Top-Sportarten
Alle Sportarten
Alle anzeigen

Tour de France: Können Chris Froome und Sky den Doping-Verdacht wirklich mit Transparenz entkräften?

Andreas Schulz

Update 21/07/2015 um 10:02 GMT+2 Uhr

Chris Froome will den Doping-Verdacht durch neue Transparenz entkräften. Aber kann das wirklich gelingen?

Chris Froome (Sky) im Gelben Trikot bei der Tour de France 2015

Fotocredit: AFP

Seinen Schatten wird Chris Froome nicht los.
Er begleitet ihn nicht erst seit den Etappen in der Gluthitze der vergangenen Tage, nicht seit seinem Tour-Sieg 2013, sondern spätestens seit seinen Auftritten an der Seite von Bradley Wiggins bei Tour 2012 und Vuelta 2011.
Seit Jahren ist dieser Schatten des Zweifels das Einzige, was Froome nicht abschütteln kann – nein, jede seiner Nähmaschinen-Attacken im Hochgebirge lässt den stummen Begleiter noch etwas dunkler erscheinen.
Wie, so fragen sich Fans wie Fachleute auch dieses Jahr wieder, wie gelingen dem Sky-Profi so überlegene Auftritte in den Bergen, wo kein Konkurrent folgen kann? Wie produziert ein so grenzwertig schlanker Körper auch in Zeitfahren absolute Top-Ergebnisse? Wie erreicht und hält man ein solches Gewicht bei voller Leistungsfähigkeit?
Es gibt nur einen Ansatz, um Licht ins Dunkel zu bringen: Transparenz. Doch leider ist auch dies keine endgültige Lösung.
"Größtes Talent aller Zeiten?"
Seit Froomes Sieg auf der ersten Bergetappe kommt man kaum hinterher bei all‘ den Analysen, Berechnungen und Fachkommentaren, die sich mit den Eckdaten der Kletterkünste des gebürtigen Kenianers befassen.
Deshalb sollte Team Sky aus der Not eine Tugend machen und alle Daten offenlegen. Nehmt das, werte Kritiker, müht Euch nicht länger an selbstgebastelten Zahlen ab! Wenn man nichts zu verbergen hat, dann muss man sich doch nicht immer wieder den gleichen Vorwürfen aussetzen, oder?
Mich erinnert das immer irgendwie an die Wochen und Monate nach dem Puerto-Skandal (ohne beides hier gleichsetzen zu wollen): Da erklärten viele Verdächtige auch, sie seien natürlich zu einem DNA-Abgleich mit den gefundenen Blutbeuteln bereit, um die ach so unverschämten Vorwürfe zu widerlegen. Hat dann nur niemand je freiwillig gemacht…
Es muss also geklärt werden „ob Froome wirklich der talentierteste Athlet ist, den es je im Radsport gab“, wie Eurosport-Experte Greg LeMond es in „Le Monde“ auf den Punkt brachte.
picture

