwerker: Fans, Freunde und Familie verschönern einmal das Haus von Seriensieger Lucien van Impe mit herzigen roten Pünktchen – kommt riesig an.
Strava 0.1: Gut möglich, dass neue Technologien in einigen Jahren dazu führen, dass die tatsächliche Kletterzeit die relevante Größe für die Punktverteilung oder gar eine Berg-Gesamtwertung nach Zeit wird. Neu aber wäre das nicht – in den Jahre 1956/57 gibt's das schon bei der Tour, wenn auch mit nostalgischer Zeitmesstechnik.
Doppelsieger: Nur zwei Fahrern gelingt in 40 Jahren das Kunststück, die beiden sich fast ausschließenden Wertungen für den besten Sprinter und den besten Kletterer zu gewinnen: Bernard Hinault holt sich 1979 neben dem Tour-Sieg auch das "maillot vert" und bei seiner letzten Frankreich-Rundfahrt 1986 das Bergtrikot. Laurent Jalabert ist 1992 und 1995 bester Punktesammler im Flachland sowie 2001 & 2002 im Gebirge. Und Eddy Merckx? Für den kommt die Einführung des Bergtrikots 1975 zu spät...
Zehnerpack Gipfelsturm: Im einem Duell mit dem Schweden Frederik Kessiakoff hat Thomas Voeckler im Jahr 2012 das bessere Ende für sich – durch eine einmalige Aktion in den Pyrenäen. Auf den drei Etappen entscheidet er zehn Bergwertungen hintereinander für sich und damit auch das Gesamtklassement.
Einen ähnlichen Rekord stellt der Däne Magnus Cort Nielsen zu Beginn der Tour de France 2022 auf: Er gewinnt alle Bergwertungen der ersten Etappen, nicht weniger als 11 in Serie. Damit überbietet er den "Startrekord" von Federico Bahamontes aus dem Jahr 1958 - allerdings hatte der Spanier seinerzeit echte Gipfel erklommen, Cort nur Hügel und Rampen in Dänemark und Nordfrankreich.
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Thomas Voeckler im Bergtrikot bei der Tour de France 2012

Fotocredit: Getty Images

Attacke auf Virenque: Zwar hat Richard Virenque mit seinen sieben Titeln den Belgier Lucien van Impe (6) als Rekordsieger überflügelt, doch der sieht im Franzosen keinen wahren Kletterer. Er erinnert unlängst maliziös daran, dass Virenque nie im direkten Duell mit anderen Assen eine Bergwertung der höchsten Güteklasse (HC) gewinnen konnte. Und tatsächlich gelingt dies dem Festina-Fahrer stets nur als Solist.
Drama in Alpe d’Huez: Noch einmal van Impe, der das Bergtrikot 1977 auf dem Weg nach Alpe d’Huez gegen Gelb eintauschen will. Der Titelverteidiger geht als einsamer Solist in den Schlussanstieg, wird dort aber von einem Auto umgefahren, stürzt und verliert mit seinem defekten Rad den Etappen- und vielleicht auch den Toursieg. Doch der Unfall wird verheimlicht, die Tour-Leitung will keinen Skandal - und van Impe fügt sich.
Kuriose "Berge": 'Der kommt doch über keine Autobahnbrücke' wird gerne über manche Sprinter gelästert. Doch dass es auf Brücken auch Bergpunkte geben kann, zeigt die Tour gleich zwei Mal. Auf der "Pont Saint-Nazaire" über die Loire-Mündung werden 1993, 1999 und 2011 Zähler vergeben – und auch auf den Champs Elysées gibt es schon 1976 im Schatten des Arc de Triomphe "Berg"punkte.
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Das Feld der Tour auf der Pont Saint-Nazaire 2011

