Tour de France 2024 - Drei Dinge, die auffielen: Pogacar unschuldig, Vingegaard wiedererstarkt, Evenepoel auf gutem Weg

Tadej Pogacar hat sich auch auf der 20. Etappe der Tour de France noch einen Etappensieg geholt - seinen fünften bei dieser Frankreich-Rundfahrt, und den 16. insgesamt. Dabei hatte er vorher angekündigt, Ausreißern eine Chance zu lassen und gab sich dann im Finale am Col de la Couillole doch von der eiskalten Seite. Kann man dem Mann im Gelben Trikot das vorwerfen? Drei Dinge, die auffielen.

Pogacar unerbittlich, Konkurrenz entnervt - die Highlights

Quelle: Eurosport

Fünf Etappen durchs Hochgebirge gab es bei dieser 111. Frankreich-Rundfahrt, und auf allen fünf hieß der Sieger Tadej Pogacar.
Auch am Col de la Couillole hat der Slowene im Gelben Trikot nochmal zugeschlagen, anstatt Geschenke zu verteilen - auch wenn viele Jonas Vingegaard dort nach seiner Tempoarbeit im Finale als den verdienten Sieger sahen.
Der Däne meldete sich stark zurück, nachdem er am Vortag "einen der schlechtesten Tage auf dem Rad" gehabt hatte.
Er wehrte Remco Evenepoels Angriffe ab und distanzierte den Belgier dann. Doch auch der Mann in Weiß kann vor dem Abschlusszeitfahren zufrieden sein.
Drei Dinge, die auf der 20. Etappe auffielen:

1. Er kann doch nichts dafür!

Es gab mal einen alten Brauch im Radsport: Wenn zwei Fahrer das Ziel gemeinsam erreichen und einer das Gelbe Trikot bekommt oder damit sogar die Tour gewinnt, dann darf der andere den Etappensieg einheimsen.
In Erinnerung an diese längst vergangenen Tage erregte Tadej Pogacar am Samstag auf dem Col de la Couillole mit seinem erbarmungslosen Antritt 150 Meter vor dem Ziel die Gemüter der Radsport-Romantiker. Der Mann in Gelb sprintete den im Klassement über fünf Minuten zurückliegenden Jonas Vingegaard ab, obwohl er dem Dänen auf den fünf Kilometern zuvor die Führungsarbeit nicht abnehmen wollte - Skandal!
Doch der Radsport ist eben nicht mehr, was er war. Er ist ein Millionen-Geschäft geworden. Es gibt nichts zu verschenken. Auch ein Max Verstappen hört nicht auf, Formel-1-Rennen zu gewinnen, wenn er fünf Läufe vor Saisonende als Weltmeister feststeht.
Und wenn man genau hinschaute: Pogacar tat auf dieser 20. Etappe durch die Seealpen bis 500 Meter vor dem Ziel doch eigentlich alles, was in seiner Macht stand, um seinen fünften Etappensieg bei dieser 111. Frankreich-Rundfahrt zu verhindern.
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Keine Gnade! Pogacar sprintet Vingegaard bei Bergankunft ab

Quelle: Eurosport

Der Slowene hätte in seinem Trainingsrevier mit seiner Dominanz und dem starken Team im Rücken auch von Beginn an auf Sieg fahren können, doch das tat er nicht. Er wurde viel mehr von der Konkurrenz dort hingeführt - erst von Evenepoels Team Soudal-Quick-Step und später von Vingegaard selbst.  
"Ich war sehr überrascht, als das Rennen am Col de Braus - einer meiner liebsten Berge im Training - bereits explodiert ist", sagte Pogacar mit Blick auf die extrem hektische Anfangphase. Sicher: Sein Team fuhr im Hauptfeld am Col de Braus ein Höllentempo, doch der Grund dafür war eben Mikel Landas Anwesenheit in der Spitzengruppe. Der Gesamtfünfte war eine große Gefahr für den vierten Gesamtrang von Pogacars Edelhelfer Joao Almeida.
Als diese Situation repariert war, kehrte UAE zum Ursprungsplan zurück: ein entspannter Tag im Peloton und der Freifahrtschein für eine Ausreißergruppe. Als der Vorsprung der zehn Spitzenreiter dann aber auf knapp fünf Minuten anwuchs, übernahm Soudal das Zepter und führte das Feld wieder näher heran. Die Belgier wollten Vingegaard unter Druck setzen und einen Angriff von Evenepoel auf Gesamtrang zwei vorbereiten.
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Pogacar macht keine Geschenke - "Man kann es ihm nicht vorwerfen"

