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Opinion
Biathlon

Blog von Sigi Heinrich zum Karriereende von Ole Einar Björndalen

Sigi Heinrich

Update 03/04/2018 um 16:09 GMT+2 Uhr

Nach einem Vierteljahrhundert ist Schluss. Ole Einar Björndalen beendet seine beeindruckende Biathlonkarriere mit 44 Jahren. Eurosport-Kommentator Sigi Heinrich war schon bei seinem ersten Rennen 1993 dabei und hat all' seine Erfolge miterlebt. Er kennt den "Kannibalen" wie kaum ein Zweiter. In seinem Blog blickt Heinrich auf die legendäre Karriere des Norwegers zurück.

Björndalen sammelte bereits 19 WM-Titel

Fotocredit: SID

Natürlich ist die Meldung vom Rücktritt keine Überraschung mehr. Vielmehr wäre es eine Sensation gewesen, hätte Ole Einar Björndalen noch weiter gemacht bis zum berühmten Sanktnimmerleinstag. Es war Zeit. Wir spürten es, weil ihm die Leichtigkeit in der Loipe immer schwerer fiel und die Schüsse zu oft ihr Ziel verfehlten.
Die Säbel des Piraten sind mit den Jahren stumpf geworden. Der Pirat. So haben ihn auch seine Konkurrenten oft genannt, weil er in ihren Revieren wilderte ohne je genug zu bekommen. Ein Unersättlicher war er, ein Getriebener seines Talents. Björndalen war immer auf der Suche. Auf der Suche nach dem perfekten Rennen, das nicht selbstverständlich einhergehen musste mit einem Sieg. Ich weiß nicht, ob er je irgendwann nach einem Erfolg tatsächlich die innere Ruhe fand um zu sich selbst zu sagen: "Besser geht es nicht." Ich ahne, es war nie der Fall.

Ein Multitalent mit vielen Optionen

Björndalen hat uns alle fasziniert. Von Anfang an. Ich war schon bei seinen ersten olympischen Spielen 1994 in Lillehammer dabei und habe alle seine Rennen kommentiert. Alle. Er hat Geschichte geschrieben mit seinen Erfolgen und hat mit seiner unnachahmlichen Art, ja seiner Gier nach Medaillen und Siegen, den Biathlonsport geprägt, wie das nur wenigen jemals vorbehalten sein wird.
Es hätte ja auch jeder andere Sport sein können. Er fuhr einige Alpenetappen der Tour de France hoch. Gestoppt mit Zeiten der Profis. Der besten Profis wohlgemerkt. Jeder Rennstahl hätte ihn mit Kusshand genommen. In einer norwegischen Fernsehshow zog er sich bis auf die Unterwäsche aus. Gut, das ist an sich nichts Besonderes. Das würden wir alle auch schaffen. Aber der Ole balancierte dabei auf einem Seil. Er hätte auch im Zirkus landen können.

Konsequenz bis ins letzte Detail

Seine ganz große Begabung war freilich seine unnachahmliche Konsequenz. Als einer der ersten Athleten nahm er zu jedem Rennen immer einen Heimtrainer mit. Zur Vorbereitung, zur Nachbereitung. Ein Tag ohne Training ist ein verlorener Tag, lautete seine Maxime. Im Hotel legte er den Boden mit Plastikfolie aus, wohlwissend, dass gerade Teppichböden jede Menge Keime in sich bergen. Er schüttelte nicht gerne Hände. Auch aus eben hygienischen Gründen.
Man lernte damit umzugehen, nahm ihm das nicht übel. Es war ja keine Unhöflichkeit, sondern für ihn einfach eine vorbeugende Maßnahme. Als er ein Wohnmobil bekam, war das selbstverständlich mit einem Laufband ausgestattet, bei dem man verschiedene Steigungen einstellen konnte. Ruhelosigkeit, ja fast Rastlosigkeit trieb ihn um, weil er immer der Beste sein wollte und es oft auch war.

Ein Vorbild für Generationen

Die Konkurrenz folgte ihm. Im wahrsten Sinn des Wortes. Bei den Weltmeisterschaften 2009 in Südkorea wählte er eine falsche Abzweigung. Die Verfolger blieben wie Lemminge in seiner Spur. Sie hätten sich wohl gleichzeitig mit ihm auch einen Abhang hinunter gestürzt. Wo Ole ist, wollten sie auch sein. Er war das Vorbild von Generationen. Und auch für uns war er ein Glücksfall.
Kein Rennen konnte abgeschlossen werden, bevor nicht Ole Einar Björndalen im Ziel war. Selbst zuletzt, als er mit Startnummern jenseits der Achtzig ins Rennen geschickt wurde, war der Mythos Björndalen noch greifbar.
"Wir warten noch auf Ole", sagte ich gerne. Aber es schmerzte zu sehen, wie er sich von Rennen zu Rennen mehr mühte ohne noch an die besten Zeiten heran zu kommen. Deshalb ist sein Rücktritt jetzt konsequent, zumal ihn der norwegische Verband schon demontierte, in dem er ihn nicht nach PyeongChang mitnahm. Es wären seine siebten Olympischen Spiele geworden.

Mit der Ehefrau auf Tour

Ganz musste ich ja auf ihn dennoch nicht verzichten. Sein Ehefrau Daria Domratscheva betreute er so gut, dass sie nach einer Silbermedaille gar noch mit der weißrussischen Staffel Gold gewann. Und Ole lief an der Seite entlang, feuerte an und ging auf auch an dieser Aufgabe. Ich bin sicher, was immer er auch in Zukunft anpacken wird: Er wird es mit der gleichen Leidenschaft tun, die wir von ihm ein Vierteljahrhundert hautnah miterlebt haben.
Ole Einar Börndalen hat alles erreicht in seinem Sportlerleben. Fast alles. Denn eine Einschränkung gibt es, das weiß ich. Er wäre zu gerne auch einmal Weltmeister oder gar Olympiasieger geworden im Langlauf. Ohne Gewehr auf dem Rücken.
In Salt Lake City war er nah dran. Nimm' es leicht Ole, davon hängt letztlich das Leben nicht ab. Genieße die Zeit mit Ehefrau und Töchterchen Xenia und lass' dich wieder mal blicken. Wer weiß, vielleicht als Trainer oder gar als Präsident des Verbandes. Ich würde mich freuen und danke für die vielen tollen Rennen. Du hast es mir als Kommentator leicht gemacht.
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