Kitzbühel: Fritz Dopfer exklusiv zum Slalom-Sieg von Linus Straßer - DSV-Star krönt sich am Tag X

Linus Straßer hat sich mit seinem Slalom-Triumph in Kitzbühel in der Geschichte des Weltcups verewigt. Auf dem Weg zu seinem Sieg am Ganslernhang überkam der DSV-Star schwierigste Verhältnisse. "Er hat gezeigt, dass er am Tag X seine Leistung abrufen kann", erklärt Eurosport-Experte Fritz Dopfer im exklusiven Interview und hebt hervor, wie es zu Straßers Leistungsexplosion kam.

Kitzbühel-Ekstase! Straßer siegt sensationell am Ganslernhang

Quelle: Eurosport

Selbst Platz vier im ersten Durchgang und ein Rückstand von 0,40 Sekunden auf den Halbzeitführenden Kristoffer Jakobsen vermochte Linus Straßer am Sonntag nicht davon abzuhalten, sich am berühmten Ganslernhang zum Triumphator zu küren. Ein Sieg für die Ewigkeit.
"Speziell im zweiten Lauf war es eine beeindruckende Performance, aus der Position des Jägers heraus bei extrem herausfordernden Pistenverhältnissen eine Laufbestzeit runter zu zirkeln", schwärmt Eurosport-Experte Fritz Dopfer im exklusiven Interview. "Da zeigt sich seine technische Spitzenklasse, seine Selbstsicherheit und das optimal auf ihn abgestimmte Setup, bestehend aus Ski, Schuh und Bindung."
Aus dem Nichts kam Straßers insgesamt vierter Weltcupsieg laut Dopfer nicht. Vielmehr belohnte sich der "Mann für die Big Points" für seine diesjährige Konstanz und den ein oder anderen goldenen Handgriff während der Vorbereitung.
Trotz aller Daten, Materialabstimmungen und weiteren Feinarbeiten im Ski Alpin sei Straßers Krönung auch auf dessen besonderes Mindset zurückzuführen.
Herr Dopfer, wie haben Sie den Sieg von Linus Straßer am Eurosport-Mikrofon erlebt und welche Emotionen hat er in Ihnen ausgelöst?
Fritz Dopfer: Sehr große Emotionen. Linus kenne ich schon lange - und vor allem seinen Weg, den er gegangen ist. Ich habe mir sein Instagram-Profil angeschaut. Im Januar 2015 ist ein Bild von ihm mit der Gams zu sehen, in der Caption steht auf Englisch: "Vielleicht am Sonntag oder im nächsten Jahr." Dann hat es doch ganze neun Jahre gedauert, bis er tatsächlich diese goldene Gams gewonnen hat. Dementsprechend hat das bei mir sehr viel ausgelöst. Vor dem Start des zweiten Durchgangs haben Guido Heuber und ich gesagt, dass Linus für den Sieg fällig ist. Er hat uns wieder einmal gezeigt: Linus ist der Mann für die Big Points im Skisport.
Sowohl in Zagreb als auch in Schladming hat Straßer bereits triumphiert...
