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Julian Schieber im Eurosport-Interview: "Tore sind wichtiger als Einsatzzeit"
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Publiziert 18/11/2016 um 17:27 GMT+1 Uhr
Julian Schieber spielt mit Hertha BSC bislang eine furiose Hinrunde. Die Berliner rangieren nach zehn Spieltagen auf einem starken vierten Tabellenplatz. Im Eurosport-Interview spricht der 27-jährige Schwabe über seine derzeitige Rolle als Einwechselspieler, das Trainergespann Pal Dardai und Rainer Widmayer sowie seine Zeit bei Borussia Dortmund sowie die Gründe seines Abschieds.
Julian Schieber von Hertha BSC
Fotocredit: Imago
Das Interview führte Dirk Adam
Hertha BSC mischt die Bundesliga anständig auf. Was macht die Mannschaft so stark?
Julian Schieber: Wir versuchen natürlich so lange wie es geht oben mitzumischen. Die obere Tabellenhälfte war unser ausgegebenes Ziel. Jetzt haben wir nach zehn Spieltagen ordentlich Punkte gesammelt und sind weiterhin hungrig, denn wir wollen mehr. Wir sind im Vergleich zum vergangenen Jahr als Mannschaft noch enger zusammengerückt. Wir haben einen tollen Teamgeist, den es in Berlin nicht immer gab. Dazu kommt die Fitness. Wenn man dann noch die knappen Spiele gewinnt, kann man einen Lauf bekommen.
Welchen Anteil haben Trainer Pal Dardai und Assistenztrainer Rainer Widmayer am Erfolg?
Schieber: Sie sind von der Art her zwei ganz verschiedene Menschen, die sich aber gut ergänzen. Rainer ist das schwäbische Arbeitstier. Ein Taktikfuchs, der 24 Stunden am Tag an Fußball denkt. Er schaut sich alle Spiele an und kann fast nicht abschalten. Er ist sehr wichtig für Pal Dardai. Pal hat dafür diese Lockerheit, die langjährige Erfahrung als Profi. Er weiß genau, wo er den richtigen Reiz setzen und wann er vielleicht auch mal "draufhauen" muss. Es ist einfach im gesamten Trainerteam eine gute Mischung, die funktioniert. Das macht uns stärker.
Mit Co-Trainer Widmayer können Sie sich auf Schwäbisch unterhalten. Ist das ein Vorteil?
Schieber: Ich arbeite mit Rainer unheimlich gerne zusammen, weil ich ihn noch aus der Stuttgarter Zeit kenne. Wir haben auch mal andere Gesprächsthemen, auch privat. Man kennt viele Leute von früher. Es ist immer gut, einen Schwaben an der Seite zu haben. Es gibt ja nicht allzu viele in meiner Mannschaft. Von daher bin ich sehr froh. (lacht)
Sie haben diese Saison in neun Spielen bereits zwei Tore erzielt, kommen aber "nur" auf 138 Einsatzminuten. Hätten Sie gerne mehr Spielzeit?
Schieber: Die Einsatzminuten sind mir egal, aber ich hätte gerne mehr Tore. Selbst in den 138 Minuten Einsatzzeit hatte ich noch die eine oder andere gute Chance auf dem Fuß, die ich leider nicht genutzt habe. Von daher sind mir Tore wichtiger als Einsatzzeit.
Bis zu Ihrem Tor gegen Freiburg waren Sie 553 Tage ohne Treffer. Welches Gefühl hatten Sie, als der Ball endlich wieder im Netz zappelte?
Schieber: Das Tor war natürlich speziell, weil es nach so langer Leidenszeit kam. Ich hatte eine schlimme Verletzung und musste hart arbeiten, um zurückzukommen. Wenn man als Stürmer lange weg war, dann ist die Wahrnehmung nicht mehr da. Man fühlt sich nicht so wohl in der eigenen Haut und in der Mannschaft. Da braucht man Erfolgserlebnisse. Und dann so einen Lucky-Punch gegen Freiburg. Das ist es, wofür man arbeitet, wovon man träumt. Ein besonderes Gefühl.
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Julian Schieber (r.) traf zum späten Ausgleich
Fotocredit: SID
2014/15 setzte Sie ein Knorpelschaden im linken Knie fast ein Jahr außer Gefecht. Sie mussten drei Monate an Krücken gehen. Welche Spuren hat die lange Zwangspause hinterlassen?
Schieber: Zum Glück bin ich im Kopf wieder so frei, dass ich auf dem Rasen nicht mehr an die Verletzung denke. Mein Spiel ist sehr körperbetont, ich mag es dazwischen zu hauen. Das würde nicht funktionieren, wenn ich zu viel nachdenke. Abseits vom Platz habe ich aber viel mitgenommen. Ich kümmere mich mehr um meinen Körper, lege Extraschichten im Kraftbereich ein, dass auch alles stabil bleibt. Man wird nicht jünger. Mit 27 Jahren zähle ich mich schon zu den alten Spielern. Da muss man auf seine Gesundheit achten.
Damals waren Sie Stammspieler und auf dem besten Weg, Ihren Torrekord zu verbessern. Gab es nach der Verletzung einen Moment des Zweifels, ob Sie Ihre Karriere fortsetzen?
Schieber: Ja, den gab es schon in der Zeit der Verletzung. Es gab Wochen, da hast du hart gearbeitet, kamst aber keinen Schritt voran. Dann kommt man schon in eine Art negativen Strudel. Aber der Wunsch, auf den Platz zurückzukehren, war immer größer. Dieser Drang bringt einen während der Verletzungspause nach vorne.
