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Bundesliga-Kolumne LIGAstheniker: Der FC Bayern München sucht seine "Mannhaftigkeit" - geht's noch, Max Eberl?

Thilo Komma-Pöllath

Update 08/04/2024 um 13:09 GMT+2 Uhr

Max Eberl ruft beim FC Bayern eine Krise der "Mannhaftigkeit" aus. Was er damit meint, bleibt aber unklar. Schließlich hat sich die Auffassung von Männlichkeit seit den Tagen von Oliver Kahn und Stefan Effenberg enorm verändert. Angesichts der jüngsten Entscheidung stellt sich überhaupt die Frage, ob die Probleme beim Rekordmeister nicht tiefer sitzen. Ein Kommentar von Thilo Komma-Pöllath.

Bayern-Trainer Tuchel zweifelt: "Sind alle tierisch genervt"

Die Erfolgsgeschichte des FC Bayern war seit Anbeginn eine Kulturgeschichte des jungen, weißen Mannes. Die Bilder der Endzwanziger Uli Hoeneß und Paul Breitner, die sich Mitte der 1970er im Trainingslager wie ein Ehepaar ein Doppelbett teilen - Legende.
Titan-Kahn, der wahlweise unter seinem Pseudonym Kung Fu-Kahn gegnerische Stürmer in den Hals zu beißen versuchte und von "Wir brauchen Eier" schwadronierte - kollektives Fußballgedächtnis.
Fellmantel-Effenberg, der in den ersten Minuten gegen Manchester United in der Champions League den Beckham aus der Vertikalen beförderte - historisches Stammtischgeraune.
Und ausgerechnet bei diesem Klub der einzigartigen Mannsbild-Virilität kommt jetzt der neue Sportvorstand daher und spricht von "Mannhaftigkeit", also von "extrem wenig" Mannhaftigkeit. Gehts noch, Max Eberl?

Bayerische Identitätskrise

Ob die Harry Kanes & Co. gerade so denken mögen? Ausgerechnet Eberl also, noch kaum im Amt, zweifelt ihr Mannsein an. Aber was genau meint er mit "Mannhaftigkeit"?
Bei der Bundeszentrale für politische Bildung findet man folgende Definition: Mannhaftigkeit bezeichnet den Bereich der Resultate intersubjektiver Verständigung über "Männlichkeit", also das, was als personaler Ausdruck von Männlichkeit gesellschaftlich anerkannt wird.
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Stefan Effenberg galt zu seiner aktiven Zeit als Vorbild in Sachen Männlichkeit

Fotocredit: Getty Images

Das ist auch deshalb interessant, weil "ein echter Kerl" heute in Zeiten der woken Identitätssuche etwas anderes ist und sein muss als noch in den 1970er-Jahren und auch noch in Effes Zeiten.
Die Frage ist nur: Was muss ein echter Kerl heute sein? In Heidenheim, diesem 2:3-Offenbarungseid der Bayern vom Wochenende, konnte man jede Menge wohlstandsverwahrloste Muttersöhnchen (ich darf das sagen, ich bin selbst eines) übers Feld traben sehen, aber junge Männer, die Verantwortung übernahmen? "No Show", würde man Neudeutsch sagen.

Große sportliche Fehler…

Und so stellt sich die Frage: Ist die Bayern-Krise über das Sportliche hinaus vor allem auch eine Identitätskrise? Zerbröselt da gerade etwas unwiederbringlich, was seit ewigen Zeiten mit arroganter Selbstverständlichkeit mit "Mia san mia" ins Land geblökt wurde?
Natürlich, weil man groteske Fehler in der Klubführung gemacht hat: Wer würde Julian Nagelsmann heute noch einmal entlassen? Wer würde Thomas Tuchel heute noch einmal einstellen? Wer würde Oliver Kahn noch einmal zum Vorstandsvorsitzenden berufen?
Die Antwort ist einfach ein einziges Wort: Niemand!

Der FC Bayern und die Wokeness

Zur ganzen Wahrheit aber gehört wohl auch, dass gerade Bayern München mit seiner jährlichen Triple-A-Erfolgserwartung und dem konstanten Überdruck in Klub und Öffentlichkeit einen Spielertypus braucht, der dem standhalten, der das aushalten kann.
Und nicht nur das: der trotz des Drucks Führung kann. Echte Persönlichkeiten also, um mal die Begrifflichkeit des "Kerls" auszuradieren, unter dem Leroy Sané sicher was anderes verstehen würde.
Ein Kerl in der Disse ist was anders als eine Spielerpersönlichkeit in einem Stadion vor 80.000. Ein Thomas Müller in jung und mit Stammplatz war so einer, ein Joshua Kimmich in Topform und nicht verunsichert oder ein gesunder Manuel Neuer. Und dann kam Ehrgeizling Tuchel und hat mit Beginn seiner Bayern-Amtszeit seine ganz persönliche Erwartung noch dazu in den Klub gepumpt.
Noch mehr Druck für einen Kader, der viel mehr Ausdruck der Wokeness ist als die Bayern-Führung wahrhaben will und ihn auch gebrauchen kann. Und dann kommt der Eberl und spricht von fehlender Mannhaftigkeit.

Aufgepasst, Eberls Krisenmanagement

Das kann man gut, das kann aber auch schwach finden. Ausgerechnet Eberl mögen die Kritiker sagen, der selbst schon eine Auszeit nehmen musste, weil ihm der Druck zu viel wurde, spricht jetzt von "Mannhaftigkeit", erhöht also den Druck.
Andererseits: Die eigenen Schwächen öffentlich eingestehen zu können, gehört heute zum Mannsein dazu, es ist sogar eine Teildefinition moderner Männlichkeit.
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Als Krisenmanager gefordert: Max Eberl

Fotocredit: Getty Images

An der Personalie Eberl wird man später festmachen können, welche Schlüsse der FC Bayern anno 2024 in der größten Krise des letzten Jahrzehnts für sein Personalmanagement gezogen hat.
Egal wer nun von ihm geholt wird, der neue Trainer wie die neuen Spieler, sind es echte Persönlichkeiten, die Erwartungshaltung und Führungsanspruch ausbalancieren können? Oder nur wieder "echte Kerle", für die Mannhaftigkeit ein Fremdwort ist.
Das Gute ist: Schon am Dienstagabend in der Champions League bei Arsenal (ab 20:45 Uhr im Liveticker) können die Mannen des FC Bayern zeigen, dass sie keine Memmen sind.

Kommentare bei Eurosport.de geben stets ausschließlich die Meinung des/der jeweiligen Autors/Autorin wieder, nicht die der gesamten Redaktion.

ZUR PERSON: THILO KOMMA-PÖLLATH
Der Sportjournalist und Buchautor ("Die Akte Hoeneß") beleuchtet in seinem wöchentlichen Blog als das Geschehen in der Fußball-Bundesliga für Eurosport.de. Oft skeptisch, ironisch, kritisch - aber einer muss schließlich den Ball flach halten.
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