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Toni Kroos als Matchwinner für Deutschland: Mann mit zwei Gesichtern

Florian Bogner

Update 24/06/2018 um 16:29 GMT+2 Uhr

Toni Kroos schießt Deutschland in der fünften Minute der Nachspielzeit zum 2:1-Sieg gegen Schweden und äußert sich danach bissig. Knüpfte der 28-Jährige in der ersten Halbzeit noch an seine schwache Leistung gegen Mexiko an, zog sich das DFB-Team nach der Pause an ihm hoch. "Toni hat einen Fehler gemacht und ihn eiskalt ausgebügelt", sagte Reus. Und die Mannschaft glaubt an einen Wendepunkt.

Toni Kroos (Deutschland vs. Schweden)

Fotocredit: Getty Images

Als alles Spitz auf Knopf stand, schritt Marco Reus von links ganz dicht an Toni Kroos heran und raunte ihm etwas zu.
Sotschi, Samstagabend, kurz vor 23 Uhr Ortszeit. Die Nachspielzeit lief, zeigte 4:23, 4:24, 4:25 Minuten an. Deutschland brauchte ein Tor. Es gab noch diesen Freistoß. Aber Reus und Kroos standen da wie Pro und Caddy auf dem Golfplatz, sahen sich den Winkel zum Tor an und tüftelten etwas aus.
"Ich habe' laut geschrien, dass er flanken soll", sagte der verletzte Mats Hummels nachher. Gut, dass Kroos ihn überhörte. Hummels weiter:
Dafür darf ich mir jetzt einiges anhören in der Kabine.

Toni Kroos trifft 18 Sekunden vor Ablauf der Nachspielzeit

Sekunden nach der golfartigen Szene fanden sich Kroos und Hummels an der Seitenlinie wieder, inmitten eines schreienden Knäuels aus Leibern. Ein paar Meter weiter die Seitenlinie runter hüpfte Joachim Löw auf und ab wie ein Gummiball.
Weil Kroos den Freistoß bei exakt 4:42 Minuten Nachspielzeit eben nicht geflankt, sondern nach einem kurzen Abtropfen bei Reus, um den Winkel noch günstiger zu machen, ins rechte ober Toreck geschossen hatte. 2:1 für Deutschland.
"Ich habe zu Toni Kroos gesagt: Junge, schieß' einfach direkt", klärte Reus im "ZDF" auf.
Wenn schon kein Götze-, Brehme-, Müller- oder Rahn-Moment, dann war es zumindest ein Neuville-Moment. Einer, den man in Rückblicken auf dieses Turnier immer wieder sehen wird.
"Es ist nicht zu fassen, halten sie mich fest", schrie Tom Bartels in sein "ARD"-Mikrofon und damit in Millionen deutsche Wohnzimmer. "Jetzt geht's hier los für Deutschland. Jawoll."
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Joachim Löw jubelt

Fotocredit: Imago

Mit Rudy ging die deutsche Sicherheit

Dabei wäre beinahe alles vorbei gewesen, bevor die WM so richtig losgeht. Rückstand zur Pause, verschuldet, ja, von Kroos, der wie schon gegen Mexiko schwer in die Partie fand, eine schwache erste Halbzeit spielte.
Mit Sebastian Rudy an seiner Seite klappte die Rückwärtsbewegung der zentralen Mittelfeldspieler ein bisschen besser, wenngleich Kroos lange den defensiveren, absichernden Part einnahm. Doch als Rudy mit Verdacht auf Nasenbeinbruch raus musste und Ilkay Gündogan an Kroos' Seite kam, zerfiel das deutsche Spiel trotz toller Anfangsphase zusehends.
"Wir haben die Phasen, in denen wir gut waren, nicht genutzt", sagte Kroos danach in der "ARD" richtig. "Wir haben das Spiel verflachen lassen, nachdem wir die ganze Zeit am Drücker waren."

Kroos mit No-Look-Fehler

Symptomatisch für Kroos' Auftritt über weite Strecken der ersten Halbzeit war sein fataler Fehlpass in der 32. Minute: Statt 40 Meter vor dem eigenen Tor quer auf den freien Joshua Kimmich oder zurück zu Jérôme Boateng zu spielen, versuchte Kroos, Gündogan ohne hinzusehen zwischen zwei Schweden zu bedienen, ein No-Look-Fehler.
Marcus Berg sagte "Danke", spielte in den Rücken des schon gestarteten Jonas Hector auf Viktor Claesson, der wiederum sofort Ola Toivonen in der Spitze bediente - 0:1.
"Das erste Tor geht auf meine Kappe, keine Frage", sagte Kroos später am "ARD"-Mikrofon selbstkritisch und hätte es vielleicht dabei belassen sollen. Doch es brodelte noch in ihm, klar, Siegtor, 95. Minute:
Aber wenn du im Spiel 400 Pässe spielst, dann sind auch mal zwei nicht gut. Wenn einer zum Tor führt, ist das blöd. Du musst aber auch die Eier haben, die zweite Halbzeit so zu spielen nach so einem Fehler. Aber das sehen dann nur die wenigsten.

