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FußballWM

WM 2018: Vor dem Schweden-Spiel - die ganz eigene Realitätsshow des Jogi Löw

Thilo Komma-Pöllath

Update 22/06/2018 um 14:54 GMT+2 Uhr

LIGAstheniker Thilo Komma-Pöllath erlebte die Niederlage der deutschen Auswahl bei der WM gegen Mexiko in Südtirol. Dort begibt er sich auf Erklärungssuche für die merkwürdige Atmosphäre, die den Weltmeister derzeit umgibt und die fürchten lässt, dass die Endrunde für Deutschland nicht mehr sehr lange andauert. Besonders bizarr ist der Umgang mit der Krise - oder gibt es die etwa gar nicht?

Löw, Brandt und Schneider

Fotocredit: Getty Images

Wenn man in der ersten WM-Woche in Südtirol Ferien macht, so wie der LIGAstheniker, und man dem "Geist von Eppan" nachspürt wie einst dem "Geist von Spiez", dann ist das eine ziemlich ernüchternde Angelegenheit.
Die Südtiroler tragen, man hätte es sich denken können, keine Trikots der deutschen Nationalmannschaft, dafür auffallend oft das Trikot des FC Bayern. Das Aktuelle, ganz alte, sogar selbstgemalte. Am beliebtesten ist das von Robert Lewandowski - und der ist Pole. Vom "Geist von Eppan" - dort, wo sich die Löw-Elf den letzten WM-Schliff holte - wird also, wenn die Stimmung nicht trügt, keine Legendenbildung ausgehen wie damals 1954 vor dem allerersten Titelgewinn.
Fragt man den Wirt der "Taser Alm" unweit von Eppan auf dem Schennaberg, Sepp Gamper, ob gegen Mexiko nicht auch Südtirol ein bisschen verloren habe, sagt der:
Ich geb' die Hoffnung nicht auf, gegen Schweden wird's besser. Auf so miserable Tourismuswerbung können wir sonst gerne verzichten.
Wie weit kommt Deutschland bei der WM?

Löw sendet die falschen Signale

Und bevor das Rudelgebrüll anschwillt, wie kann er nur, der LIGAstheniker, während der Weltmeisterschaft in die Ferien fahren, dem sei gesagt, dass ich mich strikt an die Losung des Bundestrainers halte, der seit der Mexiko-Blamage im Dauermodus wiederholt, "die WM ist noch lang". Vielleicht ist sie aber auch viel kürzer als Jogi denkt.
Wenn es nach ihm geht, dann ist nichts passiert. Er hat in dieser Woche lieber darüber diskutiert, warum ihm die Unterkunft in Watutinki, übrigens ein ehemaliges Sanatorium (!), nicht gefalle und er sowieso nicht verstehen könne, warum man nicht gleich, wie damals in Brasilien, ein neues "Campo Bahia" für ihn habe bauen lassen.
Das wäre allerdings, unter Vorbehalt, nur am Badeort Sotschi gegangen, es sei denn, Jogi wollte auch noch das Schwarze Meer an den Stadtrand von Moskau verlegen. In Sotschi ist Jogi aus Trotz und um seinen Manager und Watutinki-Befürworter Oliver Bierhoff zu ärgern gleich mal mit allen öffentlich-rechtlichen TV-Kameras an der Kurpromenade joggen gegangen. Jogi, braun gebrannt, im körperbetonten Laufshirt, Müller-Hohenstein vom ZDF im Schnappatmung - war noch was? Ach ja, die WM...

Bundestrainer contra Führungsspieler

Das hat es wohl selten bei einer deutschen Nationalmannschaft gegeben, zumal während einer Weltmeisterschaft, dass man sportlich in der Krise steckt, diese Krise aber von der sportlichen Leitung negiert wird. Zumindest nach allem was öffentlich bekannt wird. Und auch wenn nicht alles bekannt sein mag, wissen wir doch auch, dass die Führungsspieler im Team das deutlich anders sehen als ihr harmoniebedürftiger Chef.
Kroos war nach dem Mexiko-Spiel stinksauer ob der Leistung ("Wir sind unter Druck"), Hummels flehte regelrecht ins Mikro, dass er die fehlende Absicherung nach hinten intern mehrfach angesprochen habe und wie er es sagte, klang es so, als ob ihm Löw gar nicht zuhöre und ernst nehme. Weil nicht sein darf, was gar nicht sein kann? Dass die DFB-Elf vielleicht schon über Ihren Zenit hinaus ist?
Zumindest, dass Löws taktisches Gebilde nur ohne Fehler und schnelle Ballverluste funktioniert, wozu diese Elf derzeit (siehe auch Testspiele gegen Österreich und Saudi-Arabien) offensichtlich nicht in der Lage ist. Die Spieler auf dem Platz spüren instinktiv, dass etwas nicht stimmt, und solche, die sich mit der Zahl Ihrer Erfolge ein gewachsenes Selbstbewusstsein erworben haben wie Kroos und Hummels, trauen sich das auch laut zu sagen, obwohl Löw die Nörgler in den eigenen Reihen kaum auszuhalten vermag. Auch deshalb mag er angepasste Mitspieler so gerne, Leute wie Draxler oder Özil.
Tatsächlich gilt: Die Drift zwischen dem Bundestrainer und seinen größten Spielerpersönlichkeiten war selten so groß wie 2018.

Löw'scher Realitätsverlust

Regelrecht absurd wurde es am Dienstag, als der DFB seinen Kapitän Manuel Neuer zur offiziellen Pressekonferenz schicken wollte, um endlich für Ruhe in der zweifelnden Öffentlichkeit zu sorgen. Neuer kam fast eine Stunde zu spät, wegen einer "kurzfristig anberaumten Krisensitzung", wie es hieß. Aber wieso Krise, wo doch Löw gar keine Krise erkennen konnte? Und wieso kurzfristig?
Das Mexiko-Spiel war bereits fast zwei Tage alt. Haben die Spieler ihren Trainer etwa endlich zur offenen Aussprache genötigt, um doch noch die WM-Kurve zu kriegen? Wolfram Eilenberger, Philosoph und ebenfalls Torhüter in der Autoren-Nationalmannschaft sprach nach dem Mexiko-Spiel von einem "Realitätsverlust", der bei Joachim Löw zu erkennen sei. Löw glaubt, dass diese WM noch lange dauert. Sie kann aber auch schon gegen Schweden (Samstag ab 20:00 Uhr im Liveticker bei Eurosport.de) zu Ende sein.
Der LIGAstheniker fährt jetzt erst mal nicht mehr in die Ferien. Versprochen!
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