Tour-Aus für Peter Sagan - Kommentar: Das geht gar nicht!
Die vermeintliche Ellbogen-Attacke von Weltmeister Peter Sagan gegen Mark Cavendish beim Zielsprint der 4. Etappe ist der Aufreger bei der Tour de France. Die Jury griff knallhart durch und schloss den slowakischen Superstar vom Rennen aus. Beruhigt haben sich die Gemüter deshalb nicht, denn die Entscheidung wird kritisiert. War es falsch, Sagan zu disqualifizieren?
Peter Sagan bei der Tour de France 2017
Fotocredit: Imago
Ein Kommentar von Andreas Schulz
Sorry, das geht gar nicht.
Nein, nicht die Fahrweise von Peter Sagan auf der Zielgeraden von Vittel gegen Mark Cavendish.
Sondern die Entscheidung der Renn-Jury, den Weltmeister wegen dieser Szene aus der Tour zu werfen.
Nicht, weil in früheren Jahren anders entschieden wurde - eine konsequente Linie ist ein schöner Wert, aber die Radsport-Geschichte steckt voller fragwürdiger Beschlüsse. Wichtig ist die bestmögliche Entscheidung im konkreten Einzelfall.
Die wurde hier nicht getroffen. Besonders unverständlich ist der Ausschluss, weil das erste Urteil der Jury (Zeit- und Punktstrafe) wohl inzwischen von allen Beteiligten als akzeptabel beurteilt würde. Es hätte Sagan mit einiger Wahrscheinlichkeit um das Grüne Trikot gebracht, doch es wäre der Aktion angemessener gewesen als die jetzige Disqualifikation.
Warum? Weil schwerer Vorsatz dem Slowaken einfach nicht nachzuweisen ist. Bei genauer Betrachtung ist der Vorwurf eines üblen Ellbogenchecks unhaltbar: Cavendish ist schon aus der Balance, als Sagan den Ellbogen zur Seite bewegt - und der Brite war dabei, von hinten entlang der Barriere einen Weg durch eine Lücke zu suchen, die einfach nicht breit genug war.
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Sprint und Stürze: Das wilde Finale der 4. Tour-Etappe
Quelle: Eurosport
Sagan hat keines der klassischen No-Gos eines Sprints begangen: Er nahm nicht die Hand vom Lenker, er fuhr keine wilde Welle, er setze seinen Kopf nicht als Rammbock ein. Schuldlos ist er nicht, aber einen besonders schweren Fall von Unsportlichkeit kann ich beim besten Willen nicht erkennen.
Dass Cavendish selbst in seiner ersten Reaktion vor dem Teambus seine Sicht der Dinge sehr diplomatisch darlegte, ist übrigens ohne Frage ein Hinweis darauf, dass die Situation eben nicht so eindeutig war, wie sie nach einem schnellen Blick schien. Cavendish kann auch ganz anders losledern.
Strafe ja, aber diese Strafe nicht
Auch der Tenor von aktuellen Top-Sprintern (wie André Greipel) oder Ex-Stars (wie Robbie McEwen) war nach dem Abklingen der ersten Aufregung eindeutig: Strafe ja, aber diese Strafe nicht. Dem kann ich nur zustimmen.
Greipel hatte die Größe, nach anfänglicher Wut ("Hast versucht, mich umzubringen") später seinen Standpunkt zu revidieren ("Die Entscheidung ist zu hart"). Und, nur am Rande: Auch Etappensieger Arnaud Démare fuhr keinen lupenreinen Sprint in gerader Linie...
In jedem Fall muss die Jury im Sinne der Transparenz die Gründe ihrer Entscheidung darlegen. Denn dass Sagan durchaus eine Mitschuld am ersten Sturz im Finale haben könnte (1,5 Kilometer vor dem Ziel), scheint möglich - und ließe dann ein anders Gesamturteil über den Fahrstil des Weltmeisters auf dieser Etappe zu.
Insgesamt ist der Radsport nämlich auf dem richtigen Weg. Es wird genauer hingeschaut und strenger geahndet. Und Stars genießen keinen Sonderstatus mehr: Man denke nur an den Ausschluss von Romain Bardet bei Paris-Nizza im März, weil der Tour-Zweite aus Frankreich zu lange im Windschatten des Teamwagens fuhr. Oder an Vincenzo Nibali, der 2015 die Vuelta verlassen musste, nachdem er sich zu lange am Begleitfahrzeug festhielt.
Der Ausschluss von Sagan passt aber nicht in diese Reihe - er ist ein Fehlurteil und ein großer Verlust für die Tour, egal wie man zum Bora-Star steht. Klare Regeln und nachvollziehbare Urteile sind wichtiger, als Exempel zu statuieren.
Die Jury hätte die Größe haben sollen, ihr Urteil zu revidieren. So, wie sie es kurz nach der Etappe mit der Verschärfung der Strafe ja auch schon getan hatte.
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