Quelle: Eurosport

Dieser Angriff kam dann auch - gleich zwei Mal - und anschließend konterte Vingegaard und fuhr Evenepoel davon. Pogacar tat nichts anderes, als zu folgen. Vingegaard bat ihn um Mithilfe, doch Pogacar verweigerte. Ein einziges Mal fuhr er zaghaft vorbei, schien dabei das Tempo aber sogar eher zu verschleppen und den Spitzenreitern Richard Carapaz und Enric Mas so zu helfen, als wirklich Führungsarbeit zu leisten. Deshalb fuhr Vingegaard sofort wieder vorbei und weiter von vorne.
"Jonas wollte mehr Zeit auf Remco herausfahren, um für morgen sicher zu sein", erklärte Pogacar nach der Etappe. Und selbst im Finale wartete er mit seinem Vorstoß, bis endgültig klar war, dass der eingeholte Carapaz nicht mehr mitfahren und damit auch nicht den Sieg feiern kann.
Gut möglich, dass er dem Ecuadorianer das Geschenk gemacht hätte, das er seinem Dauer-Rivalen aus Dänemark nicht machte.
"Man gibt keinen Etappensieg einfach an den besten Konkurrenten ab", erklärte Pogacar auf der Pressekonferenz, als er gefragt wurde, warum er Vingegaard letztlich absprintete und verteidigte sich: "Wir haben der Spitzengruppe heute genügend Zeit gegeben. Sie hatten heute eine große Chance. Sprinter geben auch nicht Etappen an einen Gegner ab und nehmen etwas zurück. Man will immer gewinnen und hat auch immer den Druck zu liefern, sonst sieht es nicht gut für dich aus. Man versucht immer zu gewinnen, wenn man kann."
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Pogacar nach Sieg auf Etappe 20: "Man bremst nicht im Radsport"

Quelle: Eurosport

Und dann ist da eben auch noch Psychologie: Seit Mark Cavendish auf Etappe 5 in Saint-Vulbas mit seinem 35. Tour-Etappensieg den neuen Rekord aufstellte und anschließend zu Pogacar sagte, er solle ihm den bitte nicht wegnehmen, wurde Pogacar immer wieder darauf angesprochen: Er würde die 35 irgendwann übertrumpfen, hieß es während dieser Tour ein ums andere Mal.
Möglich, dass sich auch das in seinen Hinterkopf eingebrannt hat: Was ist eigentlich, wenn ich in acht, neun oder zehn Jahren in den letzten Zügen meiner Karriere bei 34 Siegen stehe? Bereue ich es dann vielleicht doch, damals 2024 am Col de la Couillole einen verschenkt zu haben?
Vingegaard jedenfalls nahm es Pogacar öffentlich nicht übel. "Irgendwie habe ich schon gehofft, dass er mir den Sieg überlässt", gab der Däne am Eurosport-Mikrofon zwar zu, fügte dann aber hinzu: "Aber erwartet habe ich es nicht. Das ist Radsport. Es ist wie es ist und ich mache ihm keine Vorwürfe. Ich würde es vermutlich genauso machen."

2. Ein Vingegaard ist nicht klein zu kriegen

Als Jonas Vingegaard am Freitag in Isola 2000 im Arm seiner Frau lag und vor Enttäuschung über die finale Bestätigung seiner Niederlage gegen Pogacar wohl auch einige Tränen verdrückte, schien der dänische Titelverteidiger gebrochen. Man konnte den Eindruck haben, er ahne bereits, dass er auch den zweiten Gesamtrang noch an Evenepoel verlieren würde.
Doch das Gegenteil war 24 Stunden später der Fall: Vingegaard wehrte zwei Angriffe des Belgiers mit Bravour ab und konterte ihn dann aus, um seinen Vorsprung vor dem abschließenden Einzelzeitfahren von 1:58 auf 2:50 Minuten auszubauen.
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Revanche für "Eier"-Spruch? Vingegaard kontert Evenepoel-Angriff

