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Die Formel-1-Strecken von Architekt Hermann Tilke stehen in der Kritik

Johannes Mittermeier

Update 12/09/2015 um 14:16 GMT+2 Uhr

In Monza fuhr die Formel 1 zuletzt auf einer der traditionellsten aller Rennstrecken. Die Pisten moderner Prägung sind anders: uniformer, unspektakulärer, austauschbarer. Dennoch ist die Kritik an Hermann Tilke, dem Herr der Ringe, nur teilweise berechtigt. Sein beliebter Kurs in der Türkei könnte ein Comeback feiern - und für 2016 hat der Deutsche einen Joker in der Hinterhand.

Asphalt, soweit das Auge reicht: Die Tilke-Strecken stehen in der Kritik

Fotocredit: Imago

Sebastian Vettels Miene verdeutlichte den Ernst der Lage. "Wenn wir das hier aus beschissenen Geldgründen streichen, reißen wir unsere Herzen raus", tobte der Ferrari-Pilot in Monza. Mit "das hier" meinte Vettel den Italien-GP, der seit Jahren vom Aus bedroht ist, die Großmannssucht der Kassenwarte kennt keine Gnade mit der Tradition. Es wäre ein Sakrileg.
Monza ist eine Strecke vom alten Schlag, das letzte Highspeed-Mekka und ähnlich charakteristisch wie Spa, wo die Piloten über sieben Kilometer in den Kampf mit der Fahrphysik treten. Die Naturstrecke dient als Abenteuerspielplatz der Formel 1.
Ein Dilemma dieser Serie ist, dass derartige Endorphinstöße kaum mehr ausgeschüttet werden. "Wenn sich Hermann Tilke in den Kopf setzen würde, so eine Strecke zu bauen", sagt Ex-Pilot Alexander Wurz, "dann hätte er Pech gehabt. Die FIA lässt solche Kompressionen gar nicht zu."
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Streckenarchitekt Hermann Tilke ist der Bauherr der Formel 1

Fotocredit: Imago

Tilke ist Bauingenieur, und weil der Automobilweltverband FIA findet, dass er sein Handwerk ziemlich gut beherrscht, hat er ein Monopol aufbauen können. Gab es neue Pisten zu realisieren - und das kam in diesem Jahrtausend oft vor -, stammten sie aus der Feder des Deutschen. Stilkritik inbegriffen.

Auslaufzonen, groß wie Parkplätze

"Die meisten dieser Strecken sind Kopien voneinander", nörgelte Jackie Stewart 2011 im "Daily Telegraph". Mit diesem Vorwurf hat der dreimalige F1-Weltmeister einen wunden Punkt getroffen, Puristen beanstanden leicht austausch- und verwechselbare Kurse ohne Charme. Sie vermissen Hochburgen wie den alten Hockenheimring, den zwar viele auf sture PS-Bolzerei reduzierten, der aber eine individuelle Note aufwies.
Heute dagegen, stöhnt der Volksmund: immer dasselbe. Eine Gerade mit Spitzkehre, inflationär viele 90-Grad-Biegungen, dazu Asphalt-Auslaufzonen, groß wie Parkplätze.
Bahrain hat seine Wüste, Singapur die Nacht und Abu Dhabi die Dämmerungsfahrt, doch die Layouts gleichen sich an. Genau wie in Russland, China oder Korea (das längst wieder aus dem Kalender verschwand), in Indien wurden vier Millionen Kubikmeter Erde bewegt, um künstliche Höhenunterschiede zu generieren. Ein Ersatz ist das nicht. Auch die Anlage in Delhi steht seit 2013 still.
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Gute Strecke, wenig Zuschauer: Formel 1 in der Türkei

Fotocredit: Imago

Malaysia, Amerika und die Türkei gelten als Tilkes beste Entwürfe. Die Piloten mochten die Bahn am Bosporus, die einheimische Bevölkerung weniger - Zuschauerzahlen weit unter Niveau legten den Rundkurs nach sechs Jahren lahm. Völlig unerwartet schlug daher die Nachricht von Comeback-Plänen ein, schon für 2016. Die türkischen Verantwortlichen bestätigten "Motorsport-Total.com", dass die - noch zu wählende - Regierung das Projekt absegnen soll.

Auflagen wie Fesseln

Istanbul wäre ein Gewinn für die "Königsklasse", denn uniforme Strecken beschleunigen die Wahrnehmung einer zu unspektakulären Formel 1. Es fehlt am Kitzel, wenn Kurvenkombinationen nicht so bahnbrechend erscheinen wie Eau Rouge in Spa, die "Esses" in Suzuka oder Maggots-Becketts-Chapel in Silverstone. Dadurch leidet der Respekt vor der Leistung der Fahrer. Und somit die Faszination.
Allerdings ist die Kritik nicht immer ganz fair, Architekt Tilke wird in seinem Kreativdrang von strengen FIA-Auflagen gebremst. "Wir fangen nie mit einem weißen Blatt Papier an, obwohl das einige Leute glauben", erklärt er bei "Sports Business Global". Tilke war selbst Rennfahrer, unter anderem in der VLN-Meisterschaft, er weiß, was Piloten lieben. Umsetzbar sind verwegene Wünsche selten, Faktoren wie Umgebung, Reglement, Budget diktieren die Planung.
Im November feiert Mexiko-City sein Comeback, die ultraschnelle Peraltada-Kurve aber wurde entschärft und umgangen - alternativlos. "Wir versuchen den Charakter nicht so stark zu verändern, was manchmal möglich ist und manchmal nicht", sagt Tilke, dem die Restriktionen wie Fesseln anliegen.

"Das wird genial, das wird aufregend!"

Zur neuen Saison debütiert Aserbaidschan in der Formel 1, Tilke verspricht sich einiges vom Parcours durch Baku. 6,006 Kilometer lang und für einen Stadtkurs außergewöhnlich schnell soll es werden, bis zu 340 Stundenkilometer. "Wir haben es geschafft, eine wirklich super-interessante Strecke zu entwickeln", behauptet er.
Nicht nur wegen eines Vollgasstücks über 2,2 Kilometer werde sich Aserbaidschan abheben, auch "Ambiente und Fahrdynamik" seien etwas Neues. Ebenso Abschnitte, die nur sieben Meter breit sind, ansonsten liegt das geforderte Minimum bei deren zwölf.
Hermann Tilke, der Herr der Ringe, ist schon jetzt begeistert: "Das wird genial, das wird aufregend. Dafür fallen mir gar keine Worte ein!"
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