Owen Hargreaves exklusiv zum Tod von Franz Beckenbauer: "Dasselbe Gefühl hatte ich in Gegenwart der Queen"

Der Tod von Franz Beckenbauer hat die Fußballwelt schwer getroffen. Viele Weggefährten trauern um den "Kaiser" - so auch Ex-Bayern-Profi Owen Hargreaves, der Beckenbauer auf seinem Weg zum Champions-League-Titel mit dem FC Bayern München 2001 viel zu verdanken hatte. Im Interview mit Eurosport.de spricht Hargreaves über die unglaubliche Aura der Lichtgestalt - und eine legendäre Bankettrede.

Rummenigge: "Beckenbauer war ein unglaublicher Mensch"

Quelle: Perform

Mit Franz Beckenbauer ist am Sonntag die Lichtgestalt des deutschen Fußballs gestorben.
Einer, der ihn beim FC Bayern München erlebt hat, ist Owen Hargreaves. Der Engländer mit kanadischen Wurzeln wurde um die Jahrtausendwende vom damaligen Präsidenten des FC Bayern stark gefördert und stand schließlich beim Champions-League-Triumph 2001 mit auf dem Platz.
Hargreaves erlebte zuvor auch die berühmte Bankettrede des Kaisers nach dem 0:3 bei Olympique Lyon hautnah mit.
Im Interview mit Eurosport.de spricht der 42-Jährige über die wahnsinnige Ausstrahlung des Kaisers, den positiven Einfluss auf seine Karriere und beklagt die Lücke, die Beckenbauer in der Fußballwelt hinterlässt.
Herr Hargreaves, die Fußballwelt trauert um einen ganz Großen. Wie haben Sie den Tod von Franz Beckenbauer aufgenommen?
Owen Hargreaves: Es ist einfach unglaublich traurig. Für die ganze Fußballwelt, aber besonders für diejenigen, die ihn kannten, ist es ein herber Verlust. Er hatte einen großen Einfluss auf meinen Karrierestart bei Bayern. Er war damals als Präsident einer der ersten, der über mich als Jugendspieler gesagt hat: 'Hey, der Junge da aus Kanada, der gefällt mir.' Das hat damals für mich eine große Rolle gespielt und meine Karriere definitiv mit in Gang gesetzt.
Was hat ihn aus Ihrer Sicht so außergewöhnlich gemacht?
Hargreaves: Für mich war er einfach eine herausragende Persönlichkeit, ein ganz besonderer Mensch. Als ich ihn das erste Mal getroffen habe, habe ich sofort diese spezielle Aura um ihn herum gespürt. Er hatte immer ein schelmisches Lächeln auf den Lippen, aber auch immer eine unwahrscheinliche Präsenz. Es war fast so, als würde er leuchten, verstehen Sie? Dieses Gefühl hatte ich in meinem Leben vielleicht bei einer Handvoll Menschen. Er war einer davon.
Wer noch?
Hargreaves: Dasselbe Gefühl hatte ich in Gegenwart der Queen, die ich ein paar Mal in meinem Leben treffen durfte. Man hört so viel über diese Personen … Dann triffst du sie, und es ist fast surreal, diese Ausstrahlung. Man will einfach nur so viel wie möglich beobachten, den Moment aufsaugen. Dieses Gefühl riefen die beiden in mir hervor.
Beckenbauer hatte nicht zu Unrecht den Spitznamen 'Lichtgestalt'.
Hargreaves: Vielleicht kam dieses Leuchten, diese Energie daher, weil er so ein erfülltes Leben hatte. Er hat im Fußball schließlich fast alles erreicht. Als Spieler und als Trainer - das muss man sich mal vorstellen! Er war einfach einmalig. Bei Bayern gab es viele große Persönlichkeiten. Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge waren ähnlich bedeutsam, aber bei Franz war das nochmal was komplett anderes. Man hatte man das Gefühl, als stünde er über den Dingen. Er hat eine enorme Ruhe und vor allem eine enorme Selbstsicherheit ausgestrahlt. Und ich habe ihn eigentlich nie besonders wütend erlebt.
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FC Bayern München: Karl-Heinz Rummenigge, Uli Hoeneß und Franz Beckenbauer (v.l.) bei einem spaßigen Fotoshooting 2001 mit Perücken im Münchner Olympiastadion

