GP von Brasilien: Hans-Joachim Stuck exklusiv zum Regen-Chaos - Beschwerden der Rennfahrer einfach nur lachhaft
Update 05/11/2024 um 08:09 GMT+1 Uhr
Regen und die Formel 1, das passt nur selten zusammen. Der Grand Prix von Brasilien war von vielen Verschiebungen und Unterbrechungen geprägt, die Fahrer hatten mit den großen Wassermengen auf der Strecke zu kämpfen. Die Beschwerden der Piloten waren im Anschluss nicht zu überhören. "Das ist ja lachhaft", reagiert Motorsport-Legende Hans-Joachim Stuck im exklusiven Interview auf die Klagen.
Wahnsinn in São Paulo: Verstappen triumphiert im Regen
Quelle: Eurosport
Unfälle, Safety Car und Rote Flagge - der Alltag bei einem verregneten Grand Prix weicht nur in Ausnahmefällen von diesem Schema ab. In São Paulo war es wieder soweit, der Regen bestimmte das Geschehen auf dem legendären Autódromo José Carlos Pace.
Nach 30 Runden kam das Safety Car erstmals zum Einsatz, laut George Russell seit die Strecke zu diesem Zeitpunkt "unbefahrbar" gewesen. Für Außenstehende sind solche Beschwerden nur schwer nachzuvollziehen, immerhin wehrten sich die Fahrer mit Händen und Füßen gegen die Regenreifen und hielten an den Intermediates fest. Im Grunde sorgten sie damit selbst für die beinharten Bedingungen.
"Das ist ja lachhaft. Sind das Rennfahrer oder nicht?", hinterfragt der ehemalige Formel-1-Pilot Hans-Joachim Stuck die Aussagen von Russell. "Das ist ja keine Fahrt am Kurfürstendamm zum Kaffeetrinken."
Weltmeister Max Verstappen löste die Situation indes mit Bravour und befindet sich auf bestem Weg zu seinem vierten Titel in Folge. "Für das Imperium Verstappen war das ein sehr wichtiger Tag", schlussfolgert Stuck.
Herr Stuck, der Grand Prix von Brasilien stand ganz im Zeichen des Regens und war von zahlreichen Unterbrechungen und Verschiebungen geprägt. Für den Außenstehenden waren einige Entscheidungen nur schwierig nachzuvollziehen - wie blicken Sie auf das Chaos von São Paulo?
Hans-Joachim Stuck: Das fängt schon bei den Verschiebungen der Freien Trainings an. Im Rennen fahren sie ja auch bei solchen Bedingungen, warum im Training nicht? Das gibt auch jenen Leuten eine Chance sich zu beweisen, die nicht im besten Auto sitzen. Schaut man sich die Streckenverhältnisse an, hätte man sich die Verschiebungen sparen können. Einerseits geht die Sicherheit natürlich vor, andererseits sitzen da die besten Rennfahrer der Welt im Auto. Und wenn es mal an einer Stelle rutschig sein sollte, muss man eben vom Gas gehen.
Selbst bei starkem Regen blieb der Großteil der Fahrer auf den Intermediates, verursachte Unfälle und beschwerte sich anschließend über zu gefährliche Bedingungen - obwohl sie sich wissentlich gegen die für solche Verhältnisse vorgesehenen Reifen entschieden haben. Wie passt das zusammen?
Stuck: Der Formel 1 fehlt in gewisser Hinsicht eine Master-Entscheidung: Wer danach noch will, der fährt. Und wer nicht will, bleibt eben draußen. Das ist aktuell einfach komisch geregelt. Bernd Mayländer kennt sich aus, er kann aus dem Safety Car heraus beurteilen, ob eine Fortsetzung noch Sinn macht. Früher, als die Strecken noch nicht in einem solch guten Zustand waren, hat sich kein Mensch darüber aufgeregt, dass es regnet. Und heute, wo die Kurse in einem tip-top Zustand sind, werden Trainings verschoben, weil es ein bisschen regnet. Das finde ich unmöglich.
Russell sprach nach dem Rennen davon, dass die Strecke vor dem ersten Safety Car nicht befahrbar gewesen sei. Der Mercedes-Pilot war aber nur auf Intermediates unterwegs…
Stuck: Das ist ja lachhaft. Und selbst wenn - sind das Rennfahrer oder nicht? Fahren die nur bei perfekten Bedingungen? Dann muss man eben vom Gas gehen, die Situation meistern. Im Regen verhält es sich wie mit einer Ölspur auf der Strecke: Wenn ich nicht vom Gas gehe, fliege ich ab. Damit müssen Rennfahrer von diesem Format fertig werden. Das ist ja keine Fahrt am Kurfürstendamm zum Kaffeetrinken. Wenn Bernd Mayländer sagt, dass es möglich ist, dann muss gefahren werden. Ganz klar.
