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Wembley-Chefkoch Stefan Pappert im Interview: "Tuchel ist sehr strikt"

Florian Bogner

Update 13/05/2022 um 14:39 GMT+2 Uhr

Er kochte für die deutsche Nationalmannschaft, für die Formel 1, bei mehreren Weltmeisterschaften und in der Allianz Arena. Heute ist Stefan Pappert Chefkoch im Londoner Wembley-Stadion - und einer der persönlichen Köche von Queen Elizabeth II. Ein Gespräch über die Verbindung zwischen Stadionwurst und Royals, die richtigen Laufwege im Wembley und Hoeneß-Würste auf dem Teller der Königin.

Stefan Pappert ist "Lead Chef for 3 Lions for Wembley National Stadium" in London (Foto: Sebastian Rieder)

Fotocredit: Eurosport

Stefan Pappert hat ein rotes Auge - Berufsrisiko. Irgendetwas ist vor seinem Gesicht explodiert, Notaufnahme, ein Arzt zog die Splitter raus. Kurz darauf stand der gebürtige Hesse schon wieder in der Küche.
Freie Tage hat man als "Lead Chef for 3 Lions for Wembley National Stadium" eben nur wenige. Vor allem, wenn man nebenbei noch für die Queen Elizabeth II. kocht.
Am Wochenende 96.000 Zuschauer vom Hardcore-Fan bis in die High Society versorgen, am Montag dann Dumplings für Elizabeth II. kredenzen - wie passt das nur zusammen?
Erstaunlich gut, findet Pappert, der sich für das Gespräch mit Eurosport.de viel Zeit genommen hat. Und dabei ein bisschen an seinem verrückten Alltag teilhaben lässt.
Herr Pappert, einfache Frage: Was macht man als 'Lead Chef Three Lions' des Wembley-Stadions?
Stefan Pappert: In erster Linie: kochen! (lacht) Wembley ist ein sogenanntes working stadium, das heißt hier ist 24/7 Betrieb. Sportveranstaltungen machen nur 20 Prozent aus, es gibt auch den ganz normalen Regelbetrieb bis hin zum Banquetting. Wir haben mit dem 'Bobby Moore' das größte Restaurant Englands - das hat 1800 Plätze. Es wird also selten langweilig …
Am Wochenende geht's dann dafür richtig rund.
Pappert: Das sind die besonderen Abende, ja. Der Fury-Fight neulich war mit 96.000 Zuschauern wahrscheinlich das größte Nicht-Fußball-Event, seit es das neue Wembley gibt. Das Stadion war innerhalb von zwei Stunden ausverkauft. Der Laden brummte also ordentlich. Um mal eine Größenordnung zu nennen: Nur für den einen Abend haben wir knapp sechseinhalb Tonnen Pasta eingekocht. Mit Soße waren es sogar 14 Tonnen. Und das war nur für Level zwei und drei hier im Stadion. Dazu kommen dann noch die Logen und Boxen.
Unfassbare Mengen.
Pappert: Wenn wir Lasagne machen, sind die Portionen zusammengenommen so groß wie das gesamte Spielfeld. (lacht) Im Endeffekt ist das alles aber kein Hexenwerk, nur Logistik und Mathematik. Mit dem Equipment hier kann ich in fünf Minuten 640 Pizzen machen. Und zwar alles digital gesteuert.
Sie kochen aber auch für die VIPs im Stadion.
Pappert: Oh ja. Wembley ist ein Nationalstadion, hier trifft sich auch die High Society. Du hast die Royals hier, Politiker, aber auch Musikstars wie Ed Sheeran oder Elton John. Und man pflegt die Verbindungen untereinander. Elton John ist zum Beispiel Taufpate von David Beckham, der wiederum ist ja mit Victoria, also mit einem der Spice Girls, verheiratet und hat hier eine eigene Suite. Wenn Geri Halliwell da ist, kommt auch ihr Mann, Christian Horner (Teamchef von Red Bull Racing, Anm. d. Red.). Dann hast du die Formel 1 im Haus. Und so weiter …
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Prinz William im Gespräch mit David Beckham im Wembley-Stadion

