Tour de France Femmes - Ricarda Bauernfeind im Interview: "Dafür lohnt sich jeder Schmerz"

Ricarda Bauernfeind hat bei der Tour de France der Frauen die Fans mit einem emotionalen Etappensieg begeistert. Im Interview zieht sie Bilanz ihrer Premiere bei der Frankreich-Rundfahrt und blickt voraus Richtung Rad-WM. Den Solo-Triumph am fünften Tag der Frauen-Tour habe sie erst jetzt komplett realisiert, so die 23-Jährige, die sich von den Reaktionen auf ihren Coup überwältig zeigt.

Zweiter deutscher Tagessieg! Bauernfeind fährt allen davon

Quelle: Eurosport

Der triumphale Etappensieg in Albi ist jetzt einige Tage her, wird einem mit etwas Abstand jetzt erst so richtig bewusst, was Ihnen dort gelungen ist?
Ricarda Bauernfeind: Ja! Als ich jetzt nach meiner Rückkehr alles ausgepackt habe und in jeder Tasche steckte noch etwas, vom Kuscheltier der Siegerehrung über die Mannschaftsmedaille bis zu Trikots. Da merkt man dann plötzlich: Das ist alles meins, das habe ich erreicht, zusammen mit meinem Team, dieser Erfolg ist real! Ich hätte davor niemals gewagt, einen Etappensieg bei der Tour auch nur als Ziel für meine ganze Karriere zu haben, das wäre mir nie in den Sinn gekommen.
Welche Reaktionen haben Sie auf den Etappensieg bekommen?Bauernfeind: Ich realisiere erst jetzt so richtig, wie groß die Reichweite war, weil mir so viele Leute schreiben oder mich darauf ansprechen. Meine ganze Heimatstadt Eichstätt hat mitgefiebert und man hat mir jetzt auch einen eigenen Empfang bereitet. Ich freue mich total, dass so viele bei der Tour im Fernsehen zugeschaut haben, gerade auch Leute, die sonst noch nie Frauenradsport verfolgt haben, und dass ich sie jetzt dafür begeistern konnte.
Der Unterschied zwischen der Tour und allen anderen großen Rennen, bei denen Sie ja auch schon glänzen konnten, ist da also offenbar enorm…Bauernfeind: Ja, auf alle Fälle. Ich wusste, dass die Tour etwas anderes sein würde als etwa die Vuelta. Aber das dieses Rennen solche Ausmaße hat und dann für mich selbst so besonders werden würde, ist schon gigantisch. Ich hätte mir keine bessere Tour vorstellen können.
Solche Erfolge wie jetzt sorgen sicher auch dafür, dass man sich als ehrgeizige Athletin neue Ziele setzt für die weiteren Karriereschritte…
Bauernfeind: Klar, man macht sich Gedanken, was in den nächsten Jahren möglich sein könnte. Konkrete Ziele habe ich mir aber nicht gesetzt. Für 2024 liebäugle ich mit einem Start bei Olympia in Paris. Aber zu sagen, mein Ziel ist es, Tour-Gesamtsiegerin zu werden, das ist mir doch ein bisschen zu unrealistisch. Ich hoffe einfach, dass meine Entwicklung in den nächsten Jahren so weitergeht wie zuletzt. Der Erfolg gibt dafür einfach Motivation und zeigt, dass sich die ganze Arbeit, auch manche Träne, wirklich lohnt. Die Erinnerung an die Emotionen durch diesen Sieg, auch die beim ganzen Team, macht mir immer noch Gänsehaut – für diese Momente lohnt sich jede Minute des Schmerzes.
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Ricarda Bauernfeind jubelt bei der Tour de France Femmes 2023 über ihren Etappensieg