Eurosport-Experte Greg LeMond fordert Aufkärung von Chris Froome

Fotocredit: Eurosport

Ich kann verstehen, dass Sky sich schwer damit tut, die für Kenner wirklich aussagefähigen Zahlen auf den Tisch zu legen, aber sie haben aus meiner Sicht keine andere Wahl. Ein erneuter Tour-Sieg im Klima von Dauerverdacht kann nicht das Ziel sein – immer vorausgesetzt, hier kämpft ein sauberer Rennstall um die verdienten Lorbeeren und nicht ein skrupelloses Team um Siege ohne Rücksicht auf Verluste.
Die Ankündigung, nun am Ruhetag gewisse Daten zu veröffentlichen, ist also ein Schritt in die richtige Richtung. Ebenso die Bereitschaft, Froome einen Leistungstest bei unabhängigen Experten absolvieren zu lassen. Doch leider wird auch das alles kaum den erhofften Befreiungsschlag bringen.
Wer senkt den Daumen?
Denn der Teufel liegt im Detail: Selbst wenn alle Daten (was Sky so noch nicht plant) auf den Tisch kommen und jeder fröhlich damit hantieren kann – wer hebt & senkt dann den Daumen? Nirgendwo gibt es eine offizielle Instanz, die befugt und befähigt wäre, aus solchen Leistungsdaten Doping-Freispruch oder -Anklage zu formulieren.
Der fromme Wunsch nach Klarheit durch unbestechliche Zahlen würde schnell zum Gelehrtenstreit werden. Jeder, der schon jetzt in diesem Feld agierenden promovierten Wissenschaftler, Pseudo-Insider oder partiell mit der Materie vertrauten digitalen Düsentriebs wird seine eigenen Schlüsse ziehen. Denen kann man sich dann anschließen oder auch nicht.
Ich vermute stark, dass wir am Ende kaum näher an einem eindeutigen Urteil wären als jetzt - denn absolute Grenzen gibt es kaum. Es wird um Interpretationen und Rechenmodelle gehen. Was dem einen Experten noch gerade so tolerierbar erscheint, ist für den nächsten Analysten schon jenseits der roten Linie.
So lief es ja im Fall Froome schon 2013. Da durfte ein kleiner Kreis bereits Daten einsehen – doch mit dem Urteil jener Insider war das Thema nicht erledigt, sondern kochte munter weiter: Es wurde einfach bei Bedarf an Qualifikation, Motiven und Verwicklungen der beteiligten Personen gezweifelt und der gut gedachte Ansatz damit fast zum Muster ohne Wert.
picture

Chris Froome, Tour de France 2013 am Mont Ventoux

Fotocredit: Imago

Andere Beispiele von Profis, die ihre Leistungs- oder Blutwerte zur Entlastung im Internet präsentierten, machen ebenfalls wenig Hoffnung. Weder Chris Horner noch Lance Armstrong haben sich damit vom Verdacht reinwaschen können.
Und mangels Zuständigkeit versandte die große Datenübergabe von Sky an UK Antidoping und die Dopingfahnder der UCI (CADF) im Jahr 2013 ergebnis- und entlastungslos. Es fehlt ein Gremium wie jenes beim Blutpass, das nach festgelegten Regeln die Daten kontrolliert, Sanktionen einleitet – und sich im Ernstfall vor Gericht beweisen muss.
Harte Fakten & Glaubensfragen
Und dennoch führt an einer Transparenz-Offensive von Sky kein Weg vorbei, will man dem Dauerfeuer endlich etwas entgegensetzen. Dabei geht es nicht nur um Zugang zu Daten, sondern um eine Vielzahl von Initiativen.
Warum angesichts der lauter werdenden Vermutungen eines Motor-Dopings die Rennmaschinen nicht im Ziel unter die Lupe nehmen lassen, am besten durch von kritischen Medien gestellte Experten?
Warum nicht neben Froome-Biograph David Walsh andere/weitere Journalisten, Szenekenner, Sky-Kritiker mit zu Tour oder Trainingslager laden?
Warum nicht endlich der "Bewegung für einen glaubwürdigen Radsport" (MPCC) beitreten? Ein überfälliger Schritt, der Sky viel Ärger um die Verwendung des umstrittenen Schmerzmittels Tramadol, den Einsatz von Asthmasprays und den Umgang mit medizinischen Ausnahmegenehmigungen (TUE) erspart hätte.
Keine Maßnahme allein wird die berechtigte Skepsis auf einen Schlag beseitigen. Aber man könnte so die Zahl der Skeptiker tendenziell verringern, die mit Recht solche Schritte fordern.
picture

