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Robert Lewandowski versetzt den FC Bayern mit fünf Toren in Ekstase

Johannes Mittermeier

Update 24/09/2015 um 09:08 GMT+2 Uhr

Immer wenn man glaubt, dass es im Fußball schon alles gab, findet ein Spiel wie Bayern gegen Wolfsburg statt. Mit fünf Toren binnen neun Minuten klappte Robert Lewandowski das ganz große Geschichtsbuch auf. Das Festzelt stand diesmal in Fröttmaning, es war so euphorisch, dass selbst Hartgesottene und Altgediente neue Erfahrungen machten. Zum Beispiel der Münchner Stadionsprecher.

Lewandowski schreibt Bundesliga-Geschichte

Fotocredit: Imago

Aus der Allianz Arena berichtet Johannes Mittermeier
Auf der Theresienwiese schepperten die Maßkrüge aneinander, das Epizentrum der Emotionen aber wurde in München-Fröttmaning geortet. Eine Arena als Open-Air-Event, gegen 21:15 Uhr entschieden die Besucher, den Lärmschutz außer Kraft zu setzen, Ekstase entwich in die feuchte Luft. Darunter flogen Fäuste, maximal aus Überschwang, und hätte es Bierbänke statt schnöder Sitzschalen gegeben, wären 75.000 Festgäste darauf getanzt, in ihrer Krachledernen mit Bier oder Brezn oder einem halben Hendl.

Die Wolfsburger vergessen, sich zu ärgern

Den Menschen standen die Münder offen, sie glucksten nur und guckten sich großäugig an, selbst die Wolfsburger vergaßen sich zu ärgern - sie kanalisierten ihren Zorn in Ungläubigkeit. Und alle, die dabei sein durften, stellten sich und dem jeweiligen Nebenmann diese Frage: Na, schon mal erlebt!? Und jeder Nebenmann schüttelte den Kopf und fragte weiter: Schon mal erlebt!?
Keiner hatte es erlebt, und dann, als Robert Lewandowski zum fünften Mal binnen neun Minuten getroffen hatte, pointiert mit einer Aktion, wie sie auf der Wiesn die tollkühnen Kerle beim Armbrustschießen aufführen - dann beschloss Stephan Lehmann, das einmal fürs Protokoll festzuhalten: "Also, wir haben hier ja eigentlich schon alles erlebt, aber..."

Teppichroller, Ringküsser, Ohrschrauber

Lehmann ist Stadionsprecher beim FC Bayern, seit 1996 macht er den Job, der im Kern daraus besteht, Aufstellung, Spielerwechsel und, logisch, Torerfolge mitzuteilen. Nebenberuflich fiebert Lehmann mit den Münchnern, bis Dienstagabend hat er gemeint, am Mikrofon bereits alle Zustände vereint zu haben. Mit Recht eigentlich.
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Luca Toni jubelt nach einem Tor für Bayern

Fotocredit: Imago

Speziell die Stürmer verschafften ihm Arbeit. Er hat Tore von Jürgen Klinsmann angesagt (und Tritte in Tonnen bestaunt), er hat gefeixt, als sich Giovane Elber im Teppich rollte (gegen Wolfsburg!), er hat den Ringküsser Carsten Jancker, den Saltoschläger Miroslav Klose und den Ohrschrauber Luca Toni gesehen. Aber was Lehmann bei Bayerns 5:1 (0:1)-Sieg über den VfL Wolfsburg durchzusagen hatte, haute sogar einen wie ihn vom Hocker. Beziehungsweise von der Bierbank, die da unten womöglich stand.
Es begann recht moderat damit, dass er in seinem "Danke-Bitte"-Dialog unterbrochen wurde. Kaum hatte Lewandowski den Ausgleich markiert und Lehmann routiniert seine Zeremoniell-Schablone eingelegt, klingelte es erneut. 2:1.
Um die Sache abzukürzen: Den Vornamen "Robert" plärrte Lehmann an jenem Abend insgesamt 17 Mal ins weite Rund. Einmal beim Verlesen der Mannschaftsaufstellung, die auch die Reservisten miteinschließt. Infolge von Sprunggelenksproblemen nahm Lewandowski zunächst Platz auf der Bank.

