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Tour de France: Geraint Thomas macht es sich zu leicht

Andreas Schulz

Update 02/10/2018 um 00:23 GMT+2 Uhr

Auch wenn Geraint Thomas und nicht Chris Froome die Tour de France 2018 gewonnen hat: Der neue Sieger darf nicht überdecken, dass sich Team Sky weiter den alten kritischen Fragen stellen muss - auf die der Rennstall schon traditionell keine Antworten geben kann oder mag. Die Zweifel vieler Fans verlangen vom Gewinner des Gelben Trikots mehr als einen Halbsatz, dass er "nichts tun könne".

Geraint Thomas et Chris Froome.

Fotocredit: Getty Images

Mein Sieg wird Bestand haben.
Das Versprechen von Geraint Thomas lässt einen kurz zusammenzucken. Zu oft haben Athleten in allen Sportarten schon ihre Sauberkeit betont, um dann doch enttarnt zu werden.
Dafür kann der Waliser nichts, der Verdacht ist ein untrennbarer Begleiter jeder Spitzenleistung geworden. Das ist nicht verkehrt, im Gegenteil. Entscheidend ist, wie mit den Zweifeln umgegangen wird.

Thomas: Vom Goldsammler zum Tour-Oldie

Die Leistungen von Thomas bei dieser Tour waren beeindruckend, aber nicht beängstigend. Sein Sieg war ein Sieg der Konstanz, als einziger Topfahrer kam er ohne Einbrüche, Defekte und Stürze bis nach Paris.
Der schrittweise Weg des 32-Jährigen vom einstigen Bahn-Champion zu einem der ältesten Tour-Sieger der Geschichte ist erstaunlich, aber nicht entlarvend: 2004 Solo-Sieger von Paris-Roubaix bei den Junioren, von 2007 bis 2012 sechs Mal Gold bei WM, EM und Olympia im Bahnvierer, ab 2011 Erfolge bei Eintagesrennen und kürzeren Etappenrennen.
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Gesamtsieger der Bayern-Rundfahrt 2011 und 2014: Geraint Thomas

Fotocredit: Imago

Dass Thomas bei großen Rundfahrten vor dieser Tour de France nie über einen 15. Platz in der Gesamtwertung hinauskam, war mehrfach schweren Stürzen geschuldet - und oft seiner Rolle als Helfer in einem Team, das bisher kein Fan von Doppelspitzen war.

Gründungsmitglied der Grauzonen-Truppe

Aber es ist jenes Team Sky, für das man Thomas jetzt in Sippenhaft nehmen muss. Der Doppel-Olympiasieger war Gründungsmitglied des Rennstalls, nach drei Jahren und zwei Grand Tours für Barloworld wechselte er 2010 mit Froome zur neu geschaffenen Mannschaft seines walisischen Landsmanns Dave Brailsford.
Sprich: Thomas war bei all' den Affären, Ungereimtheiten, Aufregern an Bord, die seitdem folgten. Von der Verpflichtung des inzwischen lebenslang gesperrten Mediziner Geert Leinders als Teamarzt über die missbräuchliche Verwendung von Ausnahmegenehmigungen (TUE) für eigentlich verbotene Medikamente, von Gerüchten über Motordoping bis zur "Jiffy-bag"-Farce, vom Tramadol-Einsatz über Lieferungen von Testosteron-Pflastern und Froomes hohen Salbutamol-Werten bis hin zum erschreckenden Parlaments-Report vom März.
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Geraint Thomas bei der Tour 2014 mit Froome und Brailsford

