Refugees' Voice: Eyeru Gebru erobert die große Bühne - vom Schrecken des Krieges bis zu den Olympischen Spielen

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VonEurosport

Update 09/04/2024 um 16:51 GMT+2 Uhr

Eyeru Gebru hat sich ihren Traum vom professionellen Radsport erfüllt. Für die 26-Jährige, die dem Schrecken des Krieges in ihrer äthiopischen Heimat entflohen ist, gibt es nach oben aber keine Grenzen mehr: "Ich glaube wirklich, dass das Radfahren mein Leben gerettet hat." In der Eurosport-Serie "Refugees' Voice" erzählt sie ihre Geschichte von der Geflüchteten zur Profi-Radsportlerin.

Gebru sendet emotionale Nachricht an Flüchtlinge: "Gebt niemals auf"

Eyeru Gebrus Liebe zum Radsport begann, als sie mit 16 Jahren zum ersten Mal Fahrrad fuhr.
Zehn Jahre später befindet sie sich auf der Mission, bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris zu starten.
In den vergangenen zehn Jahren wurde Gebrus Leben jedoch auf tragische Weise auf den Kopf gestellt, als sie - wie Tausende andere Äthiopier - Opfer der Verwüstungen des Tigray-Krieges wurde.
In der neuesten Ausgabe von Refugees' Voice erzählt Gebru, wie sie ihren Traum verfolgte, eine Radsportlerin auf internationalem Niveau zu werden, und wie ihr die Liebe zum Sport inmitten des Krieges Hoffnung und Kraft gab:
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Eyeru Gebru - Refugees' Voice - Image credit: Juliette Landon

Fotocredit: Eurosport

Liebe Sportfreunde,
Als ich sechs Jahre alt war, ging ich zu Fuß zur Schule und sah die Radrennfahrer in meiner Stadt. Ich hörte ihre Namen und träumte davon, eines Tages so zu sein wie sie. Aber Fahrräder waren teuer und wir konnten uns keines leisten.
Im Alter von 16 Jahren verdiente ich ein wenig Geld, um meiner Mutter zu helfen. Damals mietete ich ein Fahrrad in unserer Nachbarschaft und lernte so das Radfahren. Ich fand es wirklich schwer - aber es war so cool!
Ich war mit meinen Freunden unterwegs und bin oft gestürzt - ich weiß noch, dass ich mich manchmal vor meiner Mutter versteckt habe, damit sie sich keine Sorgen machte.
Mit 17 half mir ein Lehrer an meiner Schule, einem Verein in meiner Stadt beizutreten. Der Klub schenkte mir mein erstes eigenes Fahrrad und ich begann, richtige Rennen zu fahren. Nach etwa sechs Monaten wurde ich für ein Team in der Stadt Mek'ele nominiert.
Mek'ele war ziemlich weit von mir entfernt, aber ich zog dorthin und lebte mit meinen anderen Teamkollegen in einem Lager. Das Team zahlte mir ein Gehalt und unterstützte mich auch bei meinem Studium.

Debüt in der Nationalmannschaft: Gebrus harte Arbeit zahlt sich aus

2015 wurde ich in die Nationalmannschaft für die Afrikameisterschaften in Südafrika berufen. Das war damals eine große Sache, denn es war das erste Mal seit vielen Jahren, dass Frauen die Möglichkeit bekamen, an Wettkämpfen teilzunehmen.
Damals war ich 19 Jahre alt und fuhr in der U23-Kategorie. Zuvor war ich noch nie mit Junioren oder mit Gleichaltrigen gefahren, also begann ich einfach in der Elite-Kategorie. Es war ein großes Etappenrennen und das erste Mal, dass ich in einem großen Pulk von Fahrern fuhr.
In meinem Land war ich es gewohnt, mit 20 Mädchen auf großen Straßen und bei guten Wetterbedingungen zu fahren, also war es wirklich hart, aber eine gute Erfahrung. Ich habe es wirklich genossen und war sehr glücklich, dabei zu sein. Aber es war auch etwas Besonderes für mich, weil ich das Gefühl hatte, dass ich sehr hart gearbeitet hatte, um dabei zu sein. Ich gebe immer alles, um meine Ziele zu erreichen - auch wenn es lange dauert.
Dort habe ich mein Vorbild Ashleigh Moolman Pasio. Als ich mit dem Radsport anfing, hörte ich oft ihren Namen, weil sie in Europa Rennen fuhr und aus Südafrika kam, also sagte ich mir, dass ich so werden wollte wie sie. Inzwischen unterhalten wir uns, wenn wir uns bei Radrennen über den Weg laufen. Sie ist unheimlich freundlich.
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Ashleigh Moolman bei der Vuelta a la Comunitat Valenciana Féminas 2023