Dopfer: Er hat eindrucksvoll gezeigt, dass er am Tag X vor größtmöglichem Publikum, beim wichtigsten Rennen in dieser Weltcup-Saison, seine Leistung abrufen kann. Speziell im zweiten Lauf war es eine beeindruckende Performance, aus der Position des Jägers heraus bei extrem herausfordernden Pistenverhältnissen eine Laufbestzeit runter zu zirkeln. Viele Top-Läufer haben gemeint, dass es selten so eisig und die Einsinktiefe der Kante ins Eis so gering war. Da zeigt sich seine technische Spitzenklasse, seine Selbstsicherheit und das optimal auf ihn abgestimmte Setup, bestehend aus Ski, Schuh und Bindung.
Zumeist sehen wir ihn nur am Start, zwischen den Toren und beim Abschwingen im Zielraum. Was für ein Typ ist dieser Linus Straßer eigentlich?
Dopfer: Total spannend, einer mit extrem vielen Facetten. Wenn wir auf das Sportliche blicken, fallen seine hohe Geschicklichkeit und sein enormes motorisches Talent auf. Da erinnere ich mich an einen gemeinsamen Konditionslehrgang im Jahr 2018. Als Skifahrer hat man ja das Privileg, in der Vorbereitung viele verschiedene Sportarten ausprobieren zu können. Damals waren wir gemeinsam mit den Ringern im Training. Nach einigen Einheiten mit Bodenturnelementen stand abschließend noch ein kleiner Gaudi-Ringkampf an - jeder gegen jeden. Und da war Linus derjenige, der uns alle kaltgestellt hat. Dieses einzigartige Körpergefühl zeigt er ebenfalls auf den kurzen Slalom-Ski. Er ist ein Aktionskünstler.
Eine schöne Anekdote.
Dopfer: Und die beschreibt ihn auch gut. Linus hat viele Talente neben dem Sportlichen und entwickelte über die Jahre hinweg eine enorme persönliche Reife. Das merkt man zusätzlich in den Interviews mit seinen klaren und präzisen Aussagen. Ihm, wie auch seiner gesamten Familie liegt der Ski-Nachwuchs am Herzen. Er organisiert beispielsweise gemeinsam mit dem DSV alljährlich das "Linus Strasser Nachwuchscamp". Zusätzlich hat er im Laufe seiner Karriere ein hohes Maß an Eigeninitiative gezeigt.
Könnten Sie das etwas genauer ausführen?
Dopfer: Mario Mittermayer-Weinhandl, der Rennleiter der Hahnenkamm-Rennen, war bereits in seiner Kindheit sein Privat-Trainer. Ein weiteres Beispiel, dass er den ehemaligen und leider viel zu früh verstorbenen Weltklasse Stabhochspringer Tim Lobinger als seinen Konditionstrainer verpflichtete. Linus hat dadurch gezeigt, dass die pro-aktive Suche des eigenen Weges zum sportlichen Glück führt. Wenn alles so zusammenfließt und in einem solchen Triumph gipfelt, ist das Genugtuung und Bestätigung zugleich.
picture

