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Bahrain: Hans-Joachim Stuck exklusiv über "Unrecht" gegen Mick Schumacher - Lobeshymnen auf Alonso und Verstappen
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Publiziert 06/03/2023 um 18:29 GMT+1 Uhr
Der Grand Prix von Bahrain erzählte viele Geschichten: Max Verstappen dominiert den Formel-1-Zirkus direkt zum Auftakt, Fernando Alonso gelingt bei seinem Debüt für Aston Martin ein einzigartiger Coup. Hans-Joachim Stuck ordnet die Geschehnisse in Sakhir im exklusiven Eurosport-Interview ein und erklärt, warum Mick Schumacher im vergangenen Jahr "doppelt Unrecht getan wurde".
Nico Hülkenberg (li.) und Mick Schumacher
Fotocredit: Imago
Der Dominanz von Max Verstappen und Red Bull scheinen auch in der Formel-1-Saison 2023 keine Grenzen gesetzt zu sein. Satte 40 Sekunden klafften zwischen dem Niederländer und dem Drittplatzierten Fernando Alonso. Ein Bild von Überlegenheit - das laut Hans-Joachim Stuck bislang aber nur zum Teil enthüllt wurde.
"Ich kann mir vorstellen, dass Verstappen mit diesem Vorsprung nicht alles gezeigt hat", erklärte der frühere Formel-1-Pilot im exklusiven Interview mit Eurosport. "Das heißt, dass Red Bull mehr in petto hat, als sie auf den Tisch gelegt haben." Auch wenn bei der Konkurrenz nun die "Alarmglocken schrillen", sei die Performance von Red Bull in Bahrain "noch kein Garant für den WM-Titel".
Neben dem Triumphzug der Bullen stand mit Fernando Alonso auch ein Altmeister im Mittelpunkt. Der 41-jährige Asturier bezauberte die Massen mit seinen Qualitäten auf dem Asphalt und schnappte sich sein insgesamt 99. Podium. "Mit seinen Kämpfen hat er das Herz eines jeden Motorsport-Fans höherschlagen lassen", schwärmte Stuck. "Er ist motiviert bis zu den letzten Haarspitzen."
Nico Hülkenberg erlebte indes ein Comeback mit gemischten Gefühlen. Der einzige deutsche Starter im Feld raste im Qualifying noch auf einen starken zehnten Platz, im Rennen wurde er aufgrund eines Frontflügelschadens in der ersten Runde durchgereicht. "Mich hat überrascht, dass er im Rennen so weit hinten war", sprach Stuck über die fehlende Pace des Haas-Boliden und fügte an: "Das zeigt, dass Mick Schumacher im vergangenen Jahr doppelt Unrecht getan wurde."
Das Interview führte Christoph Niederkofler.
Herr Stuck, irgendwie hatte man in Bahrain das Gefühl das fast alles beim Alten geblieben ist - aber eben nur fast. Aston Martin und Fernando Alonso sorgten wohl für die größten Schlagzeilen. Wie schätzen Sie diesen einzigartigen Coup ein?
Hans-Joachim Stuck: Zunächst einmal Komplimente an Red Bull, Max Verstappen und Sergio Pérez. Chapeau! Die Performance von Aston Martin war für mich aber das Highlight des Rennens, speziell von Fernando Alonso. Mit seinen Kämpfen hat er das Herz eines jeden Motorsport-Fans höherschlagen lassen. Wie er im Duell mit Carlos Sainz agiert hat - das war wirklich Motorsport pur! So stellt man sich das vor, dass man vom Sessel aufspringt und schreit: "Super! Toll, wie er das gemacht hat!". Das war schon große Klasse und lässt auf einiges hoffen.
Stichwort Alonso: Was trauen Sie dem Altmeister in diesem Aston Martin zu?
Stuck: Alonso ist alles andere als alt. Da sieht man, was für eine große Rolle die Erfahrung spielt. Er ist motiviert bis zu den letzten Haarspitzen. Aston Martin hat ein starkes Team und Mike Krack ist der passende Mann an der Spitze, der sich auskennt und den Rennstall anführt. Sie sind auf einem erfolgversprechenden Weg und haben sich über den Winter in die richtige Richtung entwickelt. Da kann man schon auf ein paar gute Ergebnisse hoffen. Ob sie das Niveau von Red Bull erreichen... das wird schwierig. Wenn man die Distanz sieht, die Verstappen auf Pérez rausgefahren hat und wie weit Pérez vor dem Rest gelegen hat, ist das auf der einen Seite genial, auf der anderen aber auch bedenklich.
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Fernando Alonso feiert auf dem Podium mit Max Verstappen
Fotocredit: Imago
Alonsos Teamkollege Lance Stroll hat trotz seiner jüngsten Hand-OP und eines gebrochenen Zehs mit P6 das Traum-Wochenende von Aston Martin abgerundet. Gelingt dem Kanadier in dieser Saison der endgültige Durchbruch?