Fotocredit: Getty Images

Ihr Geheimnis für den perfekten Stadiongenuss?
Pappert: Ich würze gut. Das ist wie auf der Wiesn: Da benutzen wir das grobe Brezensalz fürs Fleisch, weil es mehr Geschmack hergibt. Dadurch werden die Leute durstiger, empfinden es aber nicht als versalzen. Wenn ich hier Suppen koche, dann oft mit Dunkelbier. Was sie hier für Fish and Chips für die 'beer butter' nehmen, verwende ich zum Anschwitzen der Zwiebeln für die Kasspatzen. Die haben dann schon einen leicht bierigen Geschmack. Und das Hirn sagt irgendwann: noch ein Bier, noch ein Bier, noch ein Bier … (lacht)
Gibt es denn á la carte oder immer wieder was Neues?
Pappert: Die FA schaut hier schon genau, was wir so machen. Wenn ich jedes Mal mit demselben Knödel oder Kuchen ankommen würde, würde das irgendwann langweilig werden. Die Kunst liegt in der Variation: Kaiserschmarrn, Sauerkirschschmarrn, Prinzessinnenschmarrn. Mal ein Apfelkücherl, mal ein Birnenkücherl, oder auch mal ein Holunderkücherl, darauf stehen sie hier besonders. Mal ein Burger, oder auch mal drei Nürnberger in einer Laugensemmel, als Mini-Burger, Senf drauf - das geht wie Sau. Alles so, wie wir das in Bayern gekocht haben.
Das ist wie bei Michelangelo - der hat einerseits auch diese riesigen Kirchengewölbe bemalt und andererseits so ein kleines Meisterwerk wie die Mona Lisa erschaffen.
Die bayrische Küche als Erfolgsrezept von Wembley?
Pappert: Die Leute lieben das einfach. Bei mir gibt es keine 'Mac and Cheese', bei mir gibt es Kasspatzen. Und wenn ich Dumplings mache, sind das Semmelknödel, Speckknödel, Spinatknödel oder Lachsknödel. Das kennen die hier nicht so, aber es ist von höchster Stelle approved - denn Her Majesty the Queen ist damit happy.
Wie wird man vom Stadionkoch von Wembley zum Chef vom Dienst beim Royal Household in Windsor, also zum Koch der Queen?
Pappert: Eines Tages kam hier bei einem Spiel ein Livrierter zu mir und sagte: Da will jemand den Koch sprechen. Ich hatte null Zeit, bin aber schnell raus an einen Zehnertisch und habe mich kurz vorgestellt. Das übliche Geplänkel eben. Da sagte einer: Die Burger schmecken anders. Ich fragte: 'Good or bad?' Er: 'Very good!' Ich: Dann passt's ja - und bin wieder in die Küche. Kurz darauf kam der Mann erneut zu mir und meinte: nochmal rauskommen! Ich: Da war ich doch gerade schon. Er bestand trotzdem darauf. Erst dann habe ich geschnallt, dass es Prinz William war, dem meine Burger so besonders gut geschmeckt haben. Ich wusste zwar, dass er der Präsident der FA ist und hier seine Hausbox hat. Aber ich hatte ihn nicht an diesem Tisch erwartet.
Wie ging es weiter?
Pappert: Kurz darauf sollte ich nach Kensington Palace zum Kochen kommen, bin dann aber kurzfristig nach Windsor umgeleitet worden. Nach zwei, drei Wochen habe ich dann mal vorsichtig gefragt, wo denn eigentlich die Kinder des Prinzen essen - der kleine George mit seinen Chicken Nuggets und so. Die Antwort: Die sind nicht hier, die essen im Kensington Palace. Ja - und für wen kochen wir dann hier? Und die: Na für Her Majesty! Ich dachte, die wollen mich veralbern und ich bin bei der 'Versteckten Kamera'.
Also wandelten Sie fortan zwischen Stadion und Palast.
Pappert: Das hat sich erstaunlich gut ergänzt. Von Sonntag bis Dienstag war ich in Windsor und dann ging's zurück ins Stadion. Das passte ganz gut, weil Her Mejesty meistens von Mittwoch bis Freitag im Buckingham Palace gearbeitet hat. Mein Gegenpart, der Sous Chef, war dafür immer Freitag bis Sonntag im Palast im Dienst und hat am Sonntagabend an mich übergeben.
Und wie war das zu Beginn der Coronapandemie?
Pappert: Erst hieß es, die Königin bleibt im Buckingham Palace. Am Abend änderte sie aber ihre Meinung und wollte nach Windsor. Dort war aber kein Koch - also bin ich rausgefahren. Und blieb für 38 Wochen. Allerdings mit Fahrservice hin und her.
Bestimmt eine spannende Zeit.