Fotocredit: Getty Images

Die Reaktionen auf Ihren Triumph waren schon enorm, aber würde ein Sprung ins Gelbe Trikot nochmals ein neues Niveau an Aufmerksamkeit für den Frauenradsport bedeuten?
Bauernfeind: Definitiv. Aber schon das, was wir deutschen Fahrerinnen in der letzten Woche erreicht haben mit den Etappensiegen von Liane Lippert und mir war super für den deutschen Frauenradsport und hat uns viel Präsenz in den Medien verschafft. Die ganze Bilanz von uns sechs Tour-Starterinnen zeigt, dass wir deutschen Fahrerinnen absolut mithalten können.
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"Zieh Liane": Lippert gewinnt sensationell die 2. Etappe

Quelle: Eurosport

DieKönigsetappe zur Bergankunft am Tourmalet war das Highlight der Tour– wie war das Erlebnis an den berühmten Anstiegen der Pyrenäen?
Bauernfeind: Von meiner eigenen Leistung war ich auf dieser Etappe etwas enttäuscht. Im Flachstück zwischen dem Col d’Aspin und dem Schlussanstieg zum Tourmalet hatte ich zu kämpfen, dass mir nicht die Tränen kommen, weil ich den Anschluss verloren hatte. Das war für mich wie eine Niederlage. Zum Glück habe ich mich am Tourmalet wieder fangen können und noch aus meiner Gruppe heraus beschleunigt und versucht, wieder Zeit gutzumachen und Plätze in der Gesamtwertung aufzuholen.
Wie war das Erlebnis am Anstieg mit Fanmassen, wie sie im Frauenradsport die absolute Ausnahme sind?
Bauernfeind: So etwas habe ich noch nie erlebt! Der ganze Tourmalet, aber besonders die letzten fünf Kilometer, waren einfach wie man es sonst nur aus dem Fernsehen kennt. Außerdem war es so neblig, dass man einfach in diese Menschenmasse reingefahren ist, ohne zu wissen, wo man rauskommt. Es war etwas ganz Besonderes, natürlich auch extrem anstrengend und ich bin am Ende wirklich bis ans Limit gegangen, aber es hat sich gelohnt.
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Ricarda Bauernfeind bei der Tour de France Femmes 2023

Fotocredit: Imago

Was macht ein solches Fanspalier mit einem, wenn man es auf dem Rad erlebt – setzt das tatsächlich die oft beschworenen zusätzlichen Energien frei?
Bauernfeind: Ja – ich konnte mir das auch nie vorstellen, dass fremde Leute, die einen anschreien, einen so pushen können! Es ist wirklich Wahnsinn, auch wenn man es nicht zu 100 Prozent realisiert, weil man auch noch auf die Straße und seinen Weg schaut. Aber kurz danach, wenn das Rennen vorbei ist, dann kommen die ganzen Bilder wieder: Wie die Fans ausgeflippt sind, auch bei den hinteren Fahrerinnen, das war Hammer und ist unbeschreiblich.
Bei der Tour de France der Männer gab es auch unschöne Szenen, wenn die Fans den Fahrern zu nah kamen und sogar Stürze auslösten: Wie waren da Ihre Erfahrungen?
Bauernfeind: Für mich war es natürlich ungewohnt, weil ich das so zum allerersten Mal erlebt habe. Aber ich war nie in einer Situation, wo es zu eng gewesen wäre, auch wenn man durch den Nebel gar nicht wusste, ob da zehn Meter vor einem jemand steht oder einer über die Straße läuft. Die Fans waren bei uns sehr respektvoll, haben uns bis ans Limit gepusht, aber im letzten Moment immer Platz gemacht und man konnte wirklich sein Rennen fahren.
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Nächster Sturz-Schock: Zuschauer löst schweren Massencrash aus

