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Chaos beim Giro: Was folgt am Mittwoch zur 17. Etappe auf die Last-Minute-Entscheidung zur Verkürzung von Livigno?

Felix Mattis

Publiziert 21/05/2024 um 22:36 GMT+2 Uhr

Die Verkürzung der 16. Etappe beim Giro d'Italia und das Streichen des 2498 Meter hohen Umbrailpasses sowie vorher des Passo di Eira (2210 m) und des Passo di Foscagno (2281 m) zu Beginn des eigentlich in Livigno beginnenden Teilstücks war die richtige Entscheidung. Da waren sich die meisten einig. Doch die Art und Weise, wie es dazu kam, hat eine neue Debatte ausgelöst – über Mitspracherecht.

Diskussion um Giro-Verkürzung: "Entscheidung dürfen nicht die Fahrer fällen"

Als sich das Peloton am Dienstagvormittag um 11:20 Uhr in Livigno eigentlich auf den Weg machen sollte, um die 16. Etappe der 107. Italien-Rundfahrt in Angriff zu nehmen, standen die Räder still. Niemand wusste zu diesem Zeitpunkt, ob und wo und wie an diesem Tag ein Radrennen beim 'Corsa Rosa' gefahren werden würde.
"Es war ein komischer Start. Wir wussten nicht genau, was wir tun sollen", sagte Giro-Leader Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) im Tagesziel über die Situation einige Stunden zuvor und der Gesamtsechste Thymen Arensman (Ineos Grenadiers) pflichtete bei: "Das war ein sehr verwirrender Start heute – nicht ideal. Aber ich bin froh, dass wir als Fahrer uns einig waren und so können wir für die Zukunft daraus lernen."
Denn im von Regen über Schneeregen, bis hin zu dicken Schneeflocken übergehenden Wetter-Chaos im Ski-Ort rund 1900 Meter über dem Meer, war zum eigentlichen Start-Zeitpunkt des Teilstücks niemand im Klaren darüber, was als nächstes passieren würde.
Erst gut zehn Minuten danach kam endlich die Ansage, die aus Sicht von Fahrern und Teams ohnehin unumgänglich und längst überfällig gewesen war: Die Etappe wurde verkürzt, Eira, Foscagno und Umbrail gestrichen und der Start ins Tal nach der Umbrail-Abfahrt nach Laas verlegt.
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Pogacar in Livigno: "Dann müssen wir hoffen, dass nichts passiert"


Giro-Veranstalter bietet keinen guten Kompromiss

Einen Etappenbeginn auf der anderen Seite der Alpen-Riesen ums Stilfserjoch hatten einige schon Tage zuvor angeregt, als es darum ging, dass der Passo dello Stelvio wegen Lawinengefahr nicht befahrbar sein würde. Da aber hielten die Giro-Organisatoren am Start im wohl gut zahlenden Ruhetags-Etappenort Livigno fest, fanden im 260 Meter tiefer gelegenen Umbrailpass eine in ihren Augen gute Möglichkeit, das Stilfserjoch zu umgehen.
Als sich am Ruhetag, dem Montag, die Wettervorhersage für die 16. Etappe aber verdunkelte und Schneefall bei 2 Grad am Umbrailpass angekündigt wurde, schrillten im Peloton die Alarmglocken. Die Teamvereinigung AIGCP ließ abstimmen und alle Rennställe votierten einstimmig dafür, einen Start erst nach dem Umbrailpass anzustreben.
Auch die Fahrer-Gewerkschaft CPA schloss sich diesem Gedanken an und deren Präsident Adam Hansen veröffentlichte am Dienstagmorgen via "X" ein Statement, dass er sowohl den Giro-Verantwortlichen als auch dem Radsport-Weltverband UCI geschickt hatte. Die Fahrer würden die Etappe nicht wie geplant fahren wollen, das sei zu gefährlich, so die Message in Kurzform.
Am Dienstagmorgen um 9:00 Uhr kam es, wie schon am Vortag, erneut zu einem Meeting der verschiedenen Interessensvertreter, aber der Giro hielt an seinem Plan fest, die Etappe in Livigno zu starten. Als Kompromiss-Versuch wollte man das Rennen am Gipfel des Umbrailpass stoppen und die Fahrer dort frische, warme Kleidung anziehen lassen. So der Entschluss von 10:00 Uhr.
Das aber bezeichneten Fahrer und Teams als "Shit-Show" und lehnten ab. Erst rund anderthalb Stunden später lenkte RCS Sport als Giro-Veranstalter ein und kam dem Wunsch von Teams und Fahrern nach – da hatte es auch in Livigno gerade zu schneien begonnen.  

