Der beste Müller aller Zeiten

"Langsam habe ich das Gefühl, dass ich mit meinem linken Fuß mehr anfangen kann als nur Bier zu holen", sagte Thomas Müller nach dem WM-Vorrundenspiel gegen Portugal, in dem er drei Tore erzielt hatte - das zweite mit seinem linken "Bier-Fuß". Auch beim 4:0-Sieg der Bayern bei Werder Bremen nahm Müller Maß: Knapp 16 Meter vor dem Tor zieht er aus halbrechter Position mit Links ab und schlenzt den Ball in den linken Torwinkel.

"Man sollte mich mit links außerhalb des Strafraums nicht schießen lassen", dieses "alte Gesetz" hätten die Bremer missachtet, erklärte Müller grinsend nach dem 4:0-Sieg der Münchner. "Der Abschluss von Thomas war sensationell. Den schießt nicht jeder ins Tor", adelte FCB-Kapitän Philipp Lahm die schlitzohrige Nummer 25 der Bayern. In gewisser Weise hat Lahm recht: Kein aktueller Spieler in der Bundesliga ist in derart beständiger Regelmäßigkeit direkt an Toren beteiligt wie er.

In dieser Saison kam "großes, dünnes Müller" 24 mal in der Bundesliga zum Einsatz. Zwölf Tore erzielte er dabei. Zwölf Treffer seiner Mannschaftskollegen bereitete er zudem vor: das doppelte Dutzend zum 24. Bundesligaspiel. Es ist bereits Müllers fünfte Saison, in der er eine zweistellige Anzahl an Toren und Vorlagen erzielt hat (2009/2010, 2010/2011, 2012/2013, 2013/2014 und nun auch 2014/2015). Seit Beginn der Datenerfassung im Jahr 1992 hat es keinen anderen Spieler gegeben, der dies bislang fünfmal geschafft hat.

Müllers größte Stärke ist seine Unberechenbarkeit. "Einen Spieler zu finden, der ähnlich komisch spielt wie ich, ist schwierig. Schon in der A-Jugend hat einmal ein Mitspieler zu mir gesagt: 'Du spielst dein eigenes Spiel.' Da habe ich mich nie dagegen gewehrt". Warum auch, seine Statistiken bestärken ihn in seinem unkoventionellen Spiel: In 189 Bundesligaspielen für den FC Bayern war Müller an 143 Toren (70 Tore und 73 Vorlagen) direkt beteiligt.

Egal ob auf den Flügeln (gegen Bremen), als zweite Spitze (gegen Donezk) oder gar als alleiniger Stürmer (gegen Hannover): Müller sorgt auf dem kompletten Spielfeld für Unruhe und Verwirrung im gegnerischen Team. Er selbst scheint dabei der Einzige zu sein, der "sein Spiel" wirklich versteht. "Ich weiß schon genau, wo ich mich auf dem Spielfeld rumtreiben muss, damit es für meinen Gegenspieler unangenehm wird", sagte Müller der "Sportbild". Im Grunde genommen ist er mit seinem unbeschreiblichen Gefühl für den Raum ("Torinstinkt kannst du nicht lernen") die personifizierte Gefahr.

Unter Pep Guardiola scheint Müller nochmals einen Schritt nach vorne gemacht zu haben, so früh stand er noch nie bei über 20 Torbeteiligungen. Zudem ist er nur noch einen Treffer ist er von seinem Bestwert - 13 Saisontoren - entfernt. Und Müller hat noch lange nicht fertig. "Wir haben noch neun Spiele, und ich werde mit Sicherheit das Toreschießen nicht einstellen", kündigt Müller selbstbewusst an.

Doch erleben wir im Moment den stärksten Müller aller Zeiten? Wettbewerbsübergreifend hat Thomas Müller nach 33 Spielen 32 Scorerpunkte (18 Tore und 14 Vorlagen) auf dem Konto. Macht er so weiter wie in den vergangenen Wochen, kann er seinen Bestwert von 41 Torbeteiligungen (26 Treffer und 15 Torvorlagen) in 48 Spielen sogar noch toppen.

Aber der beste Müller wird er immer noch nicht sein, wie er selbst klarstellt: "Der Gerd" werde für immer der beste Müller bleiben. "Den extremen Torriecher, den der Bomber hatte, kann man nicht haben. Dieses Näschen ist einmalig."

Auch wenn Thomas vielleicht nicht der beste Müller aller Zeiten ist, in den kommenden Wochen der Wahrheit sind die Bayern auf ihn angewiesen.

Sei es, dass Müller alle Gegenspieler, die von seiner extremen Gefahr wissen, mit seinen scheinbar wirren Laufwegen an sich bindet und so Raum für andere Bayern-Stars schafft. Oder, dass er plötzlich im selbst erlaufenen, gefährlichen Raum auftaucht und den Ball - egal ob mit dem Kopf, mit rechts oder dem "Bier-Fuß" – irgendwie ins Tor "müllert": In der Champions League, wenn die kleinsten Unwägbarkeiten entscheidend sein werden, wird es auf Müller ankommen.