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Spa 1998: Schumacher, Coulthard und das schnellste Dreirad der Welt

Johannes Mittermeier

Update 11/09/2018 um 09:23 GMT+2 Uhr

Vor 20 Jahren begründen Ferrari-Pilot Michael Schumacher und McLaren-Mann David Coulthard ihren legendären Auffahrunfall. Spa 1998 sieht das schnellste Dreirad der Welt. Es ist ein Urknall der Formel 1, und im Crash schlummert das zündelnde Dynamit zur Staatsaffäre. Schumacher will Coulthard an den Kragen - erst fünf Jahre später gibt einer von beiden seinen Fehler zu. Ein Rückblick.

Michael Schumacher und David Coulthard in Spa 1998

Fotocredit: Getty Images

Diesen Mika Häkkinen, den mögen die Deutschen. Ja, tatsächlich. Häkkinen spielt in Werbespots die Hauptrolle, er hat seinen McLaren-Mercedes-Overall übergestreift und macht lustige Dinge. Ein Sympathikus. Ironisch ist ja, dass der Finne mit dem Seitenscheitel so brav und beinahe bieder wirkt, dass jeder, der ihn nicht kennt, in ihm eher einen Messdiener oder Pförtner oder zumindest Sachbearbeiter sehen würde, aber doch bitte keinen Formel-1-Rennfahrer.
Keineswegs gleicht er jenem Rennfahrer, der dem bundesdeutschen Halbgott namens Michael Schumacher ein so, so, so zäher Widerpart sein sollte.
Und dann gibt es da noch David Coulthard.

Coulthard wird zur Fratze des Fatalistischen

Der 30. August des Sommers 1998 ist so etwas wie ein Urknall der Formel 1. Es knallt, buchstäblich, zunächst zerschellt Karbon, dann fliegen Reifen und später bitterböse Worte, die manche Zeitung dazu veranlassen, von "Krieg" zu fabulieren. Coulthard verteidigt seinen Standpunkt mit Verve:
Was kann ich dafür, wenn sich Schumacher so danebenbenimmt? Er muss sich bei mir und beim Team entschuldigen.
Aber Schumacher denkt gar nicht daran, sich zu entschuldigen. Hat sich Schumacher überhaupt jemals für irgendetwas entschuldigt?
Vor dem Urknall ist David Coulthard der perfekte Mercedes-Repräsentant, ein smarter Typ mit derart quadratischem Gesicht, das es Karikaturisten nicht besser hinbekommen hätten. Der Legende nach soll ihm sein Arbeitgeber eine Glattrasur aufoktroyiert haben, erst bei Red Bull, wo es lockerer und lässiger zugeht, zeugen Stoppeln vom Dreitagebart.
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David Coulthard 1998

Fotocredit: Getty Images

Der Schotte wird bis 2004 bei McLaren und bis 2008 in der Formel 1 fahren, er wird insgesamt 13 Grand Prix gewinnen, aber natürlich wird den Leuten immer Spa 1998 einfallen, wenn sie an ihn denken; oder Magny-Cours 2000, als er Schumacher in der Furie jenen Finger aus dem Cockpit hielt, der Stefan Effenberg seinen Platz in der Fußball-Nationalmannschaft kostete.
Nach dem Urknall ist Coulthard für alle auf dem Planeten Schumacher die Fratze fürs Fatalistische. Er ist, so hat es der Planet selbst verfügt: ein "fucking killer".

Es regnet nicht in Spa 1998 - es schüttet

Tourt die Formel 1 nach Spa, setzt sich etwas Mystisches in Gang, das mit dem Pawlow‘schen Reflex zu vergleichen ist. Kaum kreiseln Autos durch die belgischen Ardennen, sabbert es vom Himmel herab. Es muss einfach regnen in Spa, und vor 20 Jahren regnet es nicht - es schüttet. So heftig, dass heutige Generationen an sogenannten Formel-1-Helden eine Rennfreigabe nicht einmal mit Scheibenwischern unterm Halo und Schwimmflügeln auf den Windabweisern akzeptieren würden.
Es ist wohl so: Damals fuhren noch Männer und keine Knaben.
Es fuhr ja auch der wahrhaft testosterongeschwängerte Sachbearbeiter Häkkinen, übrigens auf Pole Position, vor Coutlhard, Damon Hill und einem seltsam farblosen Regenmeister Schumacher als Viertem.
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Formel 1 in Spa 1998

Fotocredit: Getty Images

Alles, was nach Erlöschen der Ampeln passiert, füttert die Annalen auf so vielfältige Art, dass 20 Jahre darauf Texte verfasst werden, und es steht zu vermuten, dass Ähnliches in weiteren 20 Jahren eintritt. Immerhin spricht Bernie Ecclestone, der dieses Internet für ein flüchtiges Phänomen hält, seinerzeit vom "aufregendsten Rennen seit Ben Hur".
Es ist eine Epoche, als die Formel 1 den Klimax ihrer Wucht kitzelt, vier Jahre nach dem Tod von Ayrton Senna mit den letzten Ausläufern von Gladiatoren in Höllenmaschinen, die passenderweise ein "Höllenrennen" fabrizieren in Spa, wie "The Sun" konstatiert. Der "Guardian" raunt vom "Krieg der Autos“, und in belgischen Gazetten wird nachher über "Titanic II" metaphert - Autoversenken.

