Michael Rösch exklusiv zum Wachs-Problem im deutschen Team: Für den Aufwand kommt zu wenig heraus
Die erste Woche der Biathlon-Weltmeisterschaften 2024 in Nove Mesto verlief aus deutscher Sicht enttäuschend. 2006-Olympiasieger und Eurosport-Experte Michael Rösch analysiert die Probleme in der Mannschaft des Deutschen Skiverbandes (DSV) bei den Wettkämpfen in Tschechien und ordnet ein, wie realistisch die Hoffnungen auf Edelmetall für Schwarz-Rot-Gold in der zweiten WM-Woche sind.
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Quelle: Eurosport
Die deutschen Biathletinnen und Biathleten laufen und schießen bei der WM in Nove Mesto den Erwartungen nach den guten Ergebnissen im Weltcup bisher hinterher.
Bei warmem Winterwetter in der Vysocina Arena war Rang fünf in der Mixed-Staffel zum Auftakt am vergangenen Mittwoch noch die beste Platzierung für das DSV-Team.
Vanessa Voigt verlieh nach dem enttäuschenden Verfolgungsrennen am Sonntag ihrer Frustration unter Tränen Ausdruck. Größtes Problem in der Mannschaft scheint das Material zu sein.
Eurosport-Experte und Kommentator Michael "Ebs" Rösch erklärt im exklusiven Interview, warum die deutschen Aktiven mit den Bedingungen nicht zurechtkommen, ob es noch Hoffnung auf Edelmetall für den DSV gibt. Darüber hinaus bezieht der 40-Jährige, der seine Karriere 2019 beendete, Stellung zum Einsatz von Selina Grotian im Einzel anstelle von Sophia Schneider.
Die erste Woche der Biathlon-WM ist vorbei. Im Vorfeld hat man sich aus deutscher Sicht durchaus Hoffnungen gemacht, jetzt ist erst einmal Ernüchterung eingekehrt. Woran liegt das?
Michael Rösch: Man konnte sich aufgrund der Leistungen vorher zurecht Hoffnungen machen. Und die Mixed-Staffel (5. Platz, Anm. d. Red.) war auch bis zur Halbzeit gut, bevor es dann leider in die andere Richtung ging. Bei den Sprints hatten die Deutschen zu keinem Zeitpunkt eine Chance auf eine Medaille. Franziska Preuß war da noch am nächsten dran. Aus den Gesprächen, die ich mit den Verantwortlichen geführt habe, kann ich sagen, dass es einfach eine Materialschlacht ist, die man gerade verliert. Die anderen Teams haben etwas gefunden, das funktioniert - und das macht es der deutschen Mannschaft unmöglich, vorne mitzulaufen. Man kann das mit einem Radfahrer vergleichen, der mit einem Stahl-Rahmen unterwegs ist, während der Rest auf Carbon-Rädern fährt. Es ist schade, dass das ausgerechnet zur WM so kommt, aber damit muss der DSV umgehen.
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Quelle: Eurosport
Vanessa Voigt hat nach der Verfolgung ihrem Frust freien Lauf gelassen. Auch Benedikt Doll hat nach dem Sprint darüber gesprochen, mit Quentin Fillon Maillet nicht mithalten zu können. Wie ist dieser Einbruch ausgerechnet zum Saison-Höhepunkt zu erklären? Liegt das “nur” an der Präparation der Skier oder gibt es noch andere Stellschrauben?
Rösch: Im Sprint waren die Männer auf der Loipe zwar alle nah beieinander, aber hatten überhaupt keine Tuchfühlung mit der Spitze. Das kann ich nur damit erklären, dass das Material nicht funktioniert. Ich kenne das selbst. Wenn der Ski am Fuß nicht läuft, fällt man mental auch in ein Loch, weswegen es dann beim Schießen plötzlich nicht mehr funktioniert. Das war bei der Verfolgung der Männer zu sehen, wo die Leistung am Schießstand ebenfalls nicht mehr gestimmt hat. Ich glaube schon, dass Franzi bei den Frauen in einer guten Form ist. Sophia Schneider und Janina Hettich-Waltz sind leider weit weg von dem, was man sich erhofft hat. Bei Vanessa Voigt habe ich das Gefühl, dass da eins zum anderen gekommen ist. Sie hat sich ja über ihre Skier beschwert und die Strecke bei diesen Bedingungen liegt ihr einfach nicht. Da macht der Kopf irgendwann nicht mehr mit. Ein Stück weit hat sie sich aber wahrscheinlich zu viel vorgenommen.
