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FC Liverpool: Der Titel für Jürgen Klopp und seine Mannschaft wird zur Nebensache

Tony Evans

Update 29/03/2020 um 17:00 GMT+2 Uhr

Es war alles angerichtet: Der FC Liverpool liegt bei noch neun verbleibenden Spielen mit 25 Punkten an der Tabellenspitze. Die Anfield Road war bereit zum Feiern - doch das Coronavirus machte einen Strich durch die Partyplanung. Das Dilemma der Klopp-Elf rückt in diesen Tagen jedoch selbst bei den Fans der Reds immer mehr in den Hintergrund. Von einem Abbruch möchte trotzdem niemand etwas wissen.

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Fotocredit: Getty Images

Aus Liverpool berichtet Tony Evans
Die Straßen rund um Anfield sind menschenleer, Pubs sind geschlossen. Ein Fußballverein sollte das Zentrum einer Gemeinschaft sein, aber im Moment herrscht nur Stille. Das altehrwürdige Stadion ist allein mit seinen Geistern.
Dabei hätte alles ganz anders kommen sollen. Wäre die Saison nicht unterbrochen worden, hätte Liverpool möglicherweise bereits den Titel in der Premier League unter Dach und Fach gebracht. Die Mannschaft von Jürgen Klopp liegt bei noch neun verbleibenden Spielen mit 25 Punkten Vorsprung an der Tabellenspitze. Merseyside war bereit zum Feiern - dann intervenierte das Coronavirus.
"Es ist richtig frustrierend", sagt Andy Heaton vom "Anfield Wrap", Liverpools bekanntester Multimedia-Fanseite: "Das Ende der Saison sollte eine Prozession werden. Inzwischen hätten wir höchstwahrscheinlich den Titel in die Luft gestreckt. Wir sollten Meister sein. Wenn man bedenkt, dass wir noch im März sind, ist das absolut bemerkenswert."
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Heaton: "Es gibt wichtigere Dinge"

Im Moment gibt es keine Gedanken an Paraden und auch der Gewinn von Silberware ist für die Reds bei Weitem nicht das Wichtigste auf der Tagesordnung. "Angesichts der Situation ist es schwierig, sich auf Fußball zu konzentrieren", sagt der Journalist und betont:
Ich würde mich gerne über die Verzögerung der Saison aufregen, aber ich kenne niemanden, der darüber stöhnt, die Spiele abzusagen. Es gibt wichtigere Dinge.
Heaton ist zu jung, um sich an das letzte Mal zu erinnern, als Liverpool die Liga gewann. Eine ganze Generation ist geboren und mittlerweile erwachsen geworden, seit der Verein letztmals Meister wurde. Seine Gefühle werden von denjenigen bestätigt, die sich an die glorreichen Jahre der 1980er Jahre erinnern können.
Richie Greaves ist ein Überlebender von Hillsborough und Inhaber einer Dauerkarte. Mehr als die meisten anderen weiß er, dass Fußball keine Frage von Leben oder Tod ist. "Ich war enttäuscht, als die Spiele zum ersten Mal abgesagt wurden", sagt er und appelliert:
Wir waren so kurz davor, es nach so langer Zeit wieder zu gewinnen. Aber es wurde schnell klar, dass es richtig war, den Fußball in den Hintergrund zu stellen. Wir sprechen hier über das Leben der Menschen. Es geht darum, Prioritäten richtig zu setzen.