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Sprinter-Premiere: Erstmals wird 1982 schon im Prolog das Bergtrikot verliehen. In Basel nutzt Sprinter Jan Raas die Gunst der Stunde und wird so zum Vorbild für Marcel Wüst 18 Jahre später (s.u.). Den Berg-Sprint in Oberwil über einen Kilometer gewinnt er mit Ansage – und trägt das Trikot einen Tag.
Kölner mit Coup: Im Zeitfahren zum Auftakt der Tour 2000 haben die Streckenplaner eine Bergwertung zwischen den Kornfeldern "versteckt" – knapp einen Kilometer ist der Anstieg lang, beschauliche 3,7% "steil". Ein langer Sprint, denkt sich Marcel Wüst – und bereitet seinen Coup minutiös vor. Unzählige Male fährt er im Vorfeld die Steigung ab, geht am Renntag mit einem normalen Rad auf die Strecke – und gibt von Kilometer 2,5 der Strecke an Vollgas, "bis der Puls bei über 200 Schlägen war".
Der Lohn: Bestzeit vor Frankie Andreu für den Kölner. Doppelt clever: Die nächsten drei Etappen bieten keine Chance, ihn zu entthronen. Und auf dem 5. Teilstück triumphiert er im Bergtrikot bei der Sprintankunft von Vitré vor Erik Zabel – der erste und einzige Tour-Etappensieg von Wüst.
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Marcel Wüst, Tour de France 2000

Fotocredit: Getty Images

Sprintsieg im Bergtrikot: Schon vor Marcel Wüst gewinnt ein Festina-Sprinter eine Tour-Etappe im Bergtrikot. Bei der Tour 1994 schlüpft Jean-Paul van Poppel durch einen Ausreißversuch auf der 1. Etappe ins Bergtrikot und gewinnt in diesem Outfit tags darauf vor Olaf Ludwig den Massensprint in Boulogne-sur-Mer – also wie Wüst vor einem Telekom-Sprinter.
Verseuchtes Erbe: Die Skandal-Tour 1998 hat auch beim Bergtrikot ihre ganz eigene Geschichte. Rodolfo Massi wird mit reichlich Medikamenten im Gepäck aus dem Verkehr gezogen, es rückt Christophe Rinero nach. Der Franzose weigert sich aber zuerst, das Trikot auf dem Podium zu tragen, will nicht mit dem Italiener in Verbindung gebracht werden. Am Ende trägt der Cofidis-Profi es aber bis Paris, ohne im Verlauf der Tour aber auch nur eine Bergwertung als Erster überquert zu haben. Kleiner Trost: Niemand fuhr den schweren Anstieg zum Tourmalet schneller als er hinauf.
Blutrotes Bergtrikot: Kaum je war ein Fahrer auf dem Podium so gezeichnet und unter Tränen wie Johnny Hoogerland 2011. Denn auf der Mittelgebirgsetappe, bei der sich der Niederländer die Punkte zu Übernahme des Trikots sichert, wird er Opfer eines furchtbaren Unfalls. Ein Auto touchiert ihn bei einem Überholmanöver, Hoogerland fliegt durch die Luft und landet im Stacheldraht des Weidezauns am Straßenrand. Mit 33 Stichen genäht und von den Kollegen in den Anstiegen geschoben, trägt er das Trikot am nächsten Tag wie eine Art Märtyrer.
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Johnny Hoogerland unter Tränen im Bergtrikot bei der Tour de France 2011

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Geschenk auf Schlussetappe: Großzügig zeigt sich Lucien van Impe im Jahr 1976 und verschenkt das Bergtrikot an den Italiener Giancarlo Bellini. Dieser hat die ganze Tour über eifrig gepunktet, doch van Impe zieht in den Bergen bei der Eroberung des Gelben Trikots vorbei. Als der Gesamtsieg des Niederländers feststeht, lässt er auf der vorletzten Etappe Bellini ziehen und vor den Toren von Paris punkten. Am Ende liegt der tapfre Außenseiter einen Zähler vor dem letztlich sechsfachen Gewinner des Bergtrikots.
Wikinger im Kurzeinsatz: Selten hat ein Fahrer das Bergtrikot in den vier Jahrzehnten so kurz getragen wie Thor Hushovd. Der Norweger absolviert 2011 das kurze Mannschaftszeitfahren auf der 2. Etappe "in Vertretung" im gepunkteten Rennanzug, da er bei der "Bergankunft" am Mont des Allouettes zum Tour-Auftakt mit ganz vorne lag. Das breite Kreuz des Sprinters im sonst eher durch schmächtige Kletterer gefüllten Leibchens ist ein ungewohnter Anblick – für 20 Minuten.
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Thor Hushovd im Bergtrikot bei der Tour de France 2011

