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LIGAstheniker - Der tüchtige Thomas Tuchel: Überfordert er den BVB?

Thilo Komma-Pöllath

Update 19/12/2016 um 15:43 GMT+1 Uhr

In den Augen von Eurosport-Kolumnist Thilo Komma-Pöllath hält sich BVB-Coach Thomas Tuchel für besser als sein Team - und das Team weiß es. Pep Guardiolas Hybris, dass keiner so viel vom Spiel versteht wie er und alle anderen nur bessere Trainerdarsteller sind, schwingt auch bei ihm mit. Nur: Wird man Tuchel seine peppige Art in Dortmund auf Dauer durchgehen lassen?

Wehrt sich gegen die Vergleiche mit Pep Guardiola: BVB-Coach Thomas Tuchel

Fotocredit: Imago

Borussia Dortmund, das ist der Klub, der gerne mal den Teufel an die Wand malt, weil er sich selbst für das Christkind hält.
"Echte Liebe" lautet konsequent der Slogan der Schwarz-Gelben. Also 100 Prozent gefühlsecht die Selbstwahrnehmung und die Beziehung zwischen Klub und Anhängerschaft. Wir lieben wirklich und Ihr (gemeint ist der Ligarest) nicht! Das soll das wohl heißen.
Nüchtern betrachtet ist das natürlich genauso dämlich wie das "Mia-San-Mia“-Auserwähltenmantra des FC Bayern München.
Besonders deutlich wird die eigene Unschuld gerne in den Legionen von Interviews präsentiert, die Vorstandsboss Hans-Joachim Watzke in den vergangenen Jahren mit Stoßrichtung Bayern München gegeben hat, um Geldbeutel, Gefräßigkeit und Größenwahn des Ligabesten zu monieren.
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Julian Weigl und seine BVB-Kollegen

Fotocredit: Imago

Dass der ewige Branchenzweite gleich unterhalb der FCB-Kennzahlen das 3G-Prinzip ebenfalls in Perfektion beherrscht - mit dem, was die Bayern liegen lassen, wird dabei gerne mal übersehen.
Wie sehr der BVB den Bayern nacheifert, lässt sich gut an der Trainerposition beobachten. Thomas Tuchel, dem deutschen Pep Guardiola, soll in Dortmund gelingen, was dem katalanischen Original in München verwehrt geblieben ist: den Klub auf ein nie dagewesenes Niveau heben in Bezug auf Spiel und Titel. Ob ihm das gelingt, ist zumindest fraglich. Der BVB wirkt zur Winterpause zunehmend überfordert.

Wo ist der Tuchel-Effekt?

Mittendrin statt nur dabei, das war mal ein gängiger Bundesliga-Slogan in den 90er Jahren. Nur mittendrin ist eben nicht genug für den BVB anni 2016/2017. Platz 5, zehn Punkte hinter Tabellenführer Bayern, die direkte Champions League-Qualifikation, das offizielle Saisonziel, ungewiss. Das ist zu wenig für einen Multimillionenkader (allein Mario Götze & André Schürrle kosteten 56 Mio.) und gewiss nicht das, was man einen Tuchel-Effekt nennen kann.
Auffallend ist: Gegen die Kleinen wie den SV Darmstadt 98 und den SC Freiburg oder die neuen Katastrophenklubs Hamburger SV und VfL Wolfsburg reicht es dicke. Aber mit Ausnahme des Bayern-Spiels (1:0) gelang gegen kein Team der Spitzengruppe - nicht gegen die TSG 1899 Hoffenheim am Wochenende, nicht gegen RB Leipzig, Eintracht Frankfurt, den 1. FC Köln oder Hertha BSC - ein Sieg.
Warum ergibt sich die Mannschaft auf dem Platz oft so kleinlaut, wo doch das Selbstbewusstsein des Trainers fast physisch zu greifen ist? "Außergewöhnlich" nannte er die Reaktion seines Teams nach dem Hoffenheim-Spiel (2:2), das irgendwie dumm gelaufen war, schon richtig. Aber wieder war es kein perfektes Spiel des BVB, dem einfach zu viele Fehler unterliefen.
Als Dortmund vor Wochen in Frankfurt verlor, überzog Tuchel für viele sein zur Schau gestelltes Selbstbewusstsein, als er seine Mannschaft mit Lust und ohne Not öffentlich demontierte. Es mündete in dem schönen Bonmot: "Unsere Leistung ist ein einziges Defizit." Da spricht ein Trainer, der sich für besser hält als sein Team.
Und das Team weiß das.

Tuchels Hybris

Guardiola gilt in München weithin als gescheitert, nicht weil er die Champions League nicht gewinnen konnte - sondern weil er den weltbesten Fußball hat spielen lassen und die Champions League nicht gewinnen konnte.
Die Hybris, dass keiner soviel von dem Spiel versteht wie er und alle anderen nur bessere Trainerdarsteller sind, von Presse und Öffentlichkeit und ihrer Ahnungslosigkeit ganz zu schweigen, diese Hybris schwingt in nicht geringen Spurenelementen auch bei Tuchel mit.
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Thomas Tuchel mit Pep Guardiola

Fotocredit: Eurosport

Nur ist der Erfolgsanspruch der immer mal wieder zu einem Geistesblitz fähigen Dortmunder nicht im Ansatz mit der strukturellen Sturheit zu vergleichen, mit der der Rekordmeister seit 30, 40 Jahren Titel einkalkuliert und einfährt. Für diese Kalkulation mag der zwanghafte Überperfektionist Guardiola in München der Richtige gewesen sein.
Allein: Wird man Tuchel seine peppige Art im Pott auf Dauer durchgehen lassen?

BVB: Durchbruch nach Umbruch?

Die Ähnlichkeiten der beiden sind frappierend, ob ihrer Kontrollwut, aber auch Trainingsinhalten und Spielphilosophie betreffend. Tuchel setzt ebenfalls auf kontrollierten Ballbesitz, schnelles Umschalten, aggressives Arbeiten gegen den Ball, eine hohe Variabilität des Spielers unabhängig vom gegnerischen System und - einer hoch stehenden, mutigen Defensivarbeit, einer der Knackpunkte im BVB-Modus. Ein Knackpunkt, der noch nicht final geklärt ist.
Auch deshalb steht nicht der Sieg über Bayern, eines der wenigen tatsächlichen Tuchel-Ich-Mach-Euch-Besser-Spiele, sondern vielmehr das 8:4 gegen Legia Warschau sinnbildlich für diese erste Saisonhälfte des BVB: spektakulär, verschwenderisch, unnötig.
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Thomas Tuchel von Borussia Dortmund

Fotocredit: SID

Vielleicht muss auch noch nicht alles perfekt laufen, schließlich ist Dortmund mittendrin in einem "Mega-Umbruch" ("Sport Bild"), den der Verein so noch nicht erlebt hat. Und den der FC Bayern selbst unmittelbar vor Augen hat.
Die Frage aber wird sein, ob Tuchel auch noch mit der Formvollendung seiner Fußballidee weitermachen darf, wenn er die Champions-League-Qualifikation am Saisonende verpasst. In München wäre das nicht vorstellbar.
Tuchels jüngste "C-Jugend"-Trainingsrezension deutet darauf hin, dass er es in Dortmund gar nicht erst soweit kommen lassen will.


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