Top-Sportarten
Alle Sportarten
Alle anzeigen
Opinion
Radsport

Doppelt dumm gelaufen

Andreas Schulz

Publiziert 28/05/2015 um 15:57 GMT+2 Uhr

Stehversuche am Schlussanstieg, zwei Teamkollegen spielen miteinander Jo-Jo und alle schauen fasziniert, verwundert, verärgert zu.

Eurosport

Fotocredit: Eurosport

Am Ende aber sind beide Hauptdarsteller und ihr Team Verlierer. Dumm gelaufen.
Für Chris Froome, denn der verpasst einerseits einen zweiten Etappensieg und die Chance, Platz zwei gegen Nibali noch klarer abzusichern. Er macht sich aber mit der offensiven Darstellung seiner Überlegenheit im Finale keine Freunde, das kann man eleganter lösen. Wenn ihm Wiggins freie Fahrt gab, warum hat er sie nicht genutzt? Wenn ihn Yates zurückpfiff, warum hat er sich nicht ohne viel Gefuchtel gefügt? So zeigte er Stärke, aber keine Klasse. Der historische Erfolg verschwindet hinter einem Nebenkriegsschauplatz.
Für Bradley Wiggins, denn er wurde, so die Sicht etlicher Experten, von seinem Edelhelfer lächerlich gemacht - und das just in dem Moment, als er den Tour-Sieg praktisch in trockene Tücher brachte. Er steht für viele nun als Tour-Sieger zweiter Klasse dar, der gar nicht der stärkste Fahrer im Feld gewesen sei. Dass er aber seit fast drei Wochen im Rennen den enormen Druck des Kapitäns aushalten muss, dass er seit Monaten in dieser Rolle im Rampenlicht steht und Siege herausfährt, während sich Froome in aller Ruhe auf seine Rolle konzentrieren konnte? Geschenkt.
Ich habe keine Aktien am ein oder anderen Fahrer. Mich ärgert aber, dass viel zu oft nur auf die aktuelle Etappe geschaut wird. Dass die Äußerungen der Hautdarsteller mal als reine Wahrheit präsentiert werden, mal als strategischer Team-Sprech - ganz wie es dem jeweiligen Betrachter in den Kram passt. Beides gab und gibt es offensichtlich. Das aufzulösen ist aber aktuell unmöglich. Der wahre Fehler von Sky ist es, dass sie entweder keine absolut klare Linie vorgegeben haben - oder sie nicht durchsetzen konnten.
Übrigens, nur so zur Erinnerung: Es kommt ja noch ein kleines, unbedeutendes Zeitfahren über 53 Kilometer, wo im Regelfall Wiggins gegenüber Froome deutlich Zeit herausfahren sollte.
Nicht zu hoch pokern
Losgelöst davon sind die Zeitabstände eben nicht so, dass man da schon chirurgisch präzise ein Feinsttuning vornehmen sollte. Das fordert sich von Außen viel zu leicht: Ein Defekt im Zeitfahren (frag nach bei Tony Martin), ein Defekt wenige Kilometer vor dem Ziel (frag nach bei Froome in Seraing), ein Sturz vor der 3-Kilometer-Marke (frag nach bei 90% des Feldes) und der schöne Plan ist im Eimer.
Auch nicht vergessen: Es war Wiggins, der in an den letzten Tagen der Vuelta 2011 für Froome arbeitete, Eurosport-Zuschauer haben das wahrscheinlich noch vor Augen. Dieser Kapitän ist also sehr wohl schon bereit gewesen, seine Rolle im Ernstfall abzugeben. Zu spät vielleicht - aber hinterher ist jeder leicht ein Großstratege. Zeitgewinn Froome zu Wiggins damals übrigens nicht drei Minuten, sondern 33 Sekunden an den Mörderrampen...
Aber man darf schlichtweg nicht vergessen, dass ein Team andere Ziele hat, als jedem Fahrer jeden Wunsch zu erfüllen - da fährt ganz nebenbei auch ein amtierender Weltmeister mit nur einem Helfer quer durch Frankreich. Und Sky ist auch nicht dazu da, uns das größtmögliche Spektakel zu bieten und zweimal pro Woche die Kapitänsrolle zu wechseln.
Brailsford ist neue Löw
Man hat fast den Eindruck, Sky habe eine schlechte Tour gefahren - dabei steuern sie auf einen überlegenen Doppelsieg hin, garniert mit Tagessiegen durch drei unterschiedliche Fahrer. Das aber wird kaum noch gewürdigt. Dave Brailsford ist der neue Joachim Löw: Jeder weiß besser, wie er sein Team auf- und einzustellen hätte. Dabei orchestriert er gerade einen historischen Erfolg!
Dass der Waliser keine Angst hat, große Namen für den Erfolg zu opfern, ist fast untergegangen. In seiner Funktion als Chef der britischen Bahnrad-Asse hat er verfügt, dass Sir Chris Hoy, dreifacher Peking-Olympiasieger und höchstdekoriertester Athlet des Königreiches, bei den Heim-Spielen in London nicht im Sprint antreten darf.
War noch was?
Ja - aua. Chris Anker Sörensen hat sich eine tiefe Wunde zugezogen, als er versuchte, eine Zeitungsseite aus seinem Vorderrad zu fischen. Natürlich fuhr er die Etappe durch, danach wurde er in Toulouse operiert. Das erinnert an Mikel Zarrabeitia, der sich bei der Vuelta 2000 mit dem Vorderrad einen Finger amputierte. Hat damals einen jungen Praktikanten bei Eurosport so beeindruckt, dass er den ONCE-Fahrer bis heute nicht vergessen hat.
Der Tweet des Tages kommt heute von einem spanischen Radio-Kollegen. Er erinnert uns an einen wichtigen Aspekt des Sieges von Valverde, der im ganzen Sky-Getöse nicht untergehen darf: Den Triumph widmete der Tagessieger seinem letztes Jahr tödlich verunglückten Teamkollegen Xavier Tondo. Es gibt eben noch richtig wichtige Dinge.
Mehr als 3 Mio. Sportfans nutzen bereits die App
Bleiben Sie auf dem Laufenden mit den aktuellsten News und Live-Ergebnissen
Download
Ähnliche Themen
Diesen Artikel teilen
Werbung
Werbung