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Heinrich-Blog: Italiens WM-Qualifikations-Aus und die Folgen für das Land

Sigi Heinrich

Update 14/11/2017 um 15:13 GMT+1 Uhr

Nach dem Debakel gegen Schweden nimmt sich Eurosport-Blogger Sigi Heinrich die italienische Nationalmannschaft vor. Was bedeutet das Aus in der WM-Qualifikation für ein fußballverrücktes Land wie Italien? Die Auswirkungen des Scheiterns sind groß für italienische Wirtschaft, die Bevölkerung, die Stellung des Landes und auch für das deutsche Nationalteam. Der Sigi-Heinrich-Blog zu Italiens WM-Aus.

Gianluigi Buffon nach dem WM-Aus von Italien

Fotocredit: Imago

Unentschieden. Kein Tor. Das Ergebnis eines Fußballspiels. Kommt vor, natürlich. Nur hat dieses torlose Remis Auswirkungen, die ein Land erschüttern können.
Italien brachte im Relegationsspiel für die Weltmeisterschaft 2018 in Russland gegen Schweden keinen Treffer zustande. Die Schweden einen. Im Hinspiel. Deshalb sah man nach dem Match im legendären San Siro-Stadion erwachsene Männer weinen und schluchzen, dass man selbst glaubte, man müsse sie trösten.
Es war markerschütternd. Zum ersten Mal seit 60 Jahren wird bei der Leistungsschau der Millionäre, genannt Fußball, die "Squadra Azzurra" nicht dabei sein. Blau ist out.

Buffon tritt zurück

Gianluigi Buffon, der zweite ewige Torhüter der Italiener nach Dino Zoff, erklärte sofort seinen Rücktritt. Zuvor hatte er sich als erster seiner Mannschaft und Vorbild als Kapitän einem Interview gestellt.
Nicht nur kurz und knapp beantwortete er mit tränenerstickter Stimme die Fragen. Er stand ausführlich Rede und Antwort und war nahe dran, sich an die Schulter des fragenden Journalisten zu lehnen.
Eine Ära ging zu Ende. Nicht nur die des untadeligen Keepers Buffon, der in Russland seine sechste WM bestreiten wollte.

Legendäre Spiele gegen Italien

Italien ist erschüttert und auch wir sind traurig, denn was wäre die deutsche Nationalmannschaft in der Vergangenheit ohne Italien gewesen. Ein Gegner, gegen den es fast nur legendäre Spiele gab. Ungeachtet des jeweiligen Ausgangs, meist nicht gut für das DFB-Team, wird einem bei der Erinnerung warm ums Herz.
Das Halbfinale 1970 in Mexiko. Noch heute erinnert sogar eine Tafel im Aztekenstadion an dieses legendäre Match, das durch Gianni Rivas Treffer zugunsten Italiens 4:3 endete. Das ebenso verlorene Finale der WM 1982 in Madrid. Die Show des Paolo Rossi.
Im WM-Halbfinale 2006 hieß der Matchwinner Andrea Pirlo, der kürzlich auch zurücktrat. Und im Halbfinale der Europameisterschaft 2012 verlor Deutschland wieder gegen Italien. Das Italien-Trauma der deutschen Mannschaft ist für eine Weile ausgesetzt.

Fußball als gemeinsamer Nenner

Schweden jubelt. Man ist wieder bei einer Weltmeisterschaft dabei. Allerdings wäre der Jammer zuhause über ein neuerliches Scheitern nicht allzu groß gewesen. In Schweden steht Eishockey im Mittelpunkt und so tief in der Seele wie in Italien ist der Fußball dort nicht verankert.
Für die Italiener hingegen ist das Scheitern wie ein Synonym für das ewige Scheitern auch ihrer Regierungen.
Die Kluft wird noch immer größer zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden. Auch in Italien streut der Populismus sein Gift aus und noch immer beherrschen vor allem im Süden kriminelle Strukturen den Alltag der Menschen. Große Städte wie Rom oder Neapel ersticken in immer größer werdenden Müllbergen. Lokalparlamente sind hoffnungslos überfordert.
Das einzig noch verbindende Element von der Lombardei bis Sizilien war der Fußball. Spielte die Nationalmannschaft, konnten sich die Ultras von Lazio Rom mit den Fans von AS Rom wenigstens mal für eineinhalb Stunden auf einen gemeinsamen Nenner einigen. Aus und vorbei.

Ein Scheitern epischen Ausmaßes

Wenn nächstes Jahr die Weltmeisterschaft ausgetragen wird, werden die Kneipen leer sein. Übertragungen auf großen Plätzen, gemeinsame Partys der Fußballfans wird es nicht geben. Für wen auch.
Sponsoren werden ihre Aktivitäten überdenken. Die Auswirkungen des Scheiterns der italienischen Fußballmannschaft im Land werden massiver sein als viele glauben. Wirtschaftlich zum einen, aber noch viel intensiver werden die Menschen das Fehlen ihres Teams erst dann schmerzhaft zur Kenntnis nehmen, wenn in Moskau das erste Spiel angepfiffen wird.
Dann wird sie kommen, die große Leere und die Wut wird ihr Begleiter sein. Die Wut auf die reichen Kicker, die nichts zustande bringen. Die Wut vieler auf das Establishment. Und ausgerechnet im nächsten Jahr stehen neuerlich Parlamentswahlen an. Die Scharfmacher stehen schon im Anstoßkreis.
Es wird dann nur noch Schwarz und Weiß geben und keine Zeit mehr und eben auch keine Gelegenheit, sich gemeinsam zurückzulehnen, sich gemeinsam zu freuen. Wenigstens eineinhalb Stunden lang. Plus Halbzeit. Für die Dauer eines Matches.
Die Klammer, die die Menschen in Italien noch zusammen gehalten hat, die "Squadra Azzurra", ist zerbrochen mit dem Ergebnis eines Fußballspieles.
Unentschieden. Kein Tor. Kein Anfang. Ein Ende.
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