Fotocredit: Getty Images

Meine Erfahrungen bei den Afrikameisterschaften haben meine Liebe zum Radsport noch verstärkt und mir gezeigt, was ich erreichen möchte. In meinem Land gibt es Weltmeister und Olympiasieger. Die Athleten kommen aus verschiedenen Regionen - die Läufer aus dem Süden und die Radfahrer aus dem Norden, wo ich herkomme. Es kamen schon immer Rennradfahrer aus meiner Region und einige sind in den weltbesten Mannschaften. Also wusste ich, dass es möglich sein könnte.
Ich bin besonders stolz darauf, dass ich den Radsport meinem Studium vorgezogen habe. Meine Mutter hat mich dahingehend immer unterstützt, aber mein Vater war - wie viele andere Menschen in meinem Land - der Meinung, dass man ein Studium absolvieren muss, wenn man ein gutes Leben führen will. Ich liebte die Schule und hatte die Möglichkeit zu studieren, aber meine Mutter sagte, es sei meine Entscheidung.
Mama hat alles für mich getan und eine Menge geopfert. Es war nicht leicht für sie, mich zur Schule und zurück zu bringen, aber sie hat mir immer geholfen. Ich habe mich für den Radsport entschieden und ich bereue meine Entscheidung nicht.
Nach den Afrikameisterschaften 2017 fuhr ich weiter für mein Land und wurde im gleichen Jahr zu einem Trainingslager der UCI in Europa eingeladen. In diesem Jahr hatte ich in Bergen mein erstes WM-Rennen und wurde dann Teil des WCC-Teams. [Das WCC wird von der UCI im World Cycling Centre in der Schweiz verwaltet und hat zum Ziel, junge Radsportler auf der ganzen Welt zu fördern; Anm.d.Red.].

Gebrus Heimat versinkt im Krieg

Ich blieb drei Jahre lang bei WCC. Als ich 2020 die Saison beendete, ging ich für die wettkampffreie Zeit nach Hause. Aber in meinem Land begann der Krieg. Er fand zwischen meiner Region und dem Rest Äthiopiens statt, es war schrecklich. Wir haben viele Menschen verloren - Familienmitglieder und Freunde. Ich werde sehr emotional, wenn ich daran denke. Ich war in einer anderen Stadt als meine Mutter und meine Familie und konnte sie nicht besuchen, weil alles blockiert war - das Internet, die Telefone... Es war wirklich schwer.
Nach acht Monaten bin ich aus Äthiopien geflohen, weil mein Verband sagte, dass ich an den Weltmeisterschaften in Belgien teilnehmen könnte. Aber anstatt nach Belgien zu gehen, landete ich in Nizza in Frankreich. Ich wechselte mein Telefon, beantragte Asyl und erhielt im Juli meinen Flüchtlingsstatus. In Nizza half man mir, eine Unterkunft zu finden, und es gab freiwillige Lehrer, die uns dabei unterstützen, Französisch zu lernen.
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Eyeru Gebru: "Der Radsport ist mein Ein und Alles"

Aufgrund der schwierigen Situation in meinem Land musste ich für zwei Jahre mit dem Radfahren aufhören. Ich konnte weder trainieren noch an Wettkämpfen teilnehmen. Im Dezember erhielt ich jedoch dank meines alten Trainers und des französischen Olympischen Komitees ein IOC-Flüchtlingsstipendium, sodass ich wieder mit meiner Passion beginnen konnte. Ich war so glücklich, dass ich es kaum glauben konnte.
Bei allem, was in den letzten beiden Jahren passiert ist, war es der Radsport, der mir die Kraft gab. Ich dachte immer daran, dass vielleicht im nächsten Monat oder nächstes Jahr alles wieder besser wird und ich damit wieder loslegen kann.
Es war eine harte Zeit für mich, weil ich immer noch nichts von meiner Familie hörte und ich nicht wusste, ob es ihnen gut geht. Als ich aber schließlich dieses Stipendium bekam, habe ich plötzlich geglaubt, dass Träume doch wahr werden.