Pappert: Das können Sie laut sagen. Her Majesty hatte viele Ideen. Eine war: Wir müssen jetzt für die Menschen kochen. Ich fragte: Wie stellt sie sich das vor, sollen wir jetzt die Schlossküche aufmachen, auf das Security Protocol pfeifen und lauter fremde Leute ins Schloss lassen? Antwort: Wir sollen uns was einfallen lassen. Also fragte ich: Können wir Wembley aufmachen? Dann hat sie per Dekret das Stadion öffnen lassen. So konnten wir in der Woche knapp 180.000 Portionen kochen.
Sagen Sie, wie passt das zusammen - auf der einen Seite Tausende Portionen fürs Stadion kochen, auf der anderen aber feinste Bankett-Speisen für die Queen of England?
Pappert: Das ist wie bei Michelangelo - der hat einerseits auch diese riesigen Kirchengewölbe bemalt und andererseits so ein kleines Meisterwerk wie die Mona Lisa erschaffen. Unterm Strich ist es doch so: In erster Linie koche ich für mich. Wenn ich Hunger habe, dann mach ich mir Schnitzel mit Röstzwiebeln, Parmesan und ein bisschen Speck in der Panade. Dann können Sie davon ausgehen, dass es den anderen auch schmeckt.
Die Kunst liegt also in der Schlichtheit?
Pappert: Nicht nur, aber auch. Ich habe mal selbst Holundersaft gemacht und probieren lassen - keiner wusste, was es ist, weil sie alle nur das zuckrige Zeug aus dem Supermarkt kannten. Dann ging dieser Saft hoch bis zu Her Majesty und hat voll eingeschlagen. Dabei war es das Einfachste der Welt. Bei den Apfelkücherl kommt es dafür vor allem auf das Mischverhältnis von Zucker und Zimt an. Und für Kasspatzen brauchst du einfach einen geilen Käse. Mit Mozzarella wird das nix. Die kleinen Feinheiten der bayrischen Küche eben.
Einer 96-Jährigen sind die kleinen Würschtel mit einer weichen Laugensemmel und einem marinierten Krautsalat gerade recht.
Man könnte sagen: Die Bayrische Küche ist ihre Malerpalette.
Pappert: Schuster bleib bei deinen Leisten. Mach das, was du am besten kannst. Am Ende stellt sich nur eine Frage: Was schmeckt am geilsten? Ich habe in meiner Zeit in München wirklich saugut gegessen. Aber nicht in den Highlevel-Läden, sondern in den normalen Küchen - wo gibt es das beste Schnitzel, wo die besten Kasspatzen? Oder die Currywurst im Bergwolf - die rettet dir um 3 Uhr morgens das Leben! Und wenn du mal hinter das Geheimnis gekommen bist, wie es am besten schmeckt, brauchst du nichts anderes mehr. Deswegen ist Uli Hoeneß auch Lieferant in Wembley.
Nicht ihr Ernst! Würde denn die Queen eine Hoeneß-Stadionwurst essen?
Pappert: Die mag die kleinen, die Nürnberger Rostbratwürstel. Einer 96-Jährigen sind die kleinen Würschtel mit einer weichen Laugensemmel und einem marinierten Krautsalat gerade recht. Letzte Woche hat auch Peps Frau eine ganze Kiste Würste mitgenommen. Prinzipiell gilt: Fast alles, was ich im Stadion kochen kann, kann ich auch bei Her Majesty kochen.
Sie kochen bei der Queen, kehren aber immer wieder ins Wembley zurück. Was macht für Sie die Faszination der Stadionküche aus?
Pappert: Dass es so unglaublich aufregend ist und sich immer wieder neue Herausforderungen stellen. Wäre ich Chef im Hofbräuhaus, hätte ich in etwa immer dasselbe Publikum und dieselbe Karte. Aber hier habe ich vom Hardcore-England-Fan bis zum Prince of Wales alle da. Das macht es so faszinierend. Und eben die verschiedenen Events. Als 'BTS' hier gespielt haben, habe ich hier ein Korean Barbecue und Candy Bars aufstellen lassen. Alle haben mich für verrückt erklärt. Aber ich wusste, dass es aufgehen würde. Für mich ist das wie beim Orchester in der Kirche: Du musst den Raum wahrnehmen, die Atmosphäre spüren und dir am besten schon vorher vorstellen können, wie es wird. Du musst aber auch sehen, wenn ein Glas schmutzig ist oder ein Tisch noch nicht richtig eingedeckt ist. Zur Wahrheit gehört aber auch: Wenn es hier zur Routine käme, wäre ich wahrscheinlich nach einem Jahr raus.
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Stefan Pappert ist "Lead Chef for 3 Lions for Wembley National Stadium"