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George Russell beschrieb die Strecke als phasenweise unbefahrbar
Fotocredit: Getty Images
Wenn es eine Vorgabe geben würde, Rennen bei starkem Regen nicht zu unterbrechen, wären die Teams immerhin gezwungen, auf Regenreifen umzusteigen. Wie sinnvoll wäre eine solche Regelung?
Stuck: Das würde auf jeden Fall Sinn machen. Wozu haben wir denn die Regenreifen? Man könnte den Wechsel auch verpflichtend machen und wie bei einer Gelbphase ein Signal geben, damit die Fahrer innerhalb von ein oder zwei Runden einen Stopp einlegen und Regenreifen montieren müssen. Das wäre eine Lösung.
Ob Alonso, Sainz oder Pérez - nicht nur junge Fahrer kamen mehrmals von der Strecke ab, sondern auch die Routiniers. Hängen die vermehrten Abflüge mit den Autos zusammen oder ist gar die Qualität der Fahrer etwas gesunken?
Stuck: Das sind manchmal auch nur einfache Fahrfehler. Für mich zeugen solche Vorfälle davon, dass sie extrem ans Limit gehen. Mit den Autos ist das aber nun mal ein Ritt auf der Rasierklinge. Jeder hat einen äußerst geringen Lenkwinkel, man kann also nur minimal gegensteuern. Natürlich ist es unschön, wenn sie abfliegen. In gewisser Hinsicht ist das aber eine Auszeichnung, sie haben ihre Aggressivität nicht verloren. Im Regen muss das Popometer noch genauer eingestellt sein als sonst. Zudem brechen die Autos heutzutage sofort aus, wenn man eine weiße Linie nur ganz leicht berührt. Da hat man als Fahrer kaum eine Chance, den Wagen wieder einzufangen. Dass die Piloten trotzdem ans Limit gehen, finde ich toll.
Max Verstappen stieg in Brasilien zum Regengott auf. Von P17 zum Sieg - wie kann man das Spektakel in Worte fassen?
Stuck: Es war ein Höllenritt. Verstappen war nach dem Qualifying angefixt, in seinem Kopf hieß es nur noch: Jetzt oder nie! Er hat einmal mehr bewiesen, dass er momentan der allerbeste Fahrer ist. Seine Überholmanöver, dazu eine fehlerfreie Fahrt - das war beeindruckend. Man hat ihn auf dem Podium auch lange nicht mehr so glücklich gesehen wie gestern. Das war eine Max-Verstappen-Meisterleistung. Da kann man nur sagen: 35-mal den Hut ziehen bis zum Boden.
Drei Rennen vor Schluss liegt Verstappen im WM-Kampf nun 62 Punkte vor Lando Norris. Ist ihm der Titel noch zu nehmen?
Stuck: Das war ein sehr wichtiger Schritt in Richtung Titel. Es müsste schon völlig wild zugehen, damit er ihn nicht gewinnt. In dieser Saison ist es für ihn und Red Bull nicht immer gut gelaufen. Aber er hat seine Stärke bewiesen und die Motivation behalten, er hat hart gekämpft - manchmal vielleicht etwas zu hart, aber dafür wurde er auch bestraft. Mit dem Sieg in Brasilien hat er jedoch wieder unterstrichen, dass er uneingeschränkt der Beste ist.
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Formel 1: Max Verstappen (Red Bull) feiert seinen Sieg 2024 in São Paulo
Fotocredit: Getty Images
In den Phasen, wo Verstappen angreifbar gewesen wäre, fehlte der Konkurrenz einfach die Konstanz. Das bringt uns direkt zu seinem ärgsten Verfolger Lando Norris: Muss man dem Briten einen Vorwurf machen, dass er auch in São Paulo nicht zur Stelle war?
Stuck: Im Regen muss man natürlich miteinbeziehen, ob man über ein Auto verfügt, das gut darauf eingestellt ist und vom Fahrer beherrscht werden kann. Vielleicht hat das Setup nicht seinen Vorstellungen entsprochen. Norris hat gekämpft, aber auch Fehler gemacht. Und er ist kein Max Verstappen. Punkt. Für einen Fahrer wie ihn ist das aber ein zusätzlicher Ansporn, aus dieser Niederlage kann er noch viel lernen.
Das Potenzial zum Weltmeister ist bei Norris also da?
Stuck: Absolut. Wenn Norris im richtigen Auto sitzt, zählt er zu den Besten. In der aktuellen Saison profitierte Verstappen eben von seinem Vorsprung an Erfahrung. Zudem hat er im Regen einfach das bessere Popometer. Auf diese Leistung kann er richtig stolz sein. Das war im Übrigen auch wichtig für Red Bull. Das Team hat gesehen, dass es auf dem richtigen Weg ist. Für das Imperium Verstappen war das ein sehr wichtiger Tag.
Vielleicht hat Verstappen dadurch zusätzliche Motivation geschöpft, der Formel 1 erhalten zu bleiben.
Stuck: Absolut, Gott sei Dank. Den brauchen wir noch ein bisschen für das Entertainment.
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