Quelle: Eurosport

"Ich bin froh, dass ich heute abliefern konnte und wie ich von gestern zurückgekommen bin, als ich einen meiner schlechtesten Tage auf dem Rad hatte", sagte er anschließend am Eurosport-Mikrofon. Die Leistung des Dänen bei dieser Tour ist drei Monate nach seiner Nahtod-Erfahrung beim Horror-Sturz während der Baskenland-Rundfahrt nicht hoch genug zu bewerten – auch wenn er gegen Pogacar chancenlos war. Und der Samstag hat gezeigt, dass Vingegaard trotz arg verkürzter Vorbereitung nicht die Substanz missen ließ, um auch am Ende der dritten Tour-Woche noch der Zweitstärkste zu sein.
"Vingegaard hatte ein paar schwere Tage, aber heute hat er gezeigt, dass er nicht einfach zu knacken ist", zog auch Pogacar am Col de la Couillole den Hut vor seinem Kontrahenten. "Es war sehr schwer zu folgen in dem Moment als Jonas seine Konterattacke forcierte. Da war ich wirklich schon am Limit und deshalb wollte ich auch nicht mit ihm zusammenarbeiten, sondern mich an seinem Hinterrad erholen, um noch die Möglichkeit zu haben, die Etappe zu gewinnen."
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Vingegaard: "Habe ein bisschen gehofft, er überlässt mir den Sieg"

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Vingegaards Tempo, mit dem er am Col de la Couillole auf den letzten fünf Kilometern die verbliebenen drei Ausreißer ein- und überholte, war stark und auch fürs Zeitfahren am Sonntag ein sehr gutes Zeichen. Vielleicht bekommt der Däne da sogar noch ein Happy End mit seinem zweiten Tagessieg. Doch selbst wenn nicht: Trotz aller Dominanz von Pogacar hat die Tour mit dem Wissen ob Vingegaards kompromitierter Vorbereitung im Hinterkopf schon Lust auf 2025 gemacht – dann hoffentlich mit gleichen Voraussetzungen.

3. Evenepoel auf gutem Weg - aber der ist weit

Die letzte Tour-Bergankunft am Col de la Couillole hat die Kräfteverhältnisse bei der Tour 2024 zum Abschluss nochmal deutlich aufgezeigt und Remco Evenepoel war ganz klar die dritte Kraft. Der Belgier hat alles versucht, um Gesamtrang zwei noch anzugreifen, ist dabei aber grandios gescheitert.
Bei nun 2:50 Minuten Rückstand auf Vingegaard scheint der Zeitfahr-Weltmeister auch mit seiner Spezial-Disziplin vor der Brust aussichtslos zurückzuliegen. "Wir haben versucht Druck zu machen und zu sehen, ob Jonas einen schlechten Tag hat. Das war aber offensichtlich nicht der Fall. Wir sind ein Risiko eingegangen und haben verloren, aber es gibt nichts zu bereuen", bilanzierte Evenepoel.
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"Alles richtig gemacht": Evenepoel versucht alles, aber es reicht nicht

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"Ich habe zweimal voll angegriffen, aber man sieht, dass die Männer vor mir zwei Ex-Toursieger mit viel mehr Erfahrung sind. Ihr Motor ist so viel größer als meiner. Das muss ich einfach akzeptieren", so der Spitzenreiter der Nachwuchswertung, der über die gesamten drei Wochen immer wieder betont hatte, was für ein großer Erfolg für ihn das Podium beim Tour-Debüt sein würde.
Diesen großen Erfolg hat er nun quasi sicher. Vor allem aber hat Evenepoel gezeigt, dass er eine dreiwöchige Rundfahrt auf allerhöchstem Niveau durchsteht, nachdem er das bislang erst einmal - bei seinem Vuelta-Sieg 2022 - schaffte und sonst immer Probleme bekam.
"Ich bin sehr froh, dass wir das heute am vorletzten Tag noch zeigen konnten und dass ich nie eingebrochen bin. Das ist auch für Euch beruhigend, denke ich", gab er einen Seitenhieb an die Experten, die an seinen Grand-Tour-Fähigkeiten in der Vergangenheit zweifelten.
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Ausblick aufs Einzelzeitfahren: Vingegaards Chance auf ein Happy End

Quelle: Eurosport

Evenepoel kann nun mit Gewissheit sagen: Er ist einer der größten Rundfahrer der Welt - und das mit enormem Entwicklungspotential. Allerdings weiß er auch: Der Weg nach ganz oben, hin zu Pogacar und Vingegaard, der ist noch weit.
"Ich denke, dass ich noch viel spezifisches Training brauche, um ihnen folgen oder sie angreifen zu können. Es gibt viel Arbeit zu tun, um diese Lücke zu schließen", so Evenepoel. "Ich würde diese Tour gerne mit einem Sieg morgen im Zeitfahren abschließen. Aber auch wenn es nicht klappt, werde ich glücklich sein. Ich bin sehr stolz auf das, was ich erreicht habe. Es gab zwei Fahrer, die besser waren, und das sind die Gewinner der letzten vier Frankreich-Rundfahrten. Das ist keine Schande!"

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Cycling - Tour de France - Stage 21 - Clip - Map

Quelle: Eurosport


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