Fotocredit: Eurosport

Wie läuft so ein Tag wie das FA-Cup-Finale für Sie ab?
Pappert: 5 Uhr aufstehen, wie jeden Tag. Halbe Stunde Emails. Dann mit der Tube oder mit dem Rad zum Stadion. Ab 7 Uhr werden die Starters vorbereitet: ungefähr 15.000, plus 5000 vegetarische und 2000 vegane. Dann geht's ab 10 Uhr direkt ins Kochen rein. Küchenmeetings über WhatsApp-Gruppen. Ich sage den anderen Köchen, was sie machen sollen und dann bekommen die von mir die Programme auf die Öfen gespielt. Wir werden hier bald das erste Stadion der Welt sein, das vollkommen digital kocht.
Und abends?
Pappert: Beim Fury-Fight hatten wir zum Beispiel von 17:30 bis 21:00 Uhr Service. Zwischendrin geht's immer wieder um die Versorgung der VIPs. Ich bekomme Bescheid, wer alles im Haus ist und habe auch so meine Quellen, wer wann bei mir eintrifft. So wie die hier sind, habe ich dann auch schon SMS auf dem Handy: Wir brauchen bitte vier Mal hiervon, sieben Mal das …
Tuchel ist da besonders strikt; der hat eine Essensliste, die ist zehn Seiten lang. Ich finde das komplett richtig, was er ordert: viel vegan, viel Gemüse, viele Garmethoden, die wir in Deutschland gar nicht kennen.
Klingt stressig.
Pappert: Ist es. Die Leute wollen auch, dass ich persönlich bei Ihnen bin. Ich muss mir also sehr genau überlegen, wann ich wo sein will, um mir keinen Wolf zu laufen. Ich fahre dann auch lieber mit dem Lastenaufzug, dann bin ich schneller. Oder benutze Abkürzungen, die sonst keiner kennt. Manchmal laufe ich auch mitten durch die Zuschauer durch.
Der Koch mit komplizierteren Laufwegen als die Fußballer auf dem Rasen?
Pappert: Um Längen! (lacht) Gegen Ende schaue ich dann bei den ganz großen VIPs nochmal persönlich rein und frage, ob es noch was sein darf. Und oft habe ich dann noch eine kleine Aufmerksamkeit vom Stadion dabei, zum Beispiel mit dem Wembley-Zeichen gebrandete Macarons von Pierre Hermé. Das kommt gut an, denn das macht sonst heute kaum einer mehr.
Geben denn auch die Mannschaften - beim FA-Cup-Finale jetzt der FC Chelsea mit Thomas Tuchel und der FC Liverpool mit Jürgen Klopp - Bestellungen bei Ihnen ab?
Pappert: Klaro. Tuchel ist da besonders strikt; der hat eine Essensliste, die ist zehn Seiten lang. Ich finde das komplett richtig, was er ordert: viel vegan, viel Gemüse, viele Garmethoden, die wir in Deutschland gar nicht kennen - zum Beispiel werden Blumenkohl und Karotten wie vor hundert Jahren nur gesalzen und gezuckert. Das zieht dann so durch wie die Glut durch die Shisha-Kohlen. Und man hat immer noch den vollen Geschmack. Er legt auch sehr viel Wert auf regionale und saisonale Produkte. Respekt, was er sich für Gedanken macht.
Und bei Klopp?
Pappert: Der hat Mona Nemmer, die früher beim FC Bayern war und nun bei Liverpool die Ernährungschefin ist. Die ist 1a in allen Sachen. Die weiß alles bis aufs Gramm Zucker genau und achtet sehr genau darauf, wann und wie oft gegessen wird. Die haben im Bus eine eigene Küche. Maximal eine Stunde nach Abpfiff haben alle gegessen. Das habe ich übrigens auch für Her Majesty the Queen übernommen: Die hat mittlerweile acht Malzeiten am Tag und kriegt alle zwei Stunden was - und wenn es nur ein paar Cookies und ein Ginger Shot sind. Oder ein Fruchtsaft und ein Quarkknödel. So ähnlich ist es bei den Fußballern auch. Wenn man sich beispielsweise mit Pep Guardiola unterhält, ist für ihn die Ernährung eins der wichtigsten Themen bei der Regeneration.
Welche Teams essen sonst noch bei Ihnen?
Pappert: Kommt auf verschiedene Faktoren an. Als die deutsche Nationalmannschaft zur EM hier war, konnten die kein eigenes Essen mit rüberfliegen. Also haben wir was bereitgestellt. Die Österreicher wollten Kartoffelsuppe haben, also haben wir denen Kartoffelsuppe geschickt. Es kommt auch ein bisschen darauf an, was die Leute happy macht. Spieler, die hier in England spielen, wie Timo Werner sind froh, wenn sie mal Semmelknödel, Rahmgulasch oder Filetspitzen von mir bekommen. Und wenn du am Ende noch eine Flasche Spezi mitkriegst, ist der Tag fast schon perfekt. Das lindert auch mal das Heimweh.
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