Eurosport
Der LIGAstheniker: Paris for President! Der Sieg der deutschen U17 bringt den Glauben an das Spiel zurück
Von
Publiziert 04/12/2023 um 16:01 GMT+1 Uhr
Der LIGAstheniker fordert nach dem WM-Sieg der DFB-Youngster: Paris for President! Der Triumph der deutschen U17 bringt für ihn den Glauben an das Spiel zurück. Die Truppe um Paris Brunner steht mit ihrer besonderen Mischung an Typen für Mannschaften, wie sie in Deutschland leider selten geworden sind. In der Liga ist jetzt Mut mit den Talenten gefragt. Ein Kommentar von Thilo Komma-Pöllath.
Garant für Erfolg: Wück erklärt den deutschen WM-Triumph
Quelle: Perform
Liebe FußballfreundInnen,
schweben Sie auch immer noch auf Wolke 17? Wir sind wieder wer, mein Gott, wie gut das tut! Als wäre dieser WM-Sieg ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk für unser nationales Selbstbewusstsein.
Seit dem Samstag gehe ich wieder ein Stück aufrechter zum Bäcker. Wir sind wieder wer, keine Work-Life-Jammerlappen, keine Arbeits- und Leistungsverweigerer, sondern Weltmeister. Nicht nur im Basketball, nicht nur im Hockey, im Fußball, im FUSSALL - wer hätte das gedacht? Ich nicht, um ehrlich zu sein. Gut, die U17-Nationalmannschaft wurde früher nicht mal im Transistor-Radio übertragen und heute lässt sie ein ganzes Fußballland taumeln. Schon irre irgendwie.
Paris for President!
Ich muss auch zugeben, einen wie Paris Brunner kannte ich vor zwei Wochen noch gar nicht. Das sagt alles aus über meine jämmerliche Expertise als Schreiberling. Was für ein Gangster, dieser Paris! Und bei dem Namen kann der ja alles werden, Hollywoodstar, Bundeskanzler, Weltmeister. Mein Gott, dieser Typ gibt mir den Glauben zurück, dass wir nächstes Jahr bei der Erwachsenen-EM doch noch was reißen könnten.
Aber nur, wenn Paris bitteschön im Aufgebot steht! Und wenn ich das jetzt so niederschreibe, dann kriege ich schon wieder schlechte Laune, denn wer glaubt wirklich, dass Jungs wie er, brandgefährliche Rohlinge, in einer DFB-Elf noch was werden können?
"All or Nothing" und "Born for this" heißen, ganz martialisch, die aktuellen offiziellen DFB-Dokus, die unsere Erwachsenen-Nationalmannschaften (Männer/Frauen) zu ihren jüngsten Weltmeisterschaften nach Katar und Australien begleiteten. Die Titel klingen super, aber das was man dann durch das Schlüsselloch sieht, ist dermaßen durchkommerzialisierter, mittelmäßiger, emotionsloser Powerpoint-Content, dass man sich nur wundern kann: Das sollen die beiden großen, leidenschaftlichen, geborenen Siegerteams unseres Landes sein? Ernsthaft?
Insofern gibt mir diese U17 in Indonesien ein Stück weit den Glauben an das Spiel und seine Bedeutung zurück. Und man möchte den DFB-Coach Christian Wück drücken für seinen progressiven Führungsstil dieser Mannschaft, der, am Ende wohl ausschlaggebend war für den Titelgewinn.
/origin-imgresizer.eurosport.com/2023/12/02/3836858-77970088-2560-1440.jpg)
Exklusive Einblicke! Brunner zeigt Kabinenparty nach WM-Triumph
Quelle: Perform
Die Nationalelf und die Unangepassten
"Wir haben die richtige Mischung aus Gangster und Schwiegersöhnen, das ist unser Geheimnis." Dieser Wück-Satz ging am Wochenende durch alle Sportgazetten und -portale. Auch deshalb, weil Gangster, Troubleshooter, Schwierige und Unangepasste seit dem Sommermärchen 2006, also seit Klinsmann und Löw, im DFB-Trikot kaum bis nicht mehr stattgefunden haben. Man denke etwa an die Sommermärchen-Ausbootung von Oliver Kahn.
Erst seit kurzem, seit Flick und Nagelsmann, versucht man ehemals Ausgewilderte wie einen Leroy Sané wieder zu integrieren - mit, na ja, historischem Misserfolg. Ich sage nur 0:2 gegen Österreich. Ironie am Rande: ein Paris Brunner, ein Noah Darvich, ein Konstantin Heide sind allesamt: 2006 geboren! Das muss ein Zeichen sein!
Ist die Bundesliga jugendfeindlich?
Aber welche Verpflichtung erwächst nun aus diesem Teenager-Triumph für die Bundesliga und den neuen Bundestrainer Julian Nagelsmann? Und, fast noch wichtiger, wann sehen wir die Jungs bei uns im Oberhaus spielen? Und wieso hat man eigentlich den subjektiven Eindruck, dass es die Talente im eigenen Land kaum schaffen Spielzeit zu bekommen?
Nun ist nicht jeder ein Wayne Rooney, der noch 16-jährig sein Premier League-Debut für Everton gibt und mit 17 seinen Three Lions-Einstand, aber ein James Milner oder ein James Vaughan, die ähnlich früh oder sogar noch früher dran waren, könnte doch auch bei uns dabei sein?
Richtig, es macht wenig Sinn, Spieler mit individuellen Stärken miteinander zu vergleichen, denn jeder ist anders. Und: Es gab mit Florian Witz und Jamal Musiala in den letzten Jahren auch bei uns die Debüts mit 17 und dennoch fällt auf: abseits der Überflieger geht man in Deutschland gerne auf Nummer sicher, wenn es ums jugendliche Personal geht.
Talente: Nur ein Bruchteil schafft den Sprung
Wenn stimmt was der Sportpsychologe Prof. Dr. René Paasch sagt, der lange im Nachwuchsleistungszentrum des VfL Bochum gearbeitet und dazu geforscht hat, dass maximal 2,5 Prozent der Spieler aus den Nachwuchszentren den Sprung in den Profibereich schaffen, dann muss man sich doch fragen: Warum nur so wenige? Wo ist der Rest? Wo ist der Mut sie einfach mal spielen zu lassen?
Ein Potential kann nur dann explodieren, wenn es sich zeigen darf. Bei der Nagelsmann-Truppe implodiert gerade eher das Gesamtgefüge. Bei der Blamage in Wien gegen Österreich im November betrug der Altersdurchschnitt 29,18 Jahre, ich habe extra mal nachgezählt. Hummels, Gündogan, Trapp, Rüdiger, Füllkrug - alle 30 und älter. Es war die älteste DFB-Elf seit den Rumpelfußballzeiten. Die Personalauswahl ist also im höchsten Maße konservativ.
Aberwitzigen Mut zeigt man nur, wenn man glaubt, man könne ausgerechnet den Jüngsten einfach alle Positionen spielen lassen: einen Kai Havertz, 24 Jahre, also auch Linksverteidiger.
Paris Brunner und seine Jungs sind in diesem Jahr Europa- und Weltmeister geworden. Mehr geht nicht. Also liebe Liga, lieber DFB: Mehr Paris wagen – das könnte eine Lösung sein!
ZUR PERSON: THILO KOMMA-PÖLLATH
Der Sportjournalist und Buchautor ("Die Akte Hoeneß") beleuchtet in seinem wöchentlichen Blog als LIGAstheniker das Geschehen in der Fußball-Bundesliga für Eurosport.de. Oft skeptisch, ironisch, kritisch - aber einer muss schließlich den Ball flach halten.
Das könnte Dich auch interessieren: Dortmunds Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit
/origin-imgresizer.eurosport.com/2023/12/02/3836521-77963348-2560-1440.jpg)
Deutsche U17 jubelt über WM-Sieg: Triumph nach Krimi
Quelle: SID
Ähnliche Themen
Werbung
Werbung