Sie haben einmal gesagt, dass Sie gerne den Körper von Robert Lewandowski hätten. Warum?
Schieber: Robert Lewandowski hat die perfekten Stürmermaße. So knapp über 1,80 Meter, muskulös und kein Gramm Fett auf den Knochen. Während unseren gemeinsamen zwei Jahren in Dortmund musste er fast kein Training verletzt aussetzen. Er war echt "unkaputtbar". Deswegen hätte ich seinen Körper gerne.
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Lewandowski brachte den BVB auf die Siegerstraße
Fotocredit: SID
Von 2012 bis 2014 spielten Sie für den BVB mit Auftritten in der Champions League. Aus welchem Grund haben Sie Dortmund damals verlassen?
Schieber: Es war eine tolle Zeit beim BVB. Ich habe dort viel erlebt und auch mitgenommen. Das erste Jahr war sehr positiv für mich. Ich hatte viel Einsatzzeit. Dann kam ich im zweiten Jahr in eine Phase, wo ich unter Druck stand. Ich musste Leistung zeigen und das ist mir in den Spielen nicht immer gelungen. Ich bin etwas auf die negative Ebene gekommen und hatte weniger Spielzeit. Dann fragt man sich: geht man mit weniger Spielzeit ins dritte Jahr oder nimmt man ein tolles Angebot aus Berlin an, wo man einen Neustart machen kann? Wenn es wieder gelaufen wäre, wäre ich nicht so schnell aus Dortmund wegkommen. Das war der Hauptgedanke.
Sie sehen sich selbst als Teamplayer, der über die Arbeit und den Kampf ins Spiel findet und Tore macht. Würden Sie sich vom Typus eher mit Vedad Ibisevic oder Salomon Kalou vergleichen?
Schieber: Ganz klar mit Vedad Ibisevic. So talentiert und technisch stark wie Salomon bin ich nicht. Kalou ist ein überragender Fußballer. Er ist mehr der Techniker, der die Bälle aus dem Mittelfeld hält und dann verlagert. Nicht so der klassische Strafraumstürmer, wie es Ibisevic ist. Ich bin da eher wie Vedad. Ich will die Tore vorne im Strafraum machen.
Teamkollege Vedad Ibisevic ist im Sturm gesetzt. Wie schwer ist es für einen Vollblut-Stürmer wie Sie, wenn ein Konkurrent für Hertha die Tore macht?
Schieber: Ich bin ein Teamplayer und genau das zeichnet mich aus. Vedads Tore sind wichtig für uns. Ich weiß, wie schnell es im Fußball gehen kann und habe auch meine Einsatzzeiten in jedem Spiel. Natürlich ist es "nur" die Jokerrolle, damit kann ich aber leben. Ich will diese Rolle mit Erfolg ausfüllen. Das ist wichtig für die Mannschaft und für mich selbst. Ich weiß, wie lange eine Saison ist und dass ich auch ein Spiel von Anfang an machen werde.
Der sportliche Trend zeigt klar nach oben. 2014/15 entkam Hertha als Tabellen-15. dem Abstieg nur knapp. Vergangenes Jahr war Hertha Siebter. Was ist in dieser Saison drin?
Schieber: Letzte Saison standen wir am Ende mit leeren Händen da. Wir haben uns nicht für Europa qualifiziert. Deshalb hoffen wir dieses Jahr, dass es klappt. Wir haben in Sachen Konstanz und Erfahrung zugelegt, fühlen uns stärker als letzte Saison. Wo das am Ende hinführt, wird man sehen. Wir sind auf jeden Fall froh, jetzt schon 20 Punkte zu haben und hoffen, die ganze Saison im oberen Drittel dabei zu sein.
2009 hatten Sie Ihr Debüt für die U21 gegen San Marino mit zwei Toren. Haben Sie damals von einer Karriere als Nationalspieler geträumt?
Schieber: Nein, wirklich nicht. Es war eine tolle Erfahrung, im U21-Team zu spielen. Von der Nationalmannschaft habe ich aber nie geträumt. Ich habe das realistisch eingeschätzt. Da hätte ich schon konstanter treffen müssen.
Nach dem Rücktritt von Miroslav Klose hat das DFB-Team mit Mario Gomez nur einen echten Stürmer im Kader. Gibt es in Deutschland keine guten Mittelstürmer mehr?
Schieber: Mit Mario Gomez ist ja ein ganz Großer wieder da. Er hatte eine schwierige Zeit in der Nationalmannschaft, aber letztendlich hat er sich über das tolle Jahr in Istanbul wieder herangekämpft und gezeigt, dass er Tore schießen kann. Er spielt zu Recht vorne drin. Es ist immer schwer, über Positionen zu diskutieren. Eine Zeit lang war die falsche Neun sehr beliebt, dann fehlte der klassische Mittelstürmer. Es wird immer das vermisst, was man gerade nicht hat. Sind wir doch froh, dass wir immer Abwechslung haben.
Miroslav Klose war zum ersten Mal im Trainerteam mit dabei. Er soll die Sturmabteilung auf Vordermann bringen und verbessern. Wird er es schaffen, in diesem Job zu glänzen?
Schieber: In der ersten Zeit wird er vor allem seine große Erfahrung reinbringen. Er wird den jungen Stürmern etwas beibringen können. Miro hat einfach eine überragende Quote, dazu so viel internationale Erfahrung und er weiß genau wie man sich als Stürmer verhalten muss. Er ist ein ganz wichtiger Name des deutschen Fußballs und sicher auch in dieser Rolle eine Bereicherung für die Nationalmannschaft.
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