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Der Klimawandel macht dem Wintersport zu schaffen

Sigi Heinrich

Update 24/12/2019 um 09:01 GMT+1 Uhr

Zu Weihnachten 2019 beobachtet Sigi Heinrich die aktuelle Klimasituation kritisch. Echte Winter gibt es immer seltener, Schnee wird auch in den Bergen Mangelware. Die Frage, was das für die mittelfristige Zukunft des Wintersports bedeutet, steht zwangsläufig im Raum. Bisher ist es nur ein Alptraum, in dem der Weihnachtsmann im Ostfriesennerz erscheint. Doch das kann sich ändern.

Heinrich-Blog

Fotocredit: Eurosport

Liebe Sportfreunde,
ich höre das Klopfen an der Tür. Nicht laut, nicht beharrlich. Eher unwiderstehlich. Ich bin vorbereitet. Heute soll der Weihnachtsmann bei mir vorbeischauen. Ich freue mich auf ihn. Noch kurz die Haare gerubbelt, Hemd in die Hose gesteckt, den Pulli glattgestrichen und dann nichts wie raus.
Und da steht er vor mir: In einem gelben Regenmantel und einer Sturmmütze, so wie ich das mal gesehen habe bei den Ostfriesen, wenn sie peitschendem Regen trotzen müssen. Er sieht mich an und erkennt meine Überraschung und ohne groß nachfragen zu müssen, erklärt er mir, dass er sich anpassen müsse.
Winter, so sagt er, gäbe es nicht mehr so wie früher.
Und ich erinnere mich an das Biathlonrennen der Frauen in Le Grand Bornand in Frankreich. Der Ort liegt immerhin auf 1300 Metern. Schneesicher eigentlich. Doch dieser Sprint wurde bei strömendem Regen durchgeführt. Die norwegische Siegerin Tiril Eckhoff sagte hinterher, sie habe gar nicht gewusst, dass sie auch Wasserskifahren kann.

Ein seltsames Geschenk

Gibt es bald keinen Wintersport mehr, frage ich.
Klimawandel? Dieser seltsame Santa Claus gibt mir mein Geschenk. Ein Umschlag bloß. Darin sei, so erklärt er mir, ein wichtiges Papier. Da ist sie wieder, die Vorfreude wie damals, als wir Kinder waren und tatsächlich noch neugierig durch das Schlüsselloch geschaut haben um Weihnachten näher zu sein noch vor der Zeit.
Und dann fliegt er davon, der seltsame Besucher. Keine Rentiere sind vor einem Schlitten gespannt, so wie ich mir das vorstelle. Er nutzt ein Amphibienfahrzeug mit Elektromotor. Schön ist das nicht und irgendwie zerstört dieser Auftritt auch meine Weihnachtsillusion. Ich will so viel Realität nicht.

Nur eine Kerze

Im Wohnzimmer brennt eine Kerze. Nur eine. Ich traue mich nicht, mehrere zu nutzen. Zum Schluss würde ich wegen maßlosem Kerzenverbrauch als Klimasünder gebrandmarkt. Natürlich reiße ich den Umschlag gleich auf und sehe nur einen Satz auf einem grauen Papier (vermutlich Biopapier).
Da steht: Ergebnis der Klimakonferenz vor Weihnachten in Madrid.
Und? Nichts eben. Nichts. Kein Resultat. So langsam dämmert es mir. Wir verschieben den Klimawandel, ignorieren alles was passiert. Erhöhten Meeresspiegel, brennende Regenwälder, Hitzerekorde in Australien und Gletscherschmelze, die so intensiv ist, dass wir sie fast schon täglich mit bloßem Auge erkennen können.

Der Sommer ist schon der Winter

Vergangenes Wochenende wollte ich mich ablenken, freute mich auf Skirennen in Gröden und in Val d'Isere. Skicross war auch noch in Innichen und irgendwo wollten Naturrodler aktiv sein. Toll. Und dann: Nichts. Wieder nichts. Abgesagt. Regen. Es ist zu warm. Die Pisten sind kaputt. Immerhin sprangen sie in Engelberg von der Schanze.
Die Adler des Winters haben es ja auch gut. Sie stellen ihre breiten Latten in eine Porzellanspur und könnten notfalls auch auf nassen Matten landen. Sie brauchen schon lange keinen Schnee mehr. Im Sommer führen sie uns das immer vor. Ist das die Zukunft? Oder schon die Gegenwart? Nächstes Jahr gibt es in Ruhpolding eine Sommer-Biathlon-Weltmeisterschaft. Auf Rollern sausen dann die Athleten in kurzen Hosen und T-Shirts über ein Asphaltband.
Grausig ist das. Und ich verstehe jetzt den Weihnachtsmann, der früher ja auch noch mit seinem Schlitten über Seen glitt, die eine dicke Eisdecke hatten. Jetzt plätschern dort im Dezember immer noch Wellen ans Ufer. Das hat natürlich auch Vorteile. Badelatschen sind billiger als Winterschuhe mit Lammfellsohlen. Und ein Bademantel ist auch günstiger als ein Ski-Overall. Wir schenken keine Schlitten mehr. Wozu auch. Stattdessen gibt es ein knallrotes Gummiboot.

Ignoranz bis zum bitteren Ende

Schweißgebadet wache ich auf und schaue mich um. Und traue meinen Augen nicht. Es schneit. Ich gehe vor die Türe und stelle mich einfach nur so hin und lasse mich zart von den Schneeflocken berühren. Ist also alles halb so schlimm. Können wir doch einfach so weitermachen wie bisher? Mit dem Skizirkus in Gletscherregionen gehen und monatelang quer durch die Alpen reisen? Auf Teufel komm raus Kunstschnee produzieren um der Natur mit menschlicher Intelligenz ein Schnippchen zu schlagen? (Wir sind schon eine tolle "Spezies" Erdbewohner).
Aber wir sind auch lernfähig. Zumindest glauben wir das. Immerhin schicken wir die Leichtathleten und Fußballspieler schon mal in die Wüste, damit sie sich an die neue Welt gewöhnen mögen. Und die Olympischen Spiele in Tokio nächstes Jahr werden zur heißesten Jahreszeit in Japan ausgetragen. Wir stellen uns also ganz toll den Veränderungen, die natürlich nicht von heute auf morgen eintreten werden. Aber übermorgen. Übermorgen wird der Weihnachtsmann mit dem gelben Regenmantel Realität sein. Und dann ist das kein Traum mehr. Ich habe Angst davor.
Es ist zu warm. Mich fröstelt.

Zur Person Sigi Heinrich:

Der renommierte Sportjournalist, Buchautor und vielfach ausgezeichnete Eurosport-Kommentator Sigi Heinrich widmet sind in seinen Blogs der gesamten Vielfalt des Sports inklusive den komplizierten Mechanismen der Sportpolitik. Mal sehr ernsthaft, mal mit einem verschmitzten Augenzwinkern und manchmal auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle was dabei sein.
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