Straßer stürmt zum Slalom-Sieg: Die Highlights aus Kitzbühel

Quelle: Eurosport

Straßer hat schon bei der Startnummernauslosung erklärt, er möchte aufs Podium fahren und eine Gams mit nach Hause nehmen. Nach dem Sieg fügte er hinzu: "Man muss die Dinge geschehen lassen." Wie entsteht dieses mentale Mindset, das einerseits aus unbedingtem Willen und andererseits vor allem auch aus Loslassen besteht?
Dopfer: Vor nicht allzu langer Zeit hat er in einem Interview ein schönes Bild gezeichnet: "Die Athleten fordern den Ganslernhang zum Tanz auf. Dabei führt nicht der Athlet, sondern der Hang führt den Athleten." Er kennt das Gelände wie seine Westentasche, er hat hier bereits häufig trainiert. Er weiß um jede Tücke, um jede Welle oder Kuppe. Trotzdem ist die Kurssetzung, die Piste sowie das Körpergefühl an einem Renntag ein ganz anderes. Er hat es geschafft, nur sich, sein Skifahren und den Berg im Kopf zu behalten und fand für jedes Problem eine passende Lösung. Das haben wir im ersten Durchgang gesehen, als er auf der Kuppe nach der zweiten Zwischenzeit fast auf dem Innenski ausgerutscht ist. Linus blieb ruhig und wurde nicht zu gierig, sondern hat gewartet, bis die Kante wieder im Eis griff. So hat er diese brenzlige Situation extrem stark aufgelöst und war beim nächsten Tor bereits wieder auf der Ideallinie.
An welchen Stellschrauben hat Straßer gedreht?
Dopfer: Du merkst als Beobachter die Stringenz in jeder Bewegung am Ski. Technisch hat er sich über die Jahre hinweg ein sehr stabiles Fundament erarbeitet. Der Oberkörper bleibt stabil, der Körperschwerpunkt immer passend zur Situation und sämtliche Bewegungen kommen aus den Knie und Sprunggelenk. Er bekommt eine tolle Energie in den Ski und der Ski nimmt ihn förmlich aus jedem Tor mit. Obwohl er zuletzt in Wengen einen kleinen Nackenschlag einstecken musste, wo er nach toller Zwischenzeit eingefädelt ist, ließ er sich nicht von seinem Weg abbringen. Das zeigt seine mentale Stärke. Am Vorabend des Kitzbühel-Slaloms definierte er sein klares Ziel: Mission Gams. Und prompt erreichte er dieses eindrucksvoll am nächsten Tag. Am Sonntag waren wir alle Zeugen, dass er von dem gesamten Tag unglaublich gerührt war. Aber nicht nur er allein, sondern viele andere auch - unter anderem ich.
Fortsetzung im Monat der Slalom-Klassiker ist am Mittwoch in Schladming. Die Bedingungen werden ebenso eisig sein. Straßer hat vor zwei Jahren auf der Planai gewonnen. Wie wird er sich nach dem Kitzbühel-Triumph präsentieren?
Dopfer: Zuallererst hoffe ich, dass er mit seinen engsten Kreis seinen Erfolg genießen und die Emotionen aufsaugen konnte. Schließlich ist er ab jetzt und für immer Hahnenkammsieger.
Inwiefern ist die Planai anders als der Ganslernhang?
Dopfer: Der erste Teil in Schladming ist ganz anders als der in Kitzbühel. Die Planai lädt im obersten Teil richtig zum Pushen ein, man muss die Geschwindigkeit selbst aufbauen und sich am Limit bewegen. Der Hang gibt im obersten Teil nicht allzu viel her, weshalb der Läufer den Ski bewusst treiben muss. Linus hat aber bereits vor zwei Jahren gezeigt, dass er dort gewinnen kann. Natürlich geht es immer wieder von 0 los, vom gestrigen Erfolg kann man sich heute nur sehr wenig abschneiden. Trotzdem ist es selbsterklärend, dass er nach diesen überragenden Vorleistungen und der mentalen Frische auch in Schladming ganz vorne mitmischen kann. Die Bedingungen auf der Planai werden jenen von Kitzbühel ähneln, die Piste wird eisig und hart wie Beton sein. Deshalb können wir uns wieder auf coole Leistungen und schöne Action-Bilder im Flutlicht freuen.
Wie beurteilen Sie die momentanen Leistungen der Youngster Sebastian Holzmann und Anton Tremmel im Slalom?
Dopfer: Sebastian Holzmann nimmt aus meiner Sicht eine glänzende Entwicklung. Fünf Weltcuprennen, fünfmal Punkte gesammelt und in den Top 20 der Slalom-Elite festgesetzt. Toni Tremmel hat in seiner Comeback-Saison bei zwei Weltcuprennen in Madonna di Campiglio sowie Kitzbühel Punkte sammeln können. Beide können sich nach wie vor weiterentwickeln, das Potenzial ist definitiv vorhanden. Gleichzeitig bin ich mir sicher, dass aufgrund ihrer Freundschaft zu Linus aus diesem Erfolg eine noch positivere Teamdynamik entstehen kann, die sie im Training sowie im Wettkampf zusätzlich pusht. Ich drücke auf jeden Fall die Daumen für die nächsten Rennen.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dopfer.
picture

Straßer im Sieger-Interview: "Es war mein Kindheitstraum"

Quelle: Eurosport

Mehr als 3 Mio. Sportfans nutzen bereits die App
Bleiben Sie auf dem Laufenden mit den aktuellsten News und Live-Ergebnissen
Download
Diesen Artikel teilen
Werbung
Werbung