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Abfahrt in Kitzbühel - Hannes Reichelt exklusiv: "Aleksander Kilde will die Tore vom Start weg nahezu fressen"

Thomas Janz

Update 19/01/2023 um 12:58 GMT+1 Uhr

Hannes Reichelt, Kitzbühelsieger von 2014, gibt einen Ausblick auf die Rennen auf der Streif und nennt Gründe, warum die Abfahrt im Mekka des Skisports die schwerste im Weltcup ist. Außerdem erklärt der Ex-Weltmeister, warum Vorjahressieger Beat Feuz sein Abschiedsrennen nicht gewinnen wird und spricht über die Dominanz von Aleksander Aamodt Kilde: "Seine Aggressivität macht den Unterschied."

"Was für eine Fahrt!" Kilde triumphiert auf der Streif

Hannes Reichelt hat auf der legendären Streif Freud und Leid erlebt. Am 25. Januar 2014 triumphierte der ehemalige Rennläufer aus dem Salzburger Land in der Abfahrt vor dem Norweger Aksel Lund Svindal und Bode Miller aus den USA. Seither ziert mit der goldenen Gams eine der wertvollsten Trophäen im Ski-Weltcup seine Trophäensammlung. Insgesamt fuhr Reichelt in Kitzbühel in seiner Karriere fünf Mal auf das Siegerpodest.

Seine schwärzeste Stunde erlebte er im Tiroler Skiort 2016, als er an der Hausbergkante spektakulär abflog und sich mehrfach überschlug, bevor er mit Highspeed ins Fangnetz rauschte. Sieben Jahre später schaut sich Reichelt die Show am Kitzbühel-Wochenende entspannt aus dem Zielraum an.
Doch bevor der Weltcup in Kitzbühel am Freitag mit der Abfahrt (ab 11:30 Uhr live auf discovery+ und im Liveticker) in die Vollen geht, gibt uns Reichelt im Exklusiv-Interview einen Ausblick auf die Speedrennen auf der berühmt-berüchtigten Streif.

Das Interview führte Thomas Janz
Herr Reichelt, der Mythos Kitzbühel hält die Ski-Fans Jahr für Jahr in Atem. Ist die Streif wirklich die schwerste Abfahrt im Weltcup-Zirkus und wenn ja, warum?

Hannes Reichelt: Es hängt immer ein bisschen von den Pistenverhältnissen ab. Bormio und Kitzbühel duellieren sich alljährlich um den Titel der schwersten Abfahrt im Weltcup-Zirkus. Die Piste in Bormio hat im TV sehr schwierig ausgesehen und in Kitzbühel wird auch am Wochenende nicht recht viel einfacher. Was die Streif so gefährlich macht, ist, dass sie an manchen Stellen extrem eng ist und kaum Sturzraum vorhanden ist. Auch deshalb kam es in der Vergangenheit mehrfach zu schweren Verletzungen.
In den Passagen Mausefalle, Steilhang, Hausbergkante, Traverse und Zielsprung ist schon viel passiert. Ich kann ein Lied davon singen, da ich 2016 selbst in der Traverse abgeflogen bin und mich mehrfach überschlagen habe. Ich kann ihnen versichern: 'Das macht man lieber kein zweites Mal!'
Stephan Eberharter hatte 2004 bei seinem Legendären Triumph in der Abfahrt von Kitzbühel einen Vorsprung von 1,21 Sekunden auf den Zweitplatzierten Daron Rahlves. Was ist der Schlüssel, um eine Top-Zeit auf der Streif herunterzubrennen?
Reichelt: Für so eine Fahrt muss alles passen! Angefangen beim Material bis hin zu den Pistenbedingungen. Es ist wichtig, dass man mit seiner Startnummer entsprechende Möglichkeiten vorfindet, um eine gute Zeit fahren zu können. Ich kann mich noch genau an das Rennen von Stephan Eberharter erinnern, der damals eine Wahnsinnsform hatte. Ich dachte mir nur: 'Wie kann man die Streif mit dieser Linie fahren?'. Es war faszinierend und eine Meisterleistung, wie er die Konkurrenz deklassiert hat.
Aleksander Aamot Kilde dominiert in dieser Saison fast nach Belieben - was unterscheidet den Norweger von der Konkurrenz?

Reichelt: Rudi Nierlich hat einmal gesagt: "Wenn es läuft, dann läuft’s." So ist es bei Marco Odermatt im Riesentorlauf sowie teilweise im Super-G und so ist es bei Kilde in den Speed-Disziplinen. Aleksander fährt unglaublich am Limit. Er hat den absoluten Siegeswillen, er will die Tore vom Start weg nahezu fressen. Ich bin gespannt, wie lange Kilde das durchhält. Es ist mental extrem anstrengend, wenn man immer hundert Prozent gibt, auch wenn es momentan so aussieht, als würde es ihm leicht von der Hand gehen. Den Unterschied zur Konkurrenz macht vor allem seine Aggressivität. Und dann spielt das Gesamtpaket aus Körper und Material sehr gut zusammen.
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Marco Odermatt (li.) und Aleksander Aamodt Kilde haben in dieser Saison gut lachen.