Stuck: Mit Sicherheit! Man sieht es ganz deutlich: Wenn das Auto passt, dann kann er auch vorne mitfahren. Besonders mit Blick auf seine Handverletzung kann man nur den Hut ziehen. Für Lance wird es aber sicher schwierig, sich auf einer Höhe mit Alonso zu bewegen. Die Erfahrungswerte, die Alonso hat, kann ihm keiner mehr wegnehmen. Lance muss sich aber nicht schämen, hinter seinem Teamkollegen zu sein. Wenn ihm ein paar Zehntelsekunden fehlen, ist das überhaupt nicht schlimm. Vielmehr kann er darauf stolz sein. Es wird ein Lernjahr für ihn. Alonso ist sehr kommunikativ, er muss nichts verheimlichen - für Lance ist das in jeglicher Hinsicht eine Win-Win-Situation.
Aston Martin befindet sich auf einem Höhenflug - ausgerechnet in dem Jahr nach Sebastian Vettels Abschied. Glauben Sie, dass er seine Entscheidung bereut?
Stuck: Das ist seine Entscheidung, er muss das fühlen. Er hat einen neuen Weg in seinem Leben eingeschlagen. Für lange Zeit war er mega erfolgreich. Wenn er sich dann dazu entscheidet, sich um seine Familie zu kümmern und ein anderes Leben zu führen, muss er das auch konsequent durchziehen. An seiner Stelle würde ich mich eher für Aston Martin freuen - weil es unter anderem seine Arbeit ist, dass sie nun vorne mitfahren.
Max Verstappen hat den Auftakt in Bahrain nach Belieben dominiert. George Russell meinte schon, die Bullen gewinnen alle Rennen. Können Red Bull und der Weltmeister nach dieser Performance überhaupt noch aufgehalten werden?
Stuck: Abwarten und Tee trinken, die Saison ist noch lang. Da würde ich mir nach dem ersten Rennen keine Sorgen machen. Red Bull hat jetzt die Benchmark gesetzt und die Konkurrenz weiß, wo sie hin muss - und da steht auch nichts still. Die Teams werden sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten weiterentwickeln. Zum Beispiel bin ich mir bei Mercedes sicher, dass die noch etwas im Köcher haben. Red Bull hat aufgezeigt, dass sie eine Top-Top-Performance abliefern können. Aber das Ergebnis in Bahrain ist noch kein Garant dafür, den WM-Titel zu holen. Auf keinen Fall.
Trotzdem sprechen knapp vierzig Sekunden Vorsprung auf den dritten Platz eine klare Sprache.
Stuck: Eines muss ich sagen: Ich bin davon überrascht, wie weit Red Bull vorne ist. Zumal ich mir vorstellen kann, dass Verstappen mit diesem Vorsprung nicht alles gezeigt hat. Das heißt, dass Red Bull mehr in petto hat, als sie auf den Tisch gelegt haben. Verstappen musste nicht das gesamte Rennen hundert Prozent geben. Das muss die Konkurrenz zusätzlich berücksichtigen. Da schrillen sicher die Alarmglocken. Im Motorsport kommt es aber häufig vor, dass ein Fahrer die gesamte Klasse dominiert. Wenn man sich das Paket von Red Bull anschaut - das kommt nicht von ungefähr. Das funktioniert, da herrscht Harmonie. Zusätzlich kann das Team auf den Erfolgen der vergangenen Jahre aufbauen.
Darüber hinaus hat man mit Max Verstappen einen Ausnahmefahrer. Für mich ist Max in diesem Feld der beste Fahrer. Das spiegelt sich auch in den Ergebnissen wider. Vor dem Rennen habe ich darauf gehofft, dass ihm Pérez etwas näher kommen würde. Natürlich könnte man jetzt einwerfen, dass er die klare Nummer zwei ist. Aber Max ist einfach eine außergewöhnliche Persönlichkeit - sensationell! Und da haben wir das nächste Problem: Was würde passieren, wenn wir Hamilton in den Red Bull und Verstappen in den Mercedes setzen würden? Ich würde gerne sehen, was dann geschieht. Das wäre eine interessante Geschichte.
Zu solchen Gedankenspielen lässt man sich gerne hinreißen...
Stuck: Allein wenn man sich die Statements von Verstappen anhört. "Ich bin deshalb so gut, weil ich weiß, dass ich der Beste bin" - der strotzt nur so von Selbstbewusstsein. Aber der Hund hat ja recht! Das muss man ihm dann lassen und letzten Endes auch gönnen. Max hat seine Einstellung, ist sich seiner Überlegenheit bewusst und fährt meiner Meinung nach am besten. Er befindet sich so konsequent am Limit. Unglaublich!
Wenn es um die Weltmeisterschaft geht, würde auch Ferrari gerne eine Rolle spielen. Der technische Defekt bei Charles Leclerc wurde aber wieder einmal zum herben Dämpfer für die Scuderia und erinnerte an die Probleme der letzten Saison. Wie kann ein so großes Team wie Ferrari die Zuverlässigkeit nicht in den Griff bekommen?
