1. FC Union Berlin macht mit Unentschieden bei der SSC Neapel den ersten Schritt: Abschied vom Albtraum

Union Berlin ist aus einem Albtraum erwacht, sieht wieder Licht. Nach zwölf Niederlagen in Serie punkteten die Köpenicker in Neapel. Es ist ein Remis gegen ein Schwergewicht, auf das sich die Mannschaft von Trainer Urs Fischer etwas einbilden darf. Aber ist der sportliche Horror damit vorbei? In der Hauptstadt macht sich vorsichtiger Optimismus breit - wenngleich die Probleme offenkundig sind.

Union-Coach Fischer erleichtert: "'Endlich' trifft's gut!"

Quelle: Perform

100 Meter in zehn Sekunden - Tor! So einfach kann Fußball sein, auch für Union Berlin.
Jérôme Roussillon fasste sich kurz vor dem eigenen Fünfmeterraum ein Herz, schickte David Datro Fofana mit einem Pass auf die Reise - und der traf im Zusammenspiel mit Geraldo Becker zum 1:1. So leicht und schnell überbrückten die Eisernen das 110 Meter lange Spielfeld im Stadio Diego Armando Maradona.
Anhand der Szene lässt sich die aktuelle Lage beim Hauptstadtklub ganz gut erklären. Mit dem Tor beendete die Auswahl von Urs Fischer die quälend lange Negativserie von zwölf Pflichtspielpleiten in Serie. Dann ist da die historische Dimension: Union holte den ersten Champions-League-Punkt der Vereinsgeschichte. Der fade Beigeschmack: Durch das Remis steht das Königsklassen-Aus vorzeitig fest.
Und noch etwas ist interessant: Der Fofana-Treffer in Neapel kam unerwartet, entstand aus einer Defensivsituation. Es war allerdings ein Markenzeichen der Berliner in der überragenden Vorsaison, dass die Tore "einfach so" fielen.

Union vom Spitzenteam zum Abstiegskandidaten

Die Expected-Goals-Statistik (xG) errechnete rund 35 Tore für Union, der niedrigste Wert aller 18 Bundesligisten. Tatsächlich aber schlug die Fischer-Elf 51 Mal zu und hatte am Ende fast 20 (!) Punkte mehr auf dem Konto als es der xG-Wert angab. Die Köpenicker überperformten also massiv und schlossen die Spielzeit auf einem sensationellen vierten Platz ab.
picture

Union Berlin in der Krise: Droht sogar der Abstieg?

Quelle: Perform

So umstritten die xG-Auswertung auch ist, als Referenz für die laufende Union-Saison ist sie bemerkenswert. Es zeigt sich: Nach zehn Spieltagen hat Union knapp zwei Tore weniger erzielt als zu erwarten war, dafür 6,5 Treffer mehr kassiert - und infolge dessen etwa fünf Zähler weniger eingefahren als es die Statistik suggeriert.
Die Konsequenz: Aus einem Spitzenteam ist ein Abstiegskandidat geworden! Aber ist es tatsächlich so einfach? Hat Union schlichtweg weniger Abschlussglück und mehr Pech in der Defensive? Unmöglich, darauf mit einem klaren Ja oder Nein zu antworten. Die Verantwortlichen in Berlin machen sich - natürlich - wesentlich mehr Gedanken, um der Krise auf den Grund zu gehen.

Rückendeckung für Fischer: "Nicht aus Dankbarkeit, sondern ..."

Am besten fängt man bei der Analyse mit dem Mann an, an dem es aus Sicht so gut wie aller Berliner nicht liegen kann: Urs Fischer. Es gibt, mit Ausnahme des SC Freiburg, wohl keinen Bundesliga-Klub, bei dem einem Trainer nach zwölf Niederlagen in Folge dermaßen der Rücken gestärkt wird.
"Es ist egal, was die Presseschweine schreiben. Urs Fischer ist Unioner und soll es auch bleiben", war beim jüngsten 0:3 zuhause gegen Eintracht Frankfurt auf einem Fan-Banner in der Alten Försterei zu lesen. Der Schweizer wurde mit Sprechchören gefeiert.
picture

"Schnauze halten und abliefern": Union gibt sich nicht auf

Quelle: Eurosport

Vereinspräsident Dirk Zingler versicherte der Anhängerschaft im Stadionheft, dass man Fischer "nicht aus Dankbarkeit für seine Leistungen in der Vergangenheit" vertraue, "sondern weil wir überzeugt davon sind, dass er ein hervorragender Trainer ist, der diese schwierige Aufgabe lösen kann".

Union-Problem: Hoher Einsatz, wenig Durchschlagskraft

Die Spieler folgen dem 57-Jährigen weiterhin, Einsatz und Kampfgeist stimmen. Die Eisernen sind nach Heidenheim und Hoffenheim das Team mit der dritthöchsten Laufleistung in der Meisterschaft. "Wenn man sieht, was die Mannschaft aufwendet und was am Schluss dabei herauskommt, ist das so kurz nach dem Spiel schon frustrierend", musste Fischer nach der Frankfurt-Partie zugeben.
picture

1. FC Union Berlin

Fotocredit: Imago

Ein wenig Ratlosigkeit macht sich breit. "Wir versuchen es, wir trainieren, wir machen, wir tun", betonte Kapitän Christopher Trimmel. "Man spürt, dass wir viel zu viele Fehler machen. Auf dem Niveau wird das bestraft."
Dazu, so der 36-Jährige, bringe man in der Offensive zu wenige Bälle aufs Gehäuse, gegen Frankfurt blieb die Mannschaft trotz rekordverdächtiger 40 Flanken ohne Torerfolg. In der Liga gelangen nur Köln (8) und Bochum (10) weniger Treffer als Union (11).

