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“Homo-Party” statt Fanfest

Fabian Kunze

Publiziert 28/05/2015 um 15:52 GMT+2 Uhr

Diese Bilder hat wohl jeder noch gespeichert: Freudentrunkene, friedlich feiernde Fußball-Fans füllen Fanfeste.

Eurosport

Fotocredit: Eurosport

Fünf Jahre ist es her, dass Hunderttausende im Berliner Tiergarten, dem Münchner Olympiapark oder auf dem Hamburger Heiligengeistfeld in einem schwarz-rot-goldenen Jubelrausch versanken.Von heute an ist wieder Heim-WM - und im Gegensatz zu den Männern damals unter Jürgen Klinsmann starten die deutschen Frauen mit berechtigten Chancen auf den dritten Titel in Folge ins Turnier. Ein Turnier, das von FIFA und OK bewusst eine Nummer kleiner gehalten wird und so auch in seiner Außenwirkung nicht die Strahlkraft seines Vorgängers besitzt. Wenn um 18:00 Uhr der Anpfiff ertönt werden zwar 74.000 Zuschauer das Berliner Olympiastadion füllen, doch in der Stadt ist wenig von der Begeisterung zu spüren, die noch vor fünf Jahren die Spree-Metropole erfüllte, als die Welt zu Gast bei Freunden war.Kleine Brötchen backen Ich begebe mich einen Tag vor der Eröffnung auf Spurensuche in der Berliner Innenstadt: Friedrichstraße, Unter den Linden, Brandenburger Tor, Reichstag - eben die Orte, die in meiner Erinnerung immer noch bierselig "Schland" skandieren. Das Ergebnis ist ernüchternd. Wo einst an nahezu jedem Auto mindestens eine Fahne die Zuneigung zu einer oder mehreren Nationen kundtat, muss man heute schon genau hinsehen, um überhaupt ein Zeichen zu finden, dass ein sportliches Großereignis bevorsteht.Unter den Linden Ecke Glinkastraße denke ich zunächst, eine Fangruppe entdeckt zu haben, doch der genauere Blick verrät: Syrien hat sich nicht qualifiziert. Und selbst als Sportfan muss ich eingestehen, dass der Kampf um Menschenrechte, den die kleine Gruppe führt, wichtiger ist, als jedes Fußballspiel.Doch auch sonst fehlt nahezu jeder Hinweis auf die WM. Mir fällt ein, dass die Organisatoren ja kleinere Brötchen backen wollten - und so gehe ich in einem Anflug von Wahnsinn zum Büro der Bäcker-Innung (ist eh gleich um die Ecke). Doch wie zu erwarten war: Auch hier keine Spur von WM-Stimmung. Gleiches gilt übrigens für den Bundesverband der Bierbrauer, zu deren Räumen die Glastür direkt nebenan Einlass gewährt."Fairplay für Vielfalt"Auf dem Pariser Platz endlich ein Zeichen! Dezent zwar, aber immerhin. Hier, wo vor fünf Jahren ein überdimensionaler begehbarer Fußball die Massen anlockte, wehen sechs orange Fahnen träge im Wind. Daneben sind es die WM-Sponsoren, die mit ihrer Werbung daran erinnern "Ach ja, da war ja was". Am Hauptbahnhof hat der Mobility Partner ein paar Banner spendiert, gegenüber vom Hotel Adlon drückt ein großer Versicherer unseren Damen die Daumen und ein paar hundert Meter zurück habe ich doch einen werbewirksam geschickt geparkten Bus des Automobilpartners an der Straße gesehen. Als ich mich so umblicke, fällt mein Blick auf den Fernsehturm. Wo einst ein magenta-silberner Fußball die Hauptstadt von weit her sichtbar überstrahlte, funkelte der wie eine riesige Diskokugel aussehende Ball matt silbern wie immer.Auf der anderen Seite des Brandenburger Tores erwartet mich eine Überraschung und ich fühle mich sofort fünf Jahre zurückversetzt: Eine große Bühne, auf der ich in Gedanken Schweini und Poldi, Klinsi und Jogi und all die anderen singend und feiernd hinzufüge. Dazu Buden, Musik und Zelte, Hüpfburg, Basketballfeld und Fußball-Käfig. "Was ist denn hier los", frage ich ein paar Jungs am Würstchenwagen in vorderster Front. "Homo-Party", ist die knappe und einzige Antwort, die ich erhalte, dann verschwindet das Quartett mit Brötchen und Bier bewaffnet.Man bereitet sich vor auf die Abschlusskundgebung des Christopher Street Days. Die große Parade der Schwulen und Lesben steht in diesem Jahr - passend zum Anlass - unter dem Motto "Fairplay für Vielfalt" und beschäftigt sich mit dem Thema Homosexualität im Sport. Geradezu bizarr mutet da die Schlagzeile der "Bild" an, die ich am morgen noch in der Bahn gelesen hatte. Nigerias Trainerin Ngozi Uche soll Priester engagiert haben, um ihre Spielerinnen liebestechnisch auf dem "richtigen" Weg zu halten. Sogar der Ausschluss von angeblich lesbischen Spielerinnen aus dem Nationalteam wird im Artikel beschrieben. Die FIFA kennt die Vorwürfe und will persönlich mit der Trainerin der "Super Eagles" sprechen - bis dahin bleibt es für den Weltverband nur ein unbestätigtes Gerücht, dass sich durch Mundpropaganda ausgebreitet hat.Alles ein wenig weiblicher Auf der CSD-Parade stünde eine solche Aussage sehr einsam da. Über 700.000 Menschen feierten und demonstrierten für mehr Akzeptanz von sexueller Vielfalt im Sport und eine rechtliche Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften mit der Ehe. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit rief den DFB auf, die Anstrengungen gegen Homophobie im Sport fortzusetzen. Theo Zwanziger ehrte bei der Abschlusskundgebung die ehemalige Fußballerin Tanja Walther-Ahrens mit dem Zivilcourage-Preis für ihre Anstrengungen gegen Diskriminierung im Fußball.Gekickt wird heute in Berlin. Auf dem Weg zum Hauptbahnhof liefen mir dann auch die ersten angereisten Fans über den Weg. Einige schon stolz im DFB-Trikot, andere mit verschämt verpackten Deutschlandfahnen, die aus der Reisetasche lugten. Keiner von ihnen wollte mir meine Karte für das Eröffnungsspiel abkaufen, niemand bot mir den dreifachen Kartenpreis, den ich vor fünf Jahren locker für meine Kurvenkarte für das Spiel zwischen Schweden und Paraguay hätte bekommen können.Es ist eben wirklich alles eine Nummer kleiner, alles ein bisschen bescheidener - man möchte fast sagen, alles ein wenig weiblicher eben. Klaus Wowereit würde wohl sagen: "Und das ist auch gut so." FIFA-Boss Sepp Blatter hat insgeheim vielleicht die Hoffnung auf ein rauschendes Fest außerhalb der Stadien, wenn er vielsagend zu Protokoll gibt: "Lasst sie doch erstmal spielen."Das werden wir tun.Herzlichst, Fabian KunzeWerde Fan von Eurosport Deutschland bei Facebook:
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