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Ferrari und Red Bull zeigen Mercedes beim Großen Preis von Singapur bislang die Grenzen auf

VonMotorsport-Total.com

Publiziert 20/09/2015 um 10:05 GMT+2 Uhr

Wenn die Formel 1 in Singapur Einzug hält, ist so vieles anderes. Auf dem 5,065 Kilometer langen Stadtkurs drehen die Boliden nicht wie sonst unter Tageslicht ihre Runden, sondern in den Abendstunden unter Flutlicht. An diesem Wochenende ist zudem die Hackordnung im Feld eine gänzlich andere als es bei den bisherigen Saisonläufen der Fall war. Dies wurde im Qualifying besonders deutlich.

Lehren Mercedes in Singapur das Fürchten: Ferrari und Red Bull

Fotocredit: Imago

Nachdem Mercedes-Pilot Lewis Hamilton bei den ersten zwölf Qualifyings in dieser Saison elfmal auf die Pole-Position gefahren war und die einzige nicht von ihm errungene Pole vom eigenen Teamkollegen Nico Rosberg eingenommen wurde, waren die beiden Silberpfeil-Piloten am Singapur-Samstag noch nicht einmal Teilnehmer der obligatorischen Top-3-Pressekonferenz. Mehr als die Startplätze fünf und sechs hinter beiden Ferrari- und beiden Red-Bull-Piloten war für Hamilton und Rosberg auf dem Marina Bay Street Circuit nicht zu holen. Ihr Rückstand auf Polesetter Sebastian Vettel betrug 1,4 beziehungsweise 1,5 Sekunden.
Somit ist die Serie an aufeinanderfolgenden Pole-Positions für das Mercedes-Team bei 23 gerissen. Das bedeutet, dass der Rekord in dieser Hinsicht weiter bei Williams verbleibt. Mit Nigel Mansell, Riccardo Patrese, Alain Prost und Damon Hill brachte es Williams 1992/1993 saisonübergreifend auf 24 Pole-Positions in Folge. Was für Mercedes gilt, gilt in ähnlicher Form auch für Hamilton. Der Brite stand zuletzt siebenmal in Folge auf der Pole. Mit einer weiteren Qualifying-Bestzeit hätte er den Rekord seines Idols Ayrton Senna eingestellt. Der Brasilianer brachte es 1988/1989 saisonübergreifend auf acht Pole-Positions in Folge.

"Watsch'n" von Ferrari und Red Bull

Stattdessen war es Vettel, der am Samstagabend um 22:00 Uhr Ortszeit über seine erste Pole-Position in Diensten von Ferrari jubelte. Für die Scuderia aus Maranello ist es die erste Pole seit Hockenheim 2012, damals eingefahren von Fernando Alonso. Während im Lager der Roten beste Stimmung herrscht, weil sich auch Kimi Räikkönen vor beiden Mercedes-Piloten qualifizierte, ist im Mercedes-Lager weiter Rätselraten angesagt.
Bezüglich der Ursache für die - Originalton Toto Wolff - "Watsch'n" unter dem Flutlicht von Singapur tappt man auch Stunden nach dem Ende des Qualifyings sprichwörtlich im Dunkeln. "Aus welchem Grund auch immer funktionieren die Reifen an unserem Auto nicht", betont Hamilton und fügt hinzu: "An der Ursache bin ich sehr interessiert. Waren es die Reifendrücke? Waren es die Temperaturen? Waren es die Heizdecken? War es die Bodenfreiheit? Ich würde die Ursache sehr gern kennen."