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Arbeitsloser mit Ausreißerglück: Die Karriere von Philippe Tesnière ist arm an Höhepunkten und von kurzer Dauer. Bei der Tour 1978 wird er Letzter, im Folgejahr will er diesen Ehrentitel erneut, verzockt sich aber und fällt kurz vor Paris beim verbummelten Zeitfahren aus der Karenzzeit. Ohne Vertrag kann er 1980 nur in der Mannschaft der "Freunde der Tour" starten. Auf der 1. Halbetappe von Frankfurt nach Wiesbaden gewinnt er zwei Bergwertungen und das Trikot. Doch die Freude währt nicht lange: Auf der 3. Etappe stößt er mit einem Zuschauer zusammen und verliert kurz das Bewusstsein. Dennoch will er sich unbedingt ins Ziel kämpfen, wo er mit fast zwei Stunden Rückstand ankommt und ausscheidet. 1987 stirbt er mit nur 32 Jahren an Krebs.
Lucho lässt den Sponsor jubeln: Kolumbianische Kletterer sind mittlerweile ein etabliertes Markenzeichen – doch 1985 noch absolute Exoten. Doch da inzwischen der Sponsor des Bergtrikots "Cafe de Colombia" heißt, ist die Vorgabe klar. Und "Lucho" Herrera macht den Sponsor glücklich und wird zum Volksheld: Schon im Prolog wird er Zweiter am Anstieg der Côte du Cadoudal und trägt das Trikot in Vertretung, doch nach eifrigem Sammeln in Vogesen, Alpen und Pyrenäen gewinnt er die Wertung mit enormem Vorsprung - wie auch 1987.
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Kolumbiens Kletterkönig Lucho Herrera auf dem Weg nach Alpe d'Huez bei der Tour 1987

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Abschiedsgeschenk oder Trostpreis? Alles hat Bernard Hinault bei der Tour schon gewonnen – nur der einmalige sechste Gesamtsieg und das Bergtrikot fehlen noch, als er 1986 ins Rennen geht. Gelb muss er am Ende nach heißen Scharmützeln Greg LeMond überlassen, doch das gepunktete Trikot trägt er zum Abschluss seiner Tour-Karriere auf den Champs Elysées.
Streichresultate: In den 40 Jahren wurde zwei Fahrern der Gesamtsieg in der Bergwertung wieder aberkannt. 2008 erwischt es Bernhard Kohl, nachdem in jener Tour schon Riccardo Ricco als Führender der Bergwertung wegen Cera-Dopings den Spitzenplatz räumen musste. Im Folgejahr ist es Franco Pellizotti, der sich nur einige Monate Bergkönig nennen kann, bis sein Blutpass die UCI zum Eingreifen zwingt. Nicht wenige andere Gewinner des Bergtrikots haben eine Dopinggeschichte, gestrichen wurden aber aus den Siegerliste der Tour nur der Österreicher und der Italiener.
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Bernhard Kohl bei der Tour de France 2008 mit dem Bergtrikot

Fotocredit: Getty Images

Fehlanzeige: Nie im Bergtrikot bei der Tour unterwegs war Marco Pantani – und auch andere starke Kletterer oder Sieger großer Bergetappen fuhren nie in rot-weiß oder führten diese Wertung an - wie Jose Maria Jimenez, Laurent Fignon, Greg LeMond, Lance Armstrong, Alberto Contador oder Andy Schleck.
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