Kroos nach Halbzeitpause stark verbessert

Und was für eine zweite Halbzeit er spielte. Wo Kroos in der ersten Spielhälfte noch getrabt war, schob er nach dem Seitenwechsel dynamisch an.
"Schweden war sehr kompakt, sehr eng. Wir wussten, dass wir über außen und dann in den Rückraum kommen mussten", sagte Reus. Und Kroos war fortan der technische Zeichner dieser Angriffe.
War Deutschlands Spiel vor der Pause noch asynchron zumeist über die rechte Angriffsseite gelaufen, war plötzlich die linke mit Kroos, Außenverteidiger Hector und den von Löw nach dem Seitenwechsel auf Linksaußen beorderten Timo Werner die deutlich spielstärkere.
"Letztlich war es schon verdient, weil wir weiter an uns geglaubt haben", sollte Joachim Löw später bilanzieren, "weil wir drangeblieben sind, weil wir nach vorne gegangen sind. Wir haben Moral bewiesen." Und meinte damit vor allem Kroos.

100 Ballkontakte mehr als der beste Schwede

144 Ballkontakte häufte der Star von Real Madrid insgesamt an - und damit 100 mehr als der beste Schwede Mikael Lustig. Kroos spielte 121 seiner 127 Pässe zum Mitspieler und rannte dabei 10,58 Kilometer, weite Strecken davon durch die gegnerische Hälfte.
Nach dem Mexiko-Spiel war Kroos zwar nicht im Kern der öffentlichen Kritik gestanden, aber dennoch wirkungsvoll getroffen worden.
Sein Bundestrainer hatte schließlich selbst gesehen und öffentlich verbal abgebildet, dass die Mexikaner eben jenen Kroos durch Gegenspieler Carlos Vela total aus dem Spiel genommen und so dem deutschen Spiel massiv geschadet hatten. Die linke Seite verwaist, Marvin Plattenhardt verhungert.

Kroos mit Botschaft an die Kritiker

Diesen Vorwurf wollte sich Kroos offensichtlich nicht nochmal gefallen lassen. "Wir wurden viel kritisiert, teilweise bestimmt auch zu Recht", sagte er nach seinem Siegtor und dann diesen einen Satz, den man bestimmt noch einige Male in Rückblicken hören wird:
Man hatte das Gefühl, relativ viele Leute in Deutschland hätte es auch gefreut, wenn wir heute rausgegangen wären, aber so einfach machen wir es denen nicht.
Brachte Kroos in der ersten Halbzeit noch keinen Lauf mit Ball ins Angriffsdrittel zustande, waren es nach der Pause acht und damit mehr als ein Viertel derartiger deutscher Angriffsläufe (28). 25 Kroos-Zuspiele ins Angriffsdrittel waren sogar mehr als ein Drittel dieser Aktionen im deutschen Spiel (73).

Ein Wendepunkt für Deutschland?

"Wir haben nicht aufgehört, Fußball zu spielen", sagte Reus, der das 1:1 besorgt und den Ball vor dem ja auch noch 2:1 angetippt hatte. "So wie wir gefightet haben, haben wir es uns verdient am Ende." Weil Kroos doch noch traf. "Toni hat einen Fehler gemacht und ihn eiskalt ausgebügelt", sagte Reus anerkennend.
"Es hat mich für ihn wahnsinnig gefreut", sagte Löw.
Ein Tor, das Kraft gibt. "Es kann ein entscheidender Wendepunkt sein", meinte Thomas Müller: "Jetzt sind wir im Turnier und können mit einem Sieg gegen Südkorea aus eigener Kraft weiterkommen. Die Schmetterlinge fliegen gerade. Hoffentlich geht es noch lange."
Kroos sagte:
Jetzt müssen wir Südkorea schlagen und dort auch überzeugend auftreten. Wir müssen von der ersten Minute Gas geben und die Chancen machen.
Siegt Deutschland mit zwei Toren Abstand, steht man sicher im Achtelfinale. Sogar der Gruppensieg ist noch drin. Und das hatte man wirklich nicht mehr für möglich gehalten, Samstagabend, in Sotschi, kurz vor 23 Uhr Ortszeit.
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