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WM 2022 - Holger-Badstuber-Kolumne: Lionel Messi nach Triumph mit Argentinien endgültig Fußball-Gott

Holger Badstuber

Update 19/12/2022 um 09:57 GMT+1 Uhr

Argentinien steht nach einem spektakulären Finale gegen Frankreich als Weltmeister fest. Eurosport-Experte Holger Badstuber stimmt in seiner WM-Kolumne in die Lobeshymnen über Superstar Lionel Messi mit ein. "Das war seine Krönung", schreibt der 33-Jährige. Zudem zieht Badstuber ein Fazit des Turniers in Katar, nennt seine Entdeckungen, größten Enttäuschungen und wagt eine Prognose für den DFB.

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Servus Fußball-Freunde!
WOW! Einfach nur WOW! Was wir am Sonntag sehen durften, war nichts anderes als legendär. Es war le-gen-där! So und nicht anders wird es mir in Erinnerung bleiben, denn das Duell zwischen Argentinien und Frankreich hatte einfach alles, was den Fußball für mich ausmacht. Dominanz, Comebacks, Spannung, Emotionen, fußballerische Klasse, außergewöhnliche Spieler - alles komprimiert in 120 Minuten plus Elfmeterschießen. Kein Finale, an das ich mich erinnere, war spektakulärer.
Ich gratuliere Argentinien von Herzen zum WM-Titel. Das Team hat es sich absolut verdient, weil es über das gesamte Turnier homogen aufgetreten ist, sich von euphorischen Fans im Stadion und in der Heimat hat tragen lassen. Es war eine Einheit mit guter Balance, physisch top, psychisch stabil, an der jeder Gegner abprallen musste. Dass sie aus insgesamt zwei Elfmeterschießen als Sieger hervorgingen, zeigt auch die mentale Verfassung.
Lionel Messi gönne ich den Titel besonders. Er ist der größte Fußballer, das war seine Krönung. Das Bild, wie er den WM-Pokal, die goldene Weltkugel, küsst, war an Fußball-Romantik nicht zu überbieten. Der Auserwählte, der Außerirdische, mit galaktischen Fähigkeiten gesegnet, der Vollendete, ist endgültig Fußball-Gott. Chapeau!
Es ist ihm auch gelungen, weil er sich mit 35 Jahren noch mal weiterentwickelt hat, sich für das Team aufgeopfert hat und das Team für ihn. Ich habe ihm bereits eine Kolumne gewidmet, jetzt sehe ich mich in meinem Eindruck bestätigt.
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Lionel Messi ist Weltmeister

Fotocredit: Getty Images

Mbappé gehört die Zukunft - und die Gegenwart

Frankreich muss sich am Ende nicht viel vorwerfen lassen, allerdings waren die ersten 60 Minuten zu wenig, nicht zielstrebig, nicht aggressiv, dafür harmlos und zurückhaltend, bis Kylian Mbappé loslegte. Ich fand aber gut, dass Deschamps harte Entscheidungen getroffen hat. Er ist ein ausgezeichneter Coach. Als solcher musst du Entscheidungen treffen, die wehtun. Er zieht sie durch und fährt gut damit.
Und apropos Mbappé: Was für ein unglaublicher Spieler er doch ist. Es wird kein Trost für ihn sein, dass ihm im Gegensatz zu Messi die Zukunft gehört. Mit 23 Jahren Torschützenkönig zu werden, im WM-Finale ein Dreierpack erzielen - das ist unfassbar. Eigentlich gehört ihm auch schon die Gegenwart.
Messi und Mbappé haben bei diesem Turnier als Superstars ihrem Ruf alle Ehre gemacht und sogar überperformt, auch das macht ihre Auftritte so speziell.
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Kylian Mbappé bejubelt seinen Dreierpack im WM-Finale gegen Argentinien

Fotocredit: Getty Images

Über der Wüsten-WM lag ein dunkler Schatten, der sich bis heute nicht verzogen hat.
Ob es deshalb die "beste WM aller Zeiten" gewesen ist? Für FIFA-Präsident Gianni Infantino vielleicht. Für mich war es die politischste WM aller Zeiten. Über der Wüsten-WM lag ein dunkler Schatten, der sich bis heute nicht verzogen hat.
Machen wir uns nichts vor: Katar wird sich nicht so schnell verändern, wie wir es gerne gesehen hätten. Das Land hat es auch geschafft, sich ein gut strukturiertes Turnier mit viel sportlichem Wert zu kaufen. Das Invest, das Konzept, hat sich global gesehen rentiert - Applaus möchte ich den Verantwortlichen keinen geben. Die Vergabe dorthin bleibt ein Streitfall. Wichtig und positiv fand ich, dass es keine großen Ausschreitungen vor Ort gab und die Organisation gut war.
Der sportliche Wert war aber auch der Grund für mich, warum ich viele Spiele intensiv verfolgt habe. Ich bin lange Profi gewesen, ich liebe den Fußball, er war und ist mein Leben. Und ich war nicht bereit wegzuschauen, als Deutschland ums Achtelfinale zitterte, wie Messi zauberte, Kroatien die Brasilianer besiegte und Marokko als Mannschaft begeisterte. Jeder hatte die Wahl, die Fernbedienung in die Hand zu nehmen oder eben nicht.