Rosberg: "Vettel wie auf einem anderen Planeten"

Von Balanceproblemen könne jedenfalls keine Rede sein, wie der WM-Spitzenreiter betont. "Ich habe hundertprozentiges Vertrauen im Auto. Die Balance war gut. Ich hatte kein Untersteuern. Sicher, die Traktion und der Grip waren nicht überragend, aber die Balance war wirklich gut", bemerkt Hamilton. Dies treibt ihm die Fragezeichen allerdings nicht aus dem Gesicht - im Gegenteil: "Ich kann mich an keine andere Phase in meiner Karriere erinnern, in der wir nichts am Auto verändert haben, auf einmal aber eineinhalb Sekunden zu langsam waren. Es ist wirklich seltsam."
Ferrari-Pilot Vettel, der mit seiner Pole-Runde in Q3 für das Ende der silbernen Pole-Position-Serie verantwortlich war, rätselt ebenfalls. "Sie haben ein sehr gutes Auto, einen sehr guten Antriebsstrang. Das wissen wir. Das sorgt für gewöhnlich dafür, dass sie weit vorne und schwer zu schlagen sind. Ich weiß nicht, doch sie müssen ein paar Probleme damit haben, müssen sich nicht richtig wohl fühlen. Das ist, glaube ich, die einzige Erklärung."

Große Verwunderung über Vettels Leistungsstärke

"Überrascht sind wir alle. Das haben wir nicht kommen sehen", verleiht auch Rosberg seiner Verwunderung über den großen Rückstand auf Ferrari (und Red Bull) Ausdruck. "Wir haben sehr, sehr viel probiert, haben es aber nicht geschafft, Fortschritte zu erzielen. Es kam immer wieder dasselbe heraus. Wir hatten einfach zu wenig Grip", befindet der Deutsche.
Neben der Verwunderung über die Mercedes-Performance zeigt sich Rosberg in gleichem Maße überrascht davon, dass es bei Ferrari plötzlich umso besser lief. "Wenn ich mir Sebastians Onboard-Aufnahmen anschaue, dann sieht es so aus, als würde er in manchen Kurven wie auf einem anderen Planeten fahren. Das sehe ich direkt. Da brauche keine Geschwindigkeitsmessung, kein gar nichts. Mein Auge sagt mir, dass er da einige km/h mehr drauf hat."

Vettel mit "unglaublichen" Qualifying

Dass im Duell Mercedes gegen Ferrari diesmal die Italiener die Oberhand behalten würden, sei Rosberg schon früh im Qualifying klar geworden. Auf die Frage, wann er realisiert habe, dass es schwierig wird, antwortet der aktuelle WM-Zweite: "Als Vettel seine erste Runde mit dem Prime hingeknallt hat. Die war unglaublich." Die Mercedes-Piloten mussten in Q1 sogar den Option-Reifen (Supersoft) aufziehen lassen, um das von Ferrari und auch von Red Bull auf dem Prime (Soft) vorgelegte Tempo mitgehen zu können.
"Im zweiten und dritten Sektor verliert Ferrari über die Reifen gar nichts", hat Williams-Pilot Felipe Massa beobachtet und lässt wissen: "Für uns ist das viel sensibler. Es war nicht einfach, die Reifen richtig zum Arbeiten zu bringen." So vermutet der Brasilianer: "Vielleicht hat Mercedes die gleichen Schwierigkeiten."

Ferraris Trumpf: Die hohe Luftfeuchtigkeit

Dabei gehe es "nicht darum, wie man die Reifen aufwärmt, sondern darum, wie man die Temperatur in den Reifen behält",wie Massa betont. "Wir nutzen die Reifen von Kurve zu Kurve, aber Ferrari belastet sie offenbar weniger. Sie haben das Rennen in Malaysia gewonnen, wo es auch heiß ist und die Luftfeuchtigkeit hoch ist. Vielleicht hat es damit etwas zu tun", so der Williams-Pilot.
Niki Lauda, Aufsichtsratsvorsitzender des Mercedes-Teams, erklärt es so: "Das Fenster, in dem der Reifen arbeiten soll, ist recht klein. Etwas heißer oder etwas kühler, dann bist du noch drin. Doch wir sind da nicht drin. Wir sind unter dem Fenster. Wenn du das Fenster hier nicht findest, kannst du das Auto nicht einstellen."

Charakteristik der Strecke als Ursache?