Ein großes Thema ist weiter das Fluor-Verbot, das es den Serviceleuten sehr schwer macht, das Material zu präparieren. Kannst du beschreiben, worin genau das Problem liegt?
Rösch: Das ist die große Krux. Dieses Fluor-Verbot hat am Anfang der Saison bei den kalten Bedingungen in Östersund keine Rolle gespielt, deswegen standen die Deutschen dort gut da. Mit den Erfahrungswerten der vergangenen Jahre konnten die Techniker die Ski sehr gut präparieren. Ähnlich war es bei den Weltcups in Ruhpolding und Lenzerheide, wo es an mehreren Tagen kalt war. Sobald es wärmer wurde - wie in Hochfilzen oder Oberhof - tun sich die Deutschen einfach schwerer. Da haben wir irgendein Problem, das wir im Vergleich zu den anderen Nationen nicht behoben kriegen. Hier in Nove Mesto hat es acht Grad plus. Die Athleten laufen auf Kunstschnee, der sehr weich und schmierig ist. Das ist wieder eine komplett neue Situation, auf die man sich einstellen muss. Da fangen zwar alle bei Null an, aber manche bekommen es eben punktuell besser umgesetzt als andere. Und da muss man ehrlicherweise sagen: Für den Aufwand, den die Deutschen mit zwei Wachs-Trucks und zehn Wachsern betreiben, kommt zu wenig heraus. Die tun ihr Bestes, arbeiten Tag und Nacht, aber sie kriegen es nicht konstant hin.
Warum haben die Deutschen ausgerechnet bei warmem Wetter diese Schwierigkeiten mit der Vorbereitung der Skier?
Rösch: Da spielt einerseits das Fluor-Verbot eine Rolle. Andererseits gab es am Montag ein Meeting mit dem gesamten Wachs-Team, bei dem mit jedem Aktiven eine Analyse gemacht wurde. Bei ein paar Läufern und Läuferinnen kann ich mir vorstellen, dass es generell ein bisschen an der Kommunikation hapert. Im Motorsport ist es total üblich, dass die Fahrer nach dem Rennen zu ihren Ingenieuren gehen und Feedback geben. Das könnte eine Stellschraube sein, an der man drehen kann, dass die Athleten und Athletinnen direkt nach dem Zieleinlauf ihre frischen Eindrücke weitergeben.
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Was macht Hoffnung auf eine deutsche Medaille bei der WM? Wer hat in welchem Rennen die größte Chance?
Rösch: Es gibt jetzt noch zwei Einzel, zwei Massenstarts und drei Staffel-Rennen. Das sind insgesamt sieben Möglichkeiten, um Edelmetall zu holen. Aber es wird schwer, weil man vom Material her so weit weg ist. Für mich haben die Männer trotz allem eine gute Laufform. Bei den Frauen ist es aber bisher nur Franzi, die überzeugen konnte. Wenn es etwas kälter und die Strecke dann besser wird, hat Vanessa vielleicht ein Chance, aber dafür gibt es keine Garantie. Bei den Staffeln sind wir zwar nicht gerade erfolgsverwöhnt, aber zuletzt gab es einen Sieg in der Single-Mixed-Staffel im Weltcup - und Roman Rees hat man für die Einzel noch in der Hinterhand. Bei den Männern kommt in den Einzel-Disziplinen zum Material noch das Problem, dass die Norweger unglaublich dominieren. Bei den Frauen sind die Französinnen in überrangender Form. Deswegen sind die Staffeln für mich die größte Hoffnung.
Der DSV hat am Montag mitgeteilt, dass Selina Grotian am Dienstag beim Einzel anstelle von Sophia Schneider an den Start gehen wird. Die richtige Entscheidung?
Rösch: Ich war etwas überrascht, dass sie im Einzel zu ihrem Debüt kommt, aber angesichts der Leistungen von Sophia Schneider ist es verständlich, dass sie eingesetzt wird. Das ist eine gute Chance für sie. Sie hat überhaupt keinen Druck und kann sich im Prinzip nur selber schlagen. Das Mädchen ist 19 Jahre alt und könnte noch zwei Jahre bei den Junioren mitlaufen. Sie kann sich hier, ähnlich wie Laura Dahlmeier am Anfang ihrer Karriere, alles anschauen, lernen und die WM genießen.
Vielen Dank für das Gespräch.
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