Zwei Marokkaner sind die Entdeckungen des Turniers

In Deutschland war das Interesse am Turnier nach TV-Quotenmessungen deutlich geringer als bei anderen Weltmeisterschaften, das ist ein Statement. Wir sind ein Land, das vieles kritisch beobachtet, auch diese Perspektive muss erlaubt sein. In anderen Ländern wurden dagegen Rekorde gebrochen, in den USA, in Japan, aber auch in den Niederlanden war die Begeisterung groß. Von der sportlichen Brisanz her betrachtet, ist das nachvollziehbar, weil ich sie auch gefühlt habe.
An dieser Stelle geht ein großes Lob an das Team von Marokko. Nach den ersten Eindrücken hatte ich schon das Gefühl, dass die Mannschaft - getragen von ihren fanatischen Fans - weit kommen kann, weil sie als Einheit funktioniert hat. Herausgestochen sind nicht nur die individuellen Künstler, sondern vor allem die Leistung im Verbund, die es dem Gegner unheimlich schwer gemacht hat, zu Toren zu kommen.
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Sofyan Amrabat (Marokko) bejubelt mit seinen Mitspielern den WM-Halbfinaleinzug

Fotocredit: Getty Images

Über zwei Spieler, die für mich zu den Entdeckungen des Turniers gehören, werden wir künftig wohl noch viele Transfergerüchte lesen: Sofyan Amrabat und Azzedine Ounahi. Amrabat ist ein defensiver Arbeiter, wie er jeder Mannschaft guttut, während Ounahi für den künstlerischen Touch zuständig ist. Er verteilt die Bälle mit einer Leichtigkeit, die imponiert.
Marokko steht auch symptomatisch dafür, was ein erfolgreiches Team in diesen Zeiten bei solch einem Turnier erfolgreich macht. Egal welches System gespielt wurde, eine stabile Achse ist wichtiger denn je. Es ist elementar, dass die letzten Reihen sich finden und die einzelnen Spieler miteinander vertraut sein müssen. Das Umschaltspiel ist das effektivste Mittel bei einem Turnier. Der Spruch, dass Defensive beziehungsweise das Defensivverhalten Titel gewinnt, ist nicht nur eine alte Weisheit, sondern hat sich als die entscheidende Richtlinie erwiesen.
Neben Belgien ist die deutsche Nationalmannschaft absolut größte Enttäuschung.
Leider hat ausgerechnet die deutsche Nationalmannschaft diese nicht befolgt. Neben Belgien ist sie die absolut größte Enttäuschung. Wir müssen uns jetzt an die eigene Nase fassen, alles hart hinterfragen und von Grund auf vieles verändern. Expertise muss auch ins Präsidium geholt werden, noch dazu über den Tellerrand hinausgeschaut werden, damit unsere Tugenden, die uns einst stark gemacht haben, wieder mehr gefördert werden. Wo ich die größten Defizite sehe, habe ich bereits in einer meiner Kolumne geschrieben.
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Serge Gnabry (Deutschland) im WM-Spiel gegen Japan

Fotocredit: Imago

Ich hoffe, dass der Prozess schnellstmöglich eingeleitet wird, doch ich befürchte, dass die Entwicklung hin zur Verbesserung viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Die EM 2024 im eigenen Land steht schon vor der Tür. Es klingt hart, aber Deutschland wird dabei nicht als Top-Nation an den Start gehen und keine Favoritenrolle einnehmen. Nach drei erfolglosen Turnierteilnahmen haben wir uns diese verspielt.
Zum Schluss noch eines: Es war die WM von Lionel Messi, nicht von Cristiano Ronaldo. Er hat sich selbst negativ in die Schlagzeilen gebracht. Das fing mit Manchester United an und ging in Katar weiter. Ich werde jedoch nicht auf ihm herumhacken wie andere derzeit. Er ist für mich weiterhin einer der Größten, diesen Respekt werde ich ihm auch weiter entgegenbringen. Wir als Fußball-Liebhaber sollten froh und dankbar sein, dabei gewesen zu sein, wie CR7 und Messi gemeinsam eine Ära geprägt haben.
Ich bedanke mich euer Interesse an meiner Kolumne und freue mich auf alles, was kommt.
Bis bald!
Euer Holger Badstuber

Zur Person Holger Badstuber

Holger Badstuber spielte von 2010 bis 2015 insgesamt 31 Mal für die deutsche Nationalmannschaft. Mit dem FC Bayern München wurde er sechsmal Deutscher Meister und gewann 2013 die Champions League. Für Eurosport ist er Experte für die WM 2022 in Katar.
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