Immerhin: Hamilton sieht "keinen Grund, dass uns dieses Problem weiterverfolgen sollte. Vielleicht liegt es nur an der Strecke". Rosberg bestätigt: "Wir glauben, dass es mit der Strecke und nicht mit den Reifen zusammenhängt. Vermutlich bereitet uns einfach diese eine Strecke solche Probleme. Sicher wissen wir das aber nicht."
Den Verdacht, dass die Charakteristik des Stadtkurses in Singapur für die ungewöhnlich schwache Mercedes-Performance verantwortlich ist, hat auch Toto Wolff. "Uns fehlte einfach generell der Grip. Wir haben aber auch schon im vergangenen Jahr gesehen, dass diese Strecke diejenige war, auf der wir den geringsten Vorsprung auf die anderen Teams hatten", sagt der Mercedes-Motorsportchef, hat als Erklärung aber auch nicht mehr als "es ist einfach eine ganz besondere, eine einzigartige Strecke", parat.

Kombination aus verschiedene Faktoren bremsen Mercedes

Nun ist die Charakteristik des Singapur-Stadtkurses den Teams von unzähligen Simulationen und Erfahrungswerten aus den vergangenen Jahren bekannt. Schwer vorstellbar, dass Mercedes ausgerechnet mit dem bislang so überzeugenden F1 W06 eiskalt überrascht worden sein soll. Bei näherer Betrachtung vermutet Wolff daher eine Kombination aus verschiedene Faktoren als mögliche Ursache für den großen Rückstand auf die Spitze.
"Ich glaube, es ist einfach eine Kombination aus dem Setup und dem mechanischen Grip, den wir aus dem Reifen herausholen können. Wir haben es einfach nicht geschafft, das Auto ins richtige Arbeitsfenster der Reifen zu bringen. Um jedoch genau das zu schaffen, müssen alle Werte genau stimmen - Bodenfreiheit, Radsturz, Reifendruck, Temperatur der Reifen und der Strecke. Es gibt so viele Faktoren, die eine Rolle spielen", so Wolff.

"Von Ferrari empfohlener Reifendruck" nicht die Ursache

Am Reifendruck allein soll es jedenfalls nicht gelegen haben. Als Wolff dies zu unterstreichen versucht, unterläuft ihm ein für Erheiterung sorgender Versprecher. "Die von Ferrari, äh von Pirelli, vorgegebenen Mindestwerte waren kein Problem. Keiner dieser Reifendruckwerte hatte einen Einfluss auf unser Setup", versichert der Mercedes-Motorsportchef, um nachdrücklich zu betonen: "Wir lagen deutlich innerhalb der Limits."
Niki Lauda bestätigt: "Der Reifendruck ist hier, wie er immer war. In Monza haben sie das wegen der Probleme in Spa erhöht. Hier sind wir aber wieder zum Normalzustand zurückgekehrt, den wir immer hatten - wie zum Beispiel in Monte Carlo. Das hatte auf unsere Probleme mit Sicherheit keine Auswirkungen."

Button begrüßt Verschiebung derKräfteverhältnisse

McLaren-Pilot Jenson Button begrüßt die Verschiebung des Kräfteverhältnisses an der Spitze. "Man kann Mercedes nicht absprechen, dass sie einen überragenden Job gemacht haben. Sie diesmal mit eineinhalb Sekunden Rückstand zusehen, ist gut für den Sport. Und eigentlich ist es auch für Mercedes gut. Denn jetzt sehen sie, dass sie Konkurrenz bekommen. Das gibt dem Ganzen etwas Würze. Das ist großartig und hoffentlich geht das so weiter, doch da bin ich mir nicht so sicher."
Wenngleich die abschließende Ursache für die erste Qualifying-Schlappe des Mercedes-Teams seit Spielberg 2014 noch nicht gefunden ist, so ist Motorsportchef Wolff schon jetzt überzeugt: "Das ist jetzt das erste Mal, dass wir derart hart getroffen wurden. Das wird uns für die Zukunft intelligenter und stärker machen." Wobei er mit Zukunft wohl eher nicht den Renntag in Singapur meinen dürfte...
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