Wenn die Gefühle mit dir Gassi gehen

Zur Halbzeit, als die aufmüpfigen "Wölfe" führten, wechselte Trainer Pep Guardiola den Polen ein. Lehmann moderierte: "Und jetzt neu dabei, unsere Nummer 9..."
Den 15 weiteren Schreien, drei pro Tor, lagen schließlich diese Ziffern zugrunde: 50:41, 51:42, 54:03, 56:23, 59:40.
Exakt 8:59 Minuten benötigte Lewandowski für fünf Treffer, beim letzten und schönsten katapultierte er seinen Körper in die Waagrechte und drosch den Ball per Seitfallzieher in den Winkel. Es war der schnellste Fünferpack der Bundesliga, Dieter Hoeneß hatte dasselbe Kunststück mal in 21 Minuten bewerkstelligt. Nie zuvor aber gelangen einem "Joker" fünf Tore, die Rekorde für flottesten Hattrick und Viererpack sackte Lewandowski ebenfalls ein wie Preise beim Dosenwerfen auf dem Oktoberfest.
Aber was sind schon Zahlen, wenn die "Gefühle mit dir Gassi gehen", wie Sturm-Vorfahre Klinsmann einst anmerkte. 17 Mal erwiderte das Volk auf Lehmanns "Robert"-Vorlage ein "LEWANDOWSKI", die Anzahl der unsichtbaren Ausrufezeichen potenzierte sich mit fortschreitendem Abend.
Auf dem Feld deutete der 27-Jährige seine Errungenschaften mit den Fingern an, erst spreizte er drei ab, dann vier, dann fünf. Draußen zeigte Guardiola wie ein verliebter Teenager irgendeine Geste des Gefühls-Gassis, bloß Wolfsburgs Coach Dieter Hecking gefroren fast die Gesichtszüge. Später seufzte er: "Was soll ich sagen? Ein Weltklassestürmer hat fünfmal aufs Tor geschossen und hätte siebenmal treffen können."

"Wahnsinn", das Wort des Abends

Nach 45 Minuten schien es realistisch, dass nicht Lewandowski, sondern Tomislav Maric und Dietmar Kühbauer zu Namen von Belang werden. Jene VfL-Profis hatten im Dezember 2001 ein 3:3 in München herausgeschossen, es war Wolfsburgs einziger Punktgewinn in 21 Auftritten bei Bayern. Und wer weiß, was passiert wäre, hätte Joshua Guilavogui seinen Versuch aus über 50 Metern einen halben Meter weiter rechts angesetzt. Es wäre das 2:0 gewesen, Daniel Caligiuri (26.) hatte die VW-Städter in Front gebracht.
So aber konnte Robert Lewandowski selig von "einer großen Geschichte in meinem Leben" reden, "Wahnsinn" war fortan ein dankbarer Ausdruck. Thomas Müller sprach von "Wahnsinn, das gab‘s noch nicht und wird's wahrscheinlich so schnell nicht mehr geben". Philipp Lahm fand es "Wahnsinn, unglaublich", und Lewandowski kommentierte den "Wahnsinn für mich und Bayern".
Vier Tore hatte er mal erzielt, im Champions-League-Halbfinale 2013 mit Dortmund gegen Real, fünf seien beispiellos, meinte er, während er den Ball in Händen hielt - die Kollegen sollen unterschreiben. Als Andenken.

Lahm: Kritik mit Komik

Dabei war nicht einmal "jeder Ball drin", wie der Fünferpacker keck behauptete. Einmal rettete Wolfsburgs Ricardo Rodriguez auf der Linie, ein andermal zögerte Lewandowski zu lange. Kaum kühlte die Euphorie ab, bewerte Lahm die Sachlage aufgesetzt kritisch: "Man muss ganz klar sagen, dass er einfach nachgelassen hat. Er hatte noch zwei Riesenchancen. Dass er heute nicht mit sieben Toren heimgeht, ist wirklich enttäuschend..."
Dieter Müller wird aufgeatmet haben. Seine historische Bestmarke von sechs Treffern mit Köln gegen Bremen 1977 bleibt unangetastet. Die Stimmbänder von Stephan Lehmann aber hätten die "Robert"-Rufe 18 bis 20 sicher vertragen.
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