Rückt Fischer von der Dreierkette ab?

Darüber hinaus drückt der Schuh in der Defensive. Fischer spielt mit einer Dreierkette, die er aus Diogo Leite, Leonardo Bonucci, Robin Knoche, Danilho Doekhi oder Paul Jaeckel zusammenstellt.
Die Abläufe stimmen zu oft noch nicht, es entstehen Lücken. Ein Faktor, der Fischer vielleicht umdenken lässt. Beim Pokal-Aus in Stuttgart (0:1) probierte es der Schweizer zum ersten Mal mit einer Viererkette, in dem er Roussillon und Trimmel nach hinten zog.
Die Maßnahme funktionierte trotz des Knockouts, Union stand über weite Strecken stabil. Fischer sprach danach von einem "ausgeglichenen Spiel". Die Viererkette könnte eine Stellschraube sein, um der Saison die ersehnte Wendung zu geben.

Prominente Neuzugänge, kein sportlicher Ertrag

Es war von vorne herein klar, dass die Spielzeit 2023/2024 zum ultimativen Härtetest für die Hauptstädter wird, mit drei Wettbewerben und großen Hoffnungen. Die Vereinsführung reagierte und ging auf dem Transfermarkt in die Offensive.
Mit Nationalspieler Robin Gosens im Mittelfeld, den Innenverteidigern Leonardo Bonucci und Diogo Leite oder Angreifer Kevin Volland lotste man namhafte Spieler nach Köpenick. Dazu kamen Fofana (Angriff) und Brenden Aaronson (Offensives Mittelfeld) auf Leihbasis aus der Premier League nach Berlin.
Sportlich haben sich die Investitionen bislang nicht ausgezahlt, finanziell aber sind sie Beleg dafür, dass Union in den vergangenen 20 Jahren eine schwindelerregende Transformation durchlaufen hat.

Union im Wandel: Aus 12 Mitarbeitern werden 400

2003 sei man "bei 1,8 Millionen Euro Umsatz im Jahr gestartet. Heute sind es knapp 160 Millionen Euro. Statt zwölf haben wir jetzt 400 Mitarbeiter", erläuterte Zingler zu Beginn des Jahres im Gespräch mit der "Berliner Zeitung". Inzwischen spricht der Präsident sogar von "über 170 Millionen Euro Umsatz".
picture

Böller-Wahnsinn in Neapel - Fischer: "Bin auch zusammengezuckt"

Quelle: Perform

Die finanzielle Schlagkraft geht aber nicht nur in den Kader und die Nachwuchsabteilungen, sondern auch in große Projekte. Die Alte Försterei wird aus- und umgebaut, darüber hinaus soll im Umfeld des Stadions baulich einiges passieren. "Der Zeitplan bleibt weiterhin, dass wir die Saison 2025/26 im Olympiastadion spielen wollen. Bis dahin wollen wir das Klubhaus und das Profitrainingszentrum gebaut haben", sagte Zingler.

Worst Case Abstieg: Was passiert mit Gosens und Co.?

Es wäre - vorsichtig ausgedrückt - unschön, wenn der Klub nur noch in der 2. Bundesliga beheimatet wäre. Zumal sich im Falle eines Abstiegs die Frage stellt, wie es dann mit Spielern wie Bonucci, Volland, Gosens oder Becker weitergeht. Gelten deren Verträge auch für Liga zwei? Kann ein Teil der Profis ablösefrei gehen und wie groß wäre das finanzielle Loch, das daraus entstünde?
Noch ist ein solches Szenario weit entfernt, in der Liga ist noch nicht einmal das erste Saisondrittel absolviert und aktuell steht Union auch nicht auf einem direkten Abstiegsplatz. Das könnte sich aber schon am kommenden Wochenende ändern, sollte es bei Tabellenführer Bayer Leverkusen (Sonntag ab 15:30 Uhr im Ticker) die nächste Niederlage geben.
Immerhin, die Eisernen treten mit neuem Selbstbewusstsein beim Branchenprimus an und wollen damit ihre Schulden beim Coach einlösen. "Klar ist Leverkusen aktuell eine Wahnsinnsmannschaft, aber das ist Neapel auch", betonte Kapitän Trimmel, während Gosens die Kollegen daran erinnerte, dass man "in der Bringschuld beim Trainer" stehe.
picture

"Wirklich brutal": Fischer enttäuscht nach Union-Pleite

Quelle: Perform

Mehr als 3 Mio. Sportfans nutzen bereits die App
Bleiben Sie auf dem Laufenden mit den aktuellsten News und Live-Ergebnissen
Download
Diesen Artikel teilen
Werbung
Werbung