Stuck: Das ist eine gute Frage, das beschäftigt mich auch oft. Mit Frédéric Vasseur hat Ferrari den richtigen Mann an der Spitze, der weiß, worauf es im Motorsport ankommt. Aber auch er braucht eine gewisse Zeit, um seine Fähigkeiten und seine Erfahrungen einzubringen. Ferrari ist natürlich ein großes Team, was da alles dranhängt. Man spricht in Italien ja oft - in positiver Hinsicht - vom "grande casino" (dt. großes Durcheinander). Daher wird es auch ein bisschen dauern, bis sie auf das erhoffte Niveau kommen.
Die erneuten Motorenprobleme bei Leclerc kann ich hingegen nicht nachvollziehen. Das ist nämlich eine bekannte Geschichte bei Ferrari. Natürlich kann einmal etwas schiefgehen. Aber ich bin mir sicher, dass sie sich im Gegensatz zu früheren Zeiten zusammensetzen, nachbessern und darüber nachdenken, wie es weitergeht. Da wird wohl auch von oben sehr viel Druck kommen. Dafür ist Vasseur der richtige Mann. Die Performance ist ja nicht schlecht, da kann man nichts sagen. Aber bei Ferrari raucht die Küche.
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Charles Leclerc wurde sein eigener Motor zum Verhängnis
Fotocredit: Getty Images
Ferrari hat nach dem Rennen viel Zeit damit verbracht, sich zu rechtfertigen und klargestellt, dass so ein Fehler im ganzen Winter noch nicht vorgekommen ist. Toto Wolff hat dagegen ganz klar herausgestellt, was bei Mercedes nicht läuft. Fehlt bei Ferrari so ein bisschen das Problembewusstsein?
Stuck: Für uns als Außenstehende ist es sehr schwierig, die internen Abläufe einzuschätzen. Wir sehen die Performance und das Ergebnis, die Prozesse im Team bleiben uns aber verborgen. Frédéric Vasseur und Toto Wolff wissen hingegen ganz genau, welche Möglichkeiten sie haben und was zwischen zwei Rennwochenenden angepackt und verändert werden kann. Beim Auftakt in Bahrain wurde das Fundament für die Saison gelegt. Im Vergleich mit Red Bull und Aston Martin müssen Ferrari und Mercedes mit Sicherheit die größeren Schritte machen. Die Frage ist nun, wie schnell man das hinbekommt.
Mercedes beschreitet mit den neuen Seitenkästen einen neuen Weg. Wir wissen aber nicht, ob das richtig oder falsch war, weil wir nur das Ergebnis sehen. Selbst ein Toto Wolff sagt, dass er sich selbst feuern müsste. Das ist zwar eine gute Erkenntnis, aber das hilft ihnen auch nicht weiter. Ich kann mir für Mercedes keinen besseren Teamchef vorstellen als Toto Wolff. Als früherer Rennfahrer und Teilhaber des Rennstalls weiß er, wie es funktioniert. Die müssen nur einmal die Hausaufgaben richtig machen. Mercedes hat seine Standortbestimmung und das ist der Ausgangspunkt für die kommenden Rennen. Auf Mercedes kommen keine lustigen Zeiten zu.
Kommen wir zum einzigen deutschen Fahrer im Feld. Nico Hülkenberg hat ein ausgezeichnetes Qualifying gefahren, im Rennen wurde er dann durchgereicht. Wie schätzen Sie sein Comeback ein?
Stuck: Nico hat auf jeden Fall gezeigt, dass er schnell ist. Mich hat überrascht, dass er im Rennen so weit hinten war. Das zeigt, dass Mick Schumacher im vergangenen Jahr doppelt Unrecht getan wurde. Das Auto kann im Rennen nicht im Bereich der Top 10 mitfahren, es ist einfach nicht so weit. Qualifying und Rennen sind immer verschiedene Paar Schuhe. Nico wird in den kommenden Wochen sicher seinen Beitrag dazu leisten, dass sich daran etwas ändern wird. Dafür muss man ihm auch etwas Zeit geben. Mit Blick auf seine Leistung und seinen Speed war er aber voll dabei.
Neben Verstappen und Alonso haben auch einige andere Fahrer ihre Qualitäten in der Wüste von Bahrain unter Beweis gestellt. Wen sollte man ihrer Meinung nach für diese Saison besonders im Auge behalten?
Stuck: Alexander Albon hat beispielsweise einen super Job gemacht - trotz der gefärbten Haare. (lacht) Das war große Klasse. Bei den Newcomern wie Nyck de Vries oder Oscar Piastri muss man hingegen noch abwarten, wie sie sich an das System gewöhnt haben. Grundsätzlich war der Einstieg von den Debütanten aber gut, man darf keinem von denen etwas Böses nachsagen.
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Quelle: Perform
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