Quelle: Eurosport

Sie haben neben dem Aspin und Tourmalet in anderen Rennen auch schon weitere berühmte Berge wie den Col du Soulor oder den Anstieg zu den Lagos de Covadonga bezwungen. Gibt es Pässe, die Sie besonders locken, die Sie gerne im Rennprogramm bei Tour, Vuelta oder Giro Donne sehen würden?
Bauernfeind: Tatsächlich kenne ich mich mit den Anstiegen nicht so besonders aus (lacht). Aber ich hoffe natürlich, dass auch in Zukunft immer mindestens eine Etappe mit einem solchen Profil dabei ist. Für uns Fahrerinnen wie auch die Zuschauer gehört das einfach dazu. Solche Anstiege hochzufahren und diese Nähe zum Publikum zu haben, ist ganz besonders. Also gerne in jeder Rundfahrt einen solchen Berg – aber spezielle Vorlieben habe ich nicht.
Wie stehen Sie zu einer jetzt teilweise geforderten Verlängerung der Frauen-Tour über die derzeit acht Tage hinaus auf zwei oder gar, wie bei den Männern, drei Wochen?
Bauernfeind: Für mich persönlich war das jetzt die bislang längste Rundfahrt und die Müdigkeit spürt man jetzt im Anschluss schon. Aber das ist ja für alle gleich und es wäre interessant, mal zwei Wochen auszuprobieren, dann ja auch mit einem Ruhetag. Drei Wochen finde ich extrem lang, aber das würde ich trotzdem fahren, das wäre neu und aufregend. Aber wir bräuchten dann im Frauenradsport größere Teams mit mehr Fahrerinnen, aber auch mehr Betreuern, Mechanikern usw. – denn für die ist es noch anstrengender als für uns.
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Ricarda Bauernfeind

Fotocredit: Getty Images

Es geht jetzt mit der WM in Glasgow direkt mit dem nächsten Höhepunkt weiter. Letztes Jahr gewannen Sie in der U23-Klasse zwei Medaillen, mit welchen Erwartungen geht es für Sie und das ganze deutsche Frauenteam nach Schottland?
Bauernfeind: Eigene Erwartungen habe ich nicht, denn die Strecke im Straßenrennen dort ist einfach kein Kurs für mich, sehr verwinkelt und mit kurzen Anstiegen. Wir haben aber mit Liane Lippert eine Topfavoritin dabei, der das perfekt liegt - für sie werde ich arbeiten. Im Mannschaftszeitfahren lasse ich mich überraschen, da hängt viel davon ab, wie die anderen Teams aufgestellt sind und welche Männer dort im Mixed mit antreten. Aus deutscher Sicht haben wir auch Titelambitionen im U23-Rennen, wo Antonia Niedermaier supergute Chancen hat. In den Straßenrennen gehören wir also beide Male zu den Favoritinnen.
Antonia Niedermaier, Ihre Teamkollegin bei Canyon // SRAM Racing, hatte beim Giro der Frauen mit dem Sieg auf der Königsetappe bis zu ihrem Sturz beste Chancen auf einen Podestplatz. Können wir uns in Zukunft auf ein bayerisches Duo freuen, das auch im Gesamtklassement der größten Rundfahrten vorne mitmischt und damit die Fans noch mehr zum Mitfiebern animiert?
Bauernfeind: Also Antonia ist sowieso der Wahnsinn mit ihrem Weg vom Skibergsteigen zum Radsport – wo sie nach nur drei Jahren schon fährt! Ich bin froh, dass sie bei uns im Team ist und wir verstehen uns auch richtig gut. Es kommt also auf jeden Fall bayerische Frauenpower nach! Wir sind vom Fahrertyp sehr ähnlich mit unserer Vorliebe für lange Anstiege und für die Zukunft beide auch Fahrerinnen für die Gesamtwertung – und die verfolgt man tatsächlich dann auch bei jeder Etappe. Es ist gut für den deutschen Frauenradsport, dass wir solche Fahrerinnen haben und dazu weiter Sprinterinnen oder Klassikerspezialistinnen wie Liane. Wir sind in der Breite super aufgestellt, es lohnt sich also immer einzuschalten. Jeden Tag!
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Quelle: Eurosport

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