Fotocredit: Getty Images

Nichts davon belastet Thomas ("Ich hatte nie eine TUE") persönlich und direkt. Aber über die Jahre ist eines deutlich geworden: Der Ansatz von Sky hat sich vom ursprünglich ausgerufenen Ziel (offen und sauber erfolgreich zu sein) immer weiter entfernt. Neben den oft zitierten "marginal gains" und modernsten Methoden ist klargeworden, dass eben auch mit Eifer die grauesten Grauzonen genutzt wurden - vom Reglement gerade noch gedeckt, mit einem Anspruch auf beispielhafte Vorgehensweise aber nicht vereinbar.
"Was soll ich sagen - ich mache die Dinge korrekt, das Team macht die Dinge korrekt", so Thomas am Vorabend seiner Krönung in Paris. Den auf ihn bezogenen Teil der Aussage mag man glauben, den auf Sky insgesamt darf man nicht glauben. Nicht bevor die Mannschaft beweist, dass sie sich geändert hat.

Thomas: "Ich kann nichts tun" - von wegen!

Darauf muss Thomas aber nicht warten - der Ball liegt in seinem Feld. "Es gibt nichts, womit ich es beweisen könnte", erklärte er. Doch das stimmt nicht. Thomas könnte den Zweiflern mit jener Transparenz begegnen, die Sky oft vermissen lässt. Er könnte Trainingsdaten, Blutwerte, Dopingtests offenlegen und so Skeptikern Wind aus den Segeln nehmen, Fürsprechern Material liefern.
Er könnte auch, wie einige seiner Teamkollegen, die Daten seiner Trainings und Rennen auf Strava einsehbar machen oder als Fahrer Mitglied der MPCC ("Bewegung für einen glaubwürdigen Radsport") werden: Team Sky hat sich einer Mitgliedschaft und den freiwilligen, strengeren Regeln der Vereinigung immer verweigert, doch seit März 2018 kann ein Profi auch als Einzelperson dabei sein und sich zusätzlichen Tests unterwerfen, etwa auf den weiter beliebten Beschleuniger Kortison.
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Geraint Thomas, Tom Dumoulin, Romain Bardet - Tour de France 2018

Fotocredit: Getty Images

Dabei darf man nicht blauäugig sein, es ist auch als MPCC-Mitglied weiter möglich, bei entsprechendem Fachwissen mit verbotenen Mitteln nachzuhelfen. Viele Schritte zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit sind auch immer ein Stück Symbolpolitik - doch der Radsport hat diese Symbole bitter nötig.
Denn dann muss sich keiner wundern, warum der Radsport nicht aus der Defensive kommt, wenn doch niemand in die Offensive geht und zumindest die kleinen Schritte hin zur Glaubwürdigkeit geht, die problemlos möglich sind. Tom Dumoulin oder Romain Bardet z.B. sind der MPCC beigetreten und haben klare Worte zum Fall Froome gefunden.

Radsport ist Ausdauersport - für alle

Aber Transparenz ist nicht allein von Teams und Fahrern gefordert. Die UCI etwa hat bei dieser Tour eine große Chance vertan, ihren Kampf gegen Motor-Doping in Szene zu setzen.
Warum fanden die Röntgen-Untersuchungen der Rennmaschinen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, statt sie publikumswirksam zu inszenieren? Der Spezialanhänger wurde im März noch vor Journalisten vorgestellt - doch viel wichtiger ist, dass wir ihn im Einsatz sehen, samt Liste der kontrollierten Fahrer. Nur so kann man Verdachtsmomente ausräumen und Verschwörungstheorien vorbeugen.
Ich kann bestens verstehen, dass es vielen Fans zu mühsam ist, sich in einen nimmer endenden Indizienprozess zu vertiefen. Das nimmt uns jene ungebremste, unmittelbare Begeisterung, die Sport so faszinierend macht. Aber der Radsport verlangt viel Ausdauer - nicht nur von den Fahrern, auch von uns.
Dem Tour-Sieger kommt eine besondere Rolle mit spezieller Verantwortung zu. Die kann er annehmen oder ablehnen - aber sich auf die Position zu stellen, man könne ja eh nix tun, ist zu einfach. Damit macht es sich Thomas zu leicht - gerade wenn er eine weiße Weste haben sollte.
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