"Entscheidung richtig, Weg dorthin fragwürdig"

"Die Entscheidung, nicht zu fahren, war ohne Frage die richtige", beurteilte Eurosport-Experte und Bora-hansgrohe-Sportdirektor Rolf Aldag später im Velo Club bei Eurosport. Doch der 55-jährige Ex-Profi merkte auch an: "Den Weg zu der Entscheidung fand ich aber mehr als fragwürdig. Die Fahrer können sich nicht darauf berufen: Wir haben eine Abstimmung gemacht und uns dagegen entschieden."
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Aldag erklärt: Verkürzung wird für Teams zum Logistik-Problem

Aldag erklärte, es fehle an einer neutralen Instanz, die solche Entscheidungen trifft. "Es gibt Fakten, es gibt eine Sachlage und die bestand ja schon früher. Und da muss jemand, der nicht das Veranstalter-Interesse hat, nämlich monetär einen Startort hinter sich hat und auch nicht das reine Rennfahrerinteresse hat, sondern beides in Erwägung zieht, neutral entscheiden. Und das kann früher passieren, muss früher passieren", kritisierte er.
Eurosport-Experte Jens Voigt meinte: "Gestern war Ruhetag und da hätten sich alle zusammensetzen und sagen können: Das ist der Plan. Dann hätte man mit einer Stimme gesprochen, aber das ist nicht passiert und da sieht der Radsport einfach ungünstig aus. Das ist nicht gut gelaufen."

Voigt: "Fahrer sind der wichtigste Teil"

Der 52-jährige Berliner schlug sich bei der Diskussion aber voll auf die Seite der Fahrer, betonte die Gefahr, die von einer Alpen-Abfahrt bei Eiseskälte und Nässe sowie glatten und matschigen Straßen ausgeht. "Ich finde es gut, dass die Fahrer eine Abstimmung gemacht haben. Die Sportler sind der wichtigste Teil. Ich finde es gut, dass die Fahrer jetzt mehr Gewicht mit ihrer Stimme haben", erklärte er.
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"Dinosaurier!" O'Connor schimpft gegen Organisatoren nach Giro-Chaos

Aldag entgegnete: "Natürlich sind die Rennfahrer die Hauptdarsteller, aber ohne Bühne gibt's kein Theater. Man muss verstehen: Die ASO verdient als Ausrichter der Tour de France Geld damit, RCS verdient beim Giro auch Geld damit. Aber die meisten anderen Veranstalter machen es im Sinne des Sports. Wenn jetzt die Hauptdarsteller kommen und sagen: 'Wir haben gar kein Interesse mehr, so richtig Spaß macht es uns nicht, im Regen zu fahren', wird es schwierig. Ich habe komplettes Verständnis, dass die Rennfahrer eine Position beziehen. Aber die Entscheidung darf nicht durch die Rennfahrer getroffen werden, sondern muss neutral getroffen werden – auch nicht durch den Veranstalter. Wenn die Veranstalter sagen: 'Leute, wir müssen auch gar keine Rundfahrt mehr machen', wird es auch schwierig."

Was passiert am Mittwoch auf Etappe 17?

Letztlich scheint klar: Die Lösung, die am Dienstag in letzter Minute gefunden wurde, war für diesen Tag die richtige. Die Diskussionen darum aber, und der Zeitpunkt, zu dem sie kurz vor dem geplanten Rennstart stattfanden, warfen wieder mal ein schlechtes Bild auf den Radsport.
Man darf daher gespannt sein, was am Mittwoch passiert. Denn auch für die 17. Etappe ist viel Regen vorhergesagt und die Temperaturen steigen am 2244 Meter hohen Passo Sella zu Etappenbeginn auch nur auf fünf bis sieben Grad.
CPA-Präsident Adam Hansen reagierte auf eine Nachfrage von Eurosport, inwiefern denn bereits Diskussionen laufen würden, am Dienstagabend zunächst nicht.
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Giro-Strecke: Profil 17. Etappe - ein echter Dolomiten-Klassiker


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