Das Multi-Millionen-Grab der Formel 1

Beim ersten Start streift die Formel 1 die Katastrophe. 13 Wagen verkeilen sich in Fontänen und bei Nullsicht, weil just Coulthards McLaren ausschwenkt, gegen die Boxenmauer prallt, wieder auf die Piste pendelt und dort eine gigantische Massenkarambolage auslöst. Zurückbleibt ein Multi-Millionen-Grab, wundersam: ohne Verletzte.
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Formel 1 in Spa 1998

Fotocredit: Getty Images

Stunden verstreichen, ehe Häkkinen beim zweiten Versuch in der ersten Kurve ausscheidet, bald bremst sich Schumacher an Hill vorbei und würde eine verloren geglaubte WM zur offenen Angelegenheit wenden. 24 von 44 Runden sind absolviert, die Bedingungen sind fürchterlich, und Schumacher führt mit astronomischem Abstand. Er muss überrunden. Nur noch überrunden.
Coutlhard schleicht zwei Minuten hinter der Spitze wie kastriert um den Kurs. Ferrari-Rennleiter Jean Todt bricht sicherheitshalber zur McLaren-Box auf, um Fairness zu propagieren. Keine Spielchen! Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug wird schwören: "Wir haben David über Funk die klare Anweisung gegeben, Schumacher passieren zu lassen."

Schumacher: "Did you want to kill me!?"

Die britische Kommentatorenikone Murray Walker murraywalkert gerade vor sich hin, als Coulthard und Schumacher die Pouhon-Biegung nehmen. Coulthard zuckelt auf der Bahn, Schumacher schert aus, leicht versetzt. Plötzlich verschwimmen der silberne und der rote Punkt in der Gischt, als hätte ein Künstler versehentlich seinen Wassermalkasten übers Gemälde gekippt.
OH MY GOD!
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Michael Schumacher in Spa 1998

Fotocredit: Getty Images

Walker schreit die Worte, eigentlich ist es ein japsendes Schreien. Der Crash auf Coulthards Heck hat Schumachers rechtes Vorderrad abgerissen, es ist an seinem Kopf vorbei ins Nichts geflogen, vielleicht sollte man es mal suchen, hätte sicher Sammlerwert. Schumacher steuert jetzt das schnellste Dreirad der Welt. Und er weiß, dass er das Rennen aufgeben muss, und jeder weiß das, aber keiner weiß, was geschehen wird, wenn die Bruchpiloten ihre Boxen erreicht haben, und schon gar nicht, welch zündelndes Dynamit zur Staatsaffäre darin schlummert.
In diesem Moment, als Schumacher den Helm samt Haube abnimmt, sich im Laufschritt mit gefrorenen Mundwinkeln von einem Ferrari-Bediensteten losreißt und die McLaren-Garage zur Manege eines Amateurboxkampfes transformiert - in diesem Moment erlebt das Volk für einmal nicht den technokratischen, von ewiger Ratio gelenkten Deutschen. Sie erlebt eine Manie, die nie zuvor und niemals danach in Schumachers Karriere tritt. Ungezügelte, ungeschminkte, ungefilterte Manie.
"Did you want to kill me!?" Hier entsteht das Etikett vom "fucking killer".

Fünf Jahre später gibt Coulthard seinen Fehler zu

Nicht behaglicher macht es der Umstand, dass die internationale Presse den Schuldigen eher in Schumacher identifiziert. Er sei doch klar vorne gelegen und hätte vorsichtiger sein müssen, belehren die Schlagzeilendichter seufzend, und überhaupt: Bereits der Straßenverkehr befiehlt, dass der Hinterherfahrende beim Unfall zur Räson zu ziehen sei.
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Mika Häkkinen, Weltmeister 1998

Fotocredit: Imago

Solche Reaktionen bedingen den zweiten Wutanfall. "Ich habe mich für nichts zu entschuldigen", giftet Schumacher, der keinen Millimeter abweicht von seiner Ansicht, dass es Coulthard sei, der um Verzeihung bitten müsse. McLaren legt apodiktisch versiegelte Telemetriedaten offen, die belegen sollen, dass Coulthard nicht gebremst habe, damit Schumacher aufläuft und Häkkinen profitiert. Sauber-Pilot Jean Alesi aber sagt:
Coulthard ist ein Verrückter. Er hat sich wie jemand benommen, der sein Auto auf einer vernebelten Autobahn auf der Fahrbahn abstellt und in die Bar geht.
Beim nächsten Grand Prix in Monza treffen sich die Streithähne zu einer Pseudo-Aussprache im Ecclestone-Zelt. Die Fehde schwelt weiter. Im Sommer 2003 sagt Coulthard: "Die Wahrheit ist, dass ich vom Gas gegangen bin, um ihn vorbeizulassen. Ich habe das jedoch in der Gischt und auf der Ideallinie getan. Das sollte man nicht, und ich würde es auch nie mehr tun.“ Schumachers Replik: "Schön zu hören, dass er es zugibt."
In Spa 1998 siegt Hill. Weltmeister wird Häkkinen. Finnisch Line.
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