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Karl Coppack sieht das ähnlich. Der Autor und Aktivist hat die meisten Partien in dieser Saison besucht und zählt seit Monaten die noch verbleibenden Spiele herunter. "Woche für Woche kommen wir aus dem Stadion und sagen: 'Drei Punkte näher'. Die Leistungen - wer gut gespielt hat und wer nicht - spielten keine Rolle. Wir wollten nur, dass sie über die Linie kommen", berichtet er.
"Es gab ein bisschen Panik, als Karren Brady [der stellvertretende Vorsitzende von West Ham United; Anm. d. Red.] vorschlug, die Saison abzubrechen, aber das wird nicht passieren. Letztendlich werden wir gewinnen und das freut mich besonders für unsere jungen Fans. Ich habe viele Titel gesehen, dieser wird jedoch etwas Besonderes sein. Es ist zu lange her und die Umstände sind in dieser Spielzeit völlig anders", führt Coppack aus.
Fast jeder Liverpool-Anhänger ist voller Verachtung für Brady, dessen Verein gefährlich nahe an der Abstiegszone schwebt. "Er versucht die nationale Krise auszunutzen, um in der Premier League zu bleiben", kritisiert Heaton:
Es ist ein Eigeninteresse, das auf ein ekelhaftes Niveau gebracht wird.
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Saisonabbruch: Nicht nur Liverpool würde darunter leiden

Der Gründer von Anfield Wrap sorgt sich jedoch auch über umfassendere Themen in Sport und Gesellschaft. "Es ist einfach, über Liverpool zu sprechen", sagt er, "aber die eigentlichen Fragen betreffen die Gesundheit der Nation und das Spiel im Allgemeinen. Eine große Anzahl von Vereinen läuft Gefahr, zu Grunde zu gehen."
"Und wenn die Saison abgebrochen würde, würde nicht nur Liverpool leiden. Sie sagen, wir hatten eine außergewöhnliche Saison? Schauen Sie sich Sheffield United an. Sie haben eine unglaubliche Saison gespielt. Den Titel zu gewinnen, wäre großartig, aber es geht nicht nur um uns", so Heaton weiter.
Die Wahrscheinlichkeit ist relativ groß, dass zumindest einige der verbleibenden Spiele hinter verschlossenen Türen ausgetragen werden müssen. Die Aussicht, dass Kapitän Jordan Henderson die Trophäe vor der leeren Liverpool-Fantribüne "The Kop" in die Luft streckt, kümmert Coppack jedoch wenig. "Wenn das passiert, soll es so sein", sagt er und fügt an:
Sie werden die Trophäe nicht in einen Schrank sperren und vor uns verstecken. Wir werden trotzdem feiern.

Greaves: "Wir halten Fußball manchmal für selbstverständlich"

Coppack hat auch eine Botschaft für rivalisierende Fans, die glauben, dass die Unterbrechung der Saison Liverpools Leistung in irgendeiner Form schmälern würde. "Wenn sie dem Gerede über den 'verdorbenen Titel' glauben wollen, machen sie sich etwas vor. Dieses Team hat in 29 Spielen lediglich fünf Punkte verloren. Sie sind amtierende Champions-League-Sieger und Klub-Weltmeister. Viel Glück beim Verkauf der Idee, dass sie es nicht verdienen, die Liga zu gewinnen", konstatiert er.
Heaton ist beeindruckt von der Art und Weise, wie die Klubs der Stadt auf den Coronavirus-Notfall reagiert haben. "Es ist einfach, über die Werte der Gemeinschaft zu sprechen, aber sowohl Liverpool als auch Everton haben hervorragend reagiert. Beide Vereine sind der Stolz der Region", lobt der Journalist.
Obwohl das Warten auf den Titel weitergeht, hat die Einstellung des Sports Greaves zum Nachdenken gebracht. "Ich kam vor Kurzem an der Kneipe vorbei, in der wir uns alle vor dem Spiel treffen. Ich wurde emotional. Ich wünschte, wir würden uns jetzt alle treffen", gesteht der Anhänger und ergänzt:
Wir halten Fußball manchmal für selbstverständlich. Wenn er zurückkommt, werde ich jede Sekunde davon genießen - Titel hin oder her.
Zur Person:
Tony Evans ist seit 25 Jahren Sportjournalist. Er war jahrelang Fußballredakteur der "Times" und wirkt heute bei "The Independent" mit. Evans kam im Alter von 29 Jahren zum Journalismus, nachdem er ein Jahrzehnt lang in Bands, unter anderem bei The Farm, gespielt hatte. Sein Buch über die fußballerischen, politischen und sozialen Ereignisse von 1985-86, Two Tribes, wurde vom Verlag Transworld veröffentlicht.
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