Aufstieg in die World Tour: "Ich bin glücklich!"

Jetzt bin ich Teil der französischen Mannschaft Grand Est-Komugi-La Fabrique. Es ist ein neues kontinentales Team und wir nehmen an namhaften UCI-Rennen und manchmal an der World Tour teil - alles ist gut, ich bin glücklich! Wir sind alle aus verschiedenen Nationen, was wirklich cool ist. Eine von ihnen - Fernanda Yapura aus Argentinien - ist sogar meine Freundin, die ich im WCC-Team kennengelernt habe.
Ich bin in der Höhe aufgewachsen, deshalb fahre ich gerne bergauf. Ich möchte mich wirklich auf meine Stärken konzentrieren und mit den besten Kletterern mithalten können. Im Team absolvieren wir verschiedene Rennen im Jahr. Wenn es also ein Wettkampf auf bergiger Strecke ist und ich mich gut fühle, helfen mir meine Teamkollegen. Wenn es ein Sprintrennen ist, helfe ich ihnen, indem ich mich in eine gute Position bringe und ihnen Flaschen reiche.
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Eyeru mit ihren Teamkolleginnen Solbjørk Minke Anderson (rechts) und Fernanda Yapura (links) - Foto credit: Juliette Landon

Fotocredit: Eurosport

Ich habe etwas mehr als ein Jahr lang in Nizza gelebt. Aber seit März bin in der Nähe von Nancy wohnhaft. Ich bevorzuge das Training in Nizza, weil Nancy ziemlich flach ist, deshalb fahre ich immer noch zu Trainingslagern in den Bergen nach Nizza und Monaco. Dort habe ich auch Lizzie Deignan kennengelernt - das war ein Traum für mich.
Ich habe ihr immer bei den Wettkämpfen zugeschaut und sie bewundert. Sie hat mir viel geholfen und mir Ratschläge zur mentalen Stärke gegeben, denn es war wirklich schwer für mich, nach meiner Pause wieder mit dem Rennsport zu beginnen. Sie hilft mir oft und sie ist so nett zu mir. Ich habe sie zuletzt im Juni bei der Tour de Suisse gesehen, sie ist einfach ein großartiger Champion.
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Lizzie Deignan bei der Tour de Suisse 2023 nach ihrer Rückkehr auf die große Bühne im Anschluss an die Geburt ihres zweiten Kindes

Fotocredit: Getty Images

Vor dem Stipendium war es mein Traum, wieder Rad zu fahren, aber mittlerweile ist mein Traum noch größer geworden. Mein nächstes großes Ziel sind die Olympischen Spiele. Als ich jung war, hörte ich viel von Olympia, weil es in meinem Land so viele Läufer gibt. Und jetzt habe ich dank des Stipendiums vielleicht die Möglichkeit, nach Paris zu fahren. Ich werde alles tun, was ich kann, um mich zu qualifizieren und das Refugee Olympic Team zu vertreten.
Ich glaube wirklich, dass das Radfahren mein Leben gerettet hat. Ich kann es nicht in Worte fassen. Vorher war es mein Traum und meine Leidenschaft, aber jetzt ist es mehr als alles andere. Es ist wie meine größte Stärke. Hier habe ich niemanden, ich bin weit weg von meiner Familie, und das Einzige, was ich habe, ist mein Traum und die Liebe zum Radsport. Das macht mich noch entschlossener, gut darin zu sein und meinen Traum zu verwirklichen.
Refugees' Voice wird im Vorfeld von Paris 2024 jeden Monat einen anderen Flüchtlingssportler vorstellen, der ein Stipendium erhalten hat. Derzeit gibt es 53 Stipendiaten im Rahmen des Refugee Athlete Support Programme, das von der Olympic Refugee Foundation verwaltet und von Olympic Solidarity finanziert wird. Alle 53 Athleten hoffen, sich für die Spiele zu qualifizieren und als Teil des IOC Refugee Olympic Teams in Paris 2024 anzutreten.
Folgt Eyeru und ihrer Reise auf @eyerutesfoam und folgt @refugeeolympicteam für aktuelle Informationen rund um alle Stipendiaten.
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