Chris Froome und sein Sky-Team bei der Tour de France 2015

Fotocredit: AFP

Sauberkeit im Radsport kann nie nicht zu 100% bewiesen werden – weder durch negative Test noch klare Statements, nicht mit durchdachter Personalpolitik oder überschaubaren Erfolgen. Egal, welches Argument ein Team als Indiz für seine Sauberkeit anführt, stets kann man ihm noch bessere Mittel, noch perfidere Vorgehensweisen, noch abstrusere Lügen vorwerfen.
Ist ein Bürger ohne Eintrag in Führungszeugnis, Flensburg-Kartei, Steuerakte und Schufa-Auskunft besonders vertrauenswürdig – oder nur besonders clever? Das Beispiel zeigt, dass wir am Ende vor einer Glaubensfrage stehen.
Wann glauben wir einem Team oder Fahrer? Welche Informationen, Daten, Hintergründe muss ich haben, um bedächtig zu nicken oder aber die Augen zu verdrehen? Das muss jeder für sich selbst entscheiden, absolute Wahrheiten sind, wie meist im Leben, eher selten. Transparenz ist kein Allheilmittel, aber eben ein unverzichtbarer Informations- und Indizien-Lieferant.
Der Radsport bewegt sich da auf vermintem Gelände und ein neuer Aspekt kann schon das Urteil über einen Profi und seine Auftritte kippen lassen. Viele der als Indizien gegen Sky in den vergangenen Tagen präsentierten Vorwürfe taugen bei genauerer Betrachtung nicht wirklich als Munition für eine Anklage, manche entlastenden Punkte fanden im aktuellen Klima kaum Gehör.
"Tour voller sauberer Fahrer"
Radsport ist verdammt anstrengend und viel komplexer, als auf den ersten Blick, das gilt nicht nur für die Fahrer, sondern auch für uns alle am Streckenrand. Man macht sich das Leben schön leicht, wenn man entweder nur jubelnd auf das strahlende Gelb des „maillot jaune“ oder zynisch auf den dunklen Schatten blickt.
Wer sich aber die Mühe macht und versucht, den Dingen ein wenig auf den Grund zu gehen, wird belohnt. Vielleicht nicht unbedingt an der Spitze des Rennens, auf die sich der Blick ja oft verengt. Doch was bei der berechtigten Suche nach Antworten im Fall Froome leider untergeht, ist der anscheinend durchaus erfreuliche Gesamtzustand des Radsports.
"Es gibt jede Menge saubere Fahrer im Tour-Feld" versichert etwa Antoine Vayer, der gleichzeitig einer von Froomes schärfsten Kritikern ist. Doch im Glaubenskrieg ist die große Masse des Pelotons nur Fußvolk, ein weiterer Schatten des Mannes im Gelben Trikot.
picture

Chris Froome (Sky) bei der Tour de France 2015

Fotocredit: AFP

Froome: "Das wäre kriminell"
Froome kann den Glaubenskrieg nicht gewinnen, zumindest nicht indem er die Tour gewinnt. Deshalb muss er abseits des Rennens jede Chance nutzen, um zumindest die Zahl der Skeptiker zu reduzieren, sonst sind seine Siege letztlich leere Hüllen. Erfolge, die nicht mitreißen, sondern abstoßen, haben keinen wahren Wert.
Das weiß der 30-Jährige, er kennt die Betrugsgeschichte des Radsports, spürt das Erbe der Armstrong-Jahre. Wäre seine Lüge nicht sogar noch größer als die des Texaners, fragte ihn Walsh letzte Woche.
„Ja – wahrscheinlich schon“, antwortete Froome. „Wenn sowas noch einmal geschehen würde, wäre das kriminell – aber ich weiß, dass das nicht geschehen wird.“
Wer sich seiner Sache so sicher ist, sollte solchen Worten auch Taten folgen lassen.
Im Zweifel für den Angeklagten, das gilt auch im Radsport. Aktuell scheint vielfach eher Verzweiflung angesichts einer Art Rückfall in die Armstrong-Ära zu herrschen. Damit an diesem (Vor)urteil gezweifelt werden kann, muss Froome echte Erklärungen liefern. Sonst wird er nicht aus dem Schatten seiner betrügenden Vorgänger treten.
Mehr zu Chris Froome und dem Dauer-Schatten:
Mehr als 3 Mio. Sportfans nutzen bereits die App
Bleiben Sie auf dem Laufenden mit den aktuellsten News und Live-Ergebnissen
Download
Ähnliche Themen
Diesen Artikel teilen
Werbung
Werbung