Fotocredit: Getty Images

Worin sehen Sie die Gründe, dass die deutschen Abfahrer aktuell in einer Ergebniskrise stecken?
Reichelt: Ich würde sagen, es hat sich ein wenig der Verletzungsteufel eingeschlichen. Sepp Ferstl hatte sich letztes Jahr im Frühling einen Oberarmbruch zugezogen. Zuletzt musste Thomas Dreßen wegen einer Muskelverletzung am Oberschenkel nach dem Weltcup in Gröden pausieren. Romed Baumann hat in Kitzbühel einen verheißungsvollen Trainingslauf hingelegt und befindet sich im Aufwärtstrend. Dreßen fehlt dem Team als Zugpferd. Auch wenn sich Tom in Wengen zurückgemeldet hat, er ist nicht in Höchstform. Wenn Dreßen zurück zur alten Form findet, wird er seine Teamkollegen wieder mitziehen. Momentan bewegen sich alle auf demselben, eher mittelmäßigen Niveau. Allein der Spitzenläufer fehlt. Das ist schade, weil das Speed-Team des DSV großes Potenzial hat.
Dreßen zeigte sich tiefbewegt nach seinem erneuten Comeback in Wengen. Man konnte bei seiner Fahrt aber deutliche Unsicherheiten erkennen. Wie lange braucht der Kitzbühelsieger von 2018, bis er wieder vorne mitfährt?
Reichelt: Man muss Tom eine ganze Saison Zeit geben, durch die er unverletzt durchkommt. Eine Weiterentwicklung geht immer auch mit kleinen Erfolgserlebnissen einher, auf denen er aufbauen kann. Er wird sich Schritt für Schritt mehr vornehmen und wenn er dann wieder in den Top 5 auftaucht, schafft er auch bald wieder den Sprung aufs Siegerpodest. Wenn er spürt, das Stockerl ist wieder erreichbar, kann er auch wieder gewinnen. Dreßen war lange weg und da braucht es seine Zeit, bis man wieder Anschluss findet, schließlich schläft der Sport ja nicht.
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Kitzbühel 2018: Dreßen krönt sich mit Fabellauf zum König der Streif

Auf wen können die österreichischen Ski-Fans beim Heimspiel besonders hoffen?
Reichelt: Ganz klar auf Vincent Kriechmayr. Daniel Hemetsberger ist ein weiterer Kandidat für einen Podiumsplatz. Otmar Striedinger kann für eine Überraschung sorgen. Das wars dann aber schon.
Für Beat Feuz wird Kitzbühel zum großen Abschiedsfest. Sagt der Vorjahressieger mit einem Paukenschlag adieu und wie blendet man die Emotionen erfolgreich aus, um den vollen Fokus auf das Rennen zu haben?
Reichelt: Ich bin sehr gespannt, wie er seinen Abschied angeht. Schließlich weiß er, es handelt sich um sein letztes Rennen und eigentlich möchte man zu seinem Karriereende kein überhöhtes Risiko mehr eingehen, sich zu verletzen. Wer möchte sich sein Leben danach erschweren, nur weil er im finalen Wettkampf noch einmal alles gegeben hat? Ich glaube nicht, dass Feuz um den Sieg mitfahren wird. Das sind nämlich genau die paar Prozentpunkte, die man sich als Reserve aufspart, um nicht abzufliegen. Ich denke, er wird sauber runterfahren, sich nahe am Limit bewegen, aber nicht auf Teufel komm raus hasardieren, sondern den Abschluss genießen und sicher ankommen.
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Routine perfekt ausgespielt: Feuz rast auf der Streif zum dritten Sieg

Welche Emotionen kommen Ihnen zuerst in den Sinn, wenn Sie an den Triumph in Kitzbühel 2014 denken?
Reichelt: Ich bekomme immer noch Gänsehaut, weil dieser Sieg einer der schönsten Erfolge meiner Karriere war. Ich war damals nicht zuletzt aufgrund meiner Rückenprobleme komplett in einem Tunnel. Die Schmerzen waren höllisch. Der ganze Tag verlief sehr konzentriert und war genau auf das Rennen abgestimmt. Ich wusste, ich bin angeschlagen, darf mich von nichts ablenken lassen und muss mich hundert Prozent auf den Lauf konzentrieren. Ich war vom Start bis ins Ziel so im Fokus, dass ich es geschafft habe, die Tausende von Zuschauer entlang der Strecke komplett auszublenden. Das war mein Erfolgsrezept.
Gibt es eine Anekdote von Ihren Erfahrungen in Kitzbühel, die man heute mit Abstand und ruhigem Gewissen erzählen kann?
Reichelt: Meine Anekdote lautet so: Vor meinem ersten Abfahrtstraining auf der Streif im Jahr 2003 bin ich mit Eberharter und Hans Knauß die Gondel hochgefahren. Das erste, was Eberharter damals gesagt hat, war: "Jedes Jahr wieder habe ich so einen Respekt vor diesem Hügel." Die wenigen Worte des Mannes, der in der Vorsaison 2002 Olympiasieger im Riesenslalom wurde, aus Salt Lake City mit einem kompletten Medaillensatz abgereist ist und alles Mögliche gewonnen hatte, haben mein Herz zum Flattern gebracht.
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Routine perfekt ausgespielt: Feuz rast auf der Streif zum dritten Sieg

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