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FC Bayern: So macht sich Carlo Ancelotti angreifbar

Daniel Rathjen

Update 02/10/2017 um 07:28 GMT+2 Uhr

Der FC Bayern steht kurz vor dem Eintritt in die entscheidende Phase der Saison mit K.o.-Spielen im DFB-Pokal und der Champions League. Ausgerechnet jetzt macht sich allerdings große Unzufriedenheit breit beim Spitzenreiter der Bundesliga. Die größte Stärke von einst ist dem Rekordmeister abhandengekommen. Liegt die Ursache beim Trainer? Nicht ausgeschlossen.

Carlo Ancelotti (r.) und sein Sohn Davide

Fotocredit: Imago

Es ist nur eine kleine Beobachtung am Rande des Trainingslagers im Januar in Doha.
Der FC Bayern trainiert an einem sonnigen Morgen Flanken, links an der Eckfahne warten David Alaba und Douglas Costa auf Zuspiele ihrer Kollegen aus dem Zentrum von der Höhe der Mittellinie. Trainer Carlo Ancelotti steht dort und erklärt die nächste Variation der Übung.
Costa und Alaba flachsen. Sie versuchen gar nicht erst zu erfassen, was ihr Coach fordert. Als Ancelotti zum Start in die Pfeife bläst, fragt Costa hektisch bei Alaba nach, ehe der Ball auch schon auf ihn zugeflogen kommt: "What the f… did he say?" Jugendfrei übersetzt: "Was - um Gottes willen - hat er gesagt?"
In einer Saison, die perfekt laufen soll, muss auch die Chemie zwischen Mannschaft und Trainer perfekt sein. Zuletzt war das 2013 bei Jupp Heynckes der Fall. Im Kader fand sich kein Spieler, nicht einmal Mario Gomez, der hinter Mario Mandzukic zur Nummer zwei im Sturm degradiert wurde, der nicht für ihn durchs Feuer gegangen wäre. Am Ende gewannen sie das Triple.

Eine perfekte Saison braucht perfekte Chemie

Nun steht der Brasilianer Costa nicht als Symbol für Ignoranz und Respektlosigkeit gegenüber dem erfahrenen Italiener, doch sagt die Art und Weise, wie er sich in dieser Szene verhalten hat, zweifelsohne etwas aus. Möglicherweise fehlt in der aktuellen Phase die nötige Konzentration, der Wille, sich zu zerreißen mehr als gut ist. Zum wiederholten Male kritisierte Ancelotti am Samstag nach dem enttäuschenden Remis gegen Schalke die "Opferbereitschaft" seiner Mannschaft.
Andererseits wirkt er dem Defizit auch wenig entgegen. Er ist kein heißblütiger Motivator wie Pep Guardiola, der es verstand, die Spieler zu pushen. Die Konsequenz ist eine Lethargie im Spiel der Bayern, die es lange nicht gegeben hat. Nur drei Großchancen in drei Spielen verbuchten die Münchner zuletzt. Alarmierend.
Auch interessant: In der Bundesliga hagelte es fünf Gegentore in den ersten 15 Minuten; bei Pep waren es in drei Jahren insgesamt nur vier. Fehlt den Akteuren eine emotionale Ansprache?
Laut Keeper Manuel Neuer fehlt noch etwas Elementares: "Die Sachen, die uns ausgezeichnet haben. Unser selbstbewusstes Passspiel. Wir wollen mit mehr Tempo spielen, den Ball besser laufen lassen, nach vorne weniger Fehler machen und uns besser positionieren, damit wir immer eine Anspielstation haben. Wir wollen die Gegner in Bedrängnis bringen, das schaffen wir zurzeit nicht." Wohl wahr.
Erschwerend hinzu kommt, dass mit dem verletzten Thiago und Franck Ribéry (beide Muskelfaserriss) Spieler pausieren müssen, die für Passsicherheit einerseits sowie Kreativität und Eifer andererseits stehen. Arturo Vidal spielt augenscheinlich unter Schmerzen; bei Thomas Müller, der abhängig ist von flüssigem Kombinationsspiel kriselt es weiter. Ancelotti beging am Samstag sogar den "Anfängerfehler", Arjen Robben vorzeitig auszuwechseln. Damit hat er sich ein neues Problem selbst eingebrockt. Nur ein gutgelaunter Robben kann wirklich frei aufspielen. Und Costa kokettiert mit Angeboten aus dem Ausland.
Auch Fans, die ihren Verein genau verfolgen, rätseln in den sozialen Netzwerken über die Gründe dafür, warum das Bayern-Spiel so pomadig wirkt. Die nackten Ergebnisse allein interessieren sie dabei weniger. So stark hatten sie den Niveauabfall nach Pep nicht erwartet. Eine These von ihnen: Das Trainerteam gibt den Spielern nicht das richtige Handwerkszeug mit auf den Rasen.

Trainiert Ancelotti falsch?

Auffällig ist, dass die Einheiten sich inhaltlich nicht sehr von denen unter Guardiola entscheiden. Warum auch? Das Spielermaterial ist nahezu identisch. Rondos, das berühmte Kreisspiel, werden immer noch vollzogen, wenn auch nicht mehr ganz so zeitintensiv wie bei Guardiola. Sofern der Verein Einblicke gewährt, ist zu beobachten, dass es allerdings auch die eine oder andere Einheit gibt, in der eher "wenig Zug" drin ist, wie es im Fußballjargon heißt.
Nicht zu unterschätzen ist dabei der Weggang von Paul Clement als Cheftrainer zu Swansea City. Er war sehr aktiv auf dem Platz, bei den Spielern zählte sein Wort. In seine Fußstapfen trat Ancelotti-Sohn Davide. Hochqualifiziert, aber erst zarte 27 Jahre alt. Ein Ribéry oder Robben - um nur zwei von einigen zu nennen - lassen sich von einem Youngster sicher kaum etwas erzählen. Es ist eine weitere Facette, die zum Gesamtbild des FC Bayern derzeit beiträgt.
"Man darf nicht davon ausgehen, dass man einfach so weitermachen kann", mahnte Neuer am Wochenende. Braucht die Mannschaft jemanden, der auf den Putz haut?
Ancelotti wird seinen Stil wohl nicht mehr ändern. Noch zehrt er von dem Vertrauen, dass ihm vornehmlich Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge entgegenbringt.
Doch auch dieser zeigte sich zuletzt etwas nervöser und erhöhte den Druck. "Wir müssen jetzt zusehen, dass wir in den Spielen gegen Schalke, im Pokal gegen Wolfsburg und danach in Ingolstadt in die beste Verfassung kommen", hatte er angekündigt.
Das Schalke-Spiel ist bereits beendet. Schafft Ancelotti den Turnaround nicht, wird das Vertrauen der Bosse schneller als gedacht vollends aufgebraucht sein.
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