Fotocredit: Imago

Mit einer Ausnahme vielleicht: Am 6. März 2001 …
Hargreaves: Sie meinen die berühmte Bankettrede in Lyon, oder?
Exakt.
Hargreaves: Was ich an Bayern echt mag, sind die gut gepflegten Traditionen - wie diese Bankette nach den Champions-League-Spielen zum Beispiel, die ja in erster Linie eine schöne Sponsorenveranstaltung sind. Die Spieler sind so spät nach dem Match meistens relativ müde, wollen nach der Rede nur einen Happen essen und dann schnellstmöglich verschwinden …
In Lyon aber ging das so schnell nicht - Franz Beckenbauer ließ nach dem 0:3 in der Zwischenrunde eine minutenlange Tirade vom Stapel, sprach von 'Altherrenfußball' und nannte das Team eine 'Uwe-Seeler-Traditionsmannschaft' …
Hargreaves: Danke, ich kann mich noch sehr gut erinnern (schmunzelt). Ich weiß noch sehr genau, dass ich auf meinem Stuhl in der Ecke immer kleiner wurde. Da lag plötzlich so ein Flimmern in der Luft. Leute wie der Kaiser wussten aber auch immer schon sehr genau, wann man eine solche Brandrede halten muss. Er hatte ein besonders gutes Gespür dafür. Das war auch ein Geheimnis seines Erfolgs.
Am Ende der Saison holten sie dann den Champions-League-Titel nach München.
Hargreaves: Ganz ehrlich, er hätte alles über uns sagen können und wir hätten es angenommen. Wenn Franz Beckenbauer sprach, haben alle zugehört. So war das damals. Und es hat sich ausgezahlt. Schauen Sie: Hoeneß, Rummenigge, Beckenbauer - wenn du solche großen Persönlichkeiten im Klub hast, spielst du auch immer ein bisschen für sie. Du willst so spielen, dass sie nicht enttäuscht sind. Und das nicht aus Angst, sondern einfach nur aus Respekt.
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Owen Hargreaves (FC Bayern München) im Jahr 2001 mit dem Champions-League-Pokal

Fotocredit: Getty Images

Wenn man sich die Reaktionen aus England am Dienstag anschaut, hat man wirklich das Gefühl, dass auch das Mutterland des Fußballs Trauer trägt.
Hargreaves: Man muss sich nur mal die alten Clips von ihm als Spieler anschauen - er war seiner Zeit weit voraus, so unglaublich elegant! Und das in einer Zeit, in der das Spiel oft alles andere als elegant war. Man muss auch sagen: In England haben wir ein ziemlich gutes Gespür für solche Anlässe. Das Wort 'Legende' wird oft überstrapaziert, aber hier passt es absolut. Er war einer der letzten großen Superstars dieser Ära des Fußballs, von denen wir so viele in den letzten Jahren verloren haben.
Johan Cruyff, Pelé, Gerd Müller, Bobby Charlton, Diego Maradona …
Hargreaves: Da oben im Himmel können sie jetzt ein ziemlich gutes Fußballspiel abliefern, soviel steht fest.

Zur Person Owen Hargreaves

Owen Hargreaves kam 1997 mit 16 Jahren vom Calgary Foothills FC aus Kanada zum FC Bayern, mit dem er 2001 die Champions League gewann. Bis 2007 spielte Hargreaves 218-mal für den Rekordmeister (zehn Tore), ehe er zu Manchester United wechselte. Außerdem lief er 42-mal für England auf. Hargreaves ist heute unter anderem TV-Experte für den Sender TNT Sports.
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Rummenigge huldigt dem Kaiser